Bürde der späten Geburt

Ziemlich jung, ziemlich viele Feinde: Greta Thunberg wird heute 18 Jahre alt. Bild: Anders Hellberg, CC BY-SA 4.0

Die Aktivistin Greta Thunberg wird heute 18 Jahre alt. Ein Anlass zur Betrachtung von Zeiträumen, in denen Erwachsene ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben

Personenkult hin oder her: Wer es vor seinem 18. Geburtstag schafft, den 45. Präsidenten der USA sowie Pegida-Initiator Lutz Bachmann, die adelige Schnacksel-Ethnologin Gloria von Thurn und Taxis und den selbstmitleidigen Comedian Dieter Nuhr gegen sich aufzubringen, muss etwas richtig gemacht haben. Auch wenn die schwedische Aktivistin Greta Thunberg, die heute 18 Jahre alt wird und deren Feindesliste noch wesentlich länger ist, natürlich kein Copyright auf das Mahnen und Warnen vor dem menschengemachten Klimawandel hat.

Mehr als zehn Jahre vor ihrer Geburt hätten Politiker und Chefredakteure großer Medien Severn Cullis Suzuki zuhören können, einer damals zwölfjährigen Kanadierin, die 1992 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung sprach.

Knapp vier Jahre vor dieser Konferenz hätte die Ermordung des brasilianischen Umweltaktivisten Chico Mendes durch Großgrundbesitzer 1988 weltweite Empörung auslösen können. Aber all das ist nicht passiert - und dafür kann Greta Thunberg nichts.

Die Initiatorin der Schulstreikbewegung "Fridays for Future", geboren am 3. Januar 2003, kann auch nichts für das politische Kräfteverhältnis der Zeit, in der sie sich zu Wort melden musste. Nein, Greta Thunberg und ihre Mitstreiterinnen hatten kein detailliertes Lösungskonzept für die Umwelt- und Klimakrise in der Tasche - schon gar keines, das die falsche Erwartungshaltung erfüllt, dass es bitteschön keiner der umweltschädlichen Branchen auch nur ansatzweise wehtun darf.

Es ist nicht ihre Schuld, dass der fossile Kapitalismus Arbeiter dieser Branchen, die kurz- und mittelfristig ihre Familien ernähren wollen, schon fast dazu zwingt, die Zukunft ihrer Kinder zu gefährden. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnten beispielsweise kämpferische Gewerkschaften aufzeigen. Dies von 15- bis 18-jährigen zu erwarten, ist ein groteske Verkennung der jahrzehntelangen Versäumnisse und Fehlleistungen von Erwachsenen.

Greta Thunberg war 15 und sah mit ihren langen Zöpfen noch viel jünger aus, als sie im August 2018 zum ersten Mal mit ihrem selbstgemalten Schild vor dem schwedischen Parlament saß. Sicher war ihr eine Feigenblattfunktion zugedacht, als sie im Januar 2019 mit gerade 16 Jahren auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sprechen durfte. Es war ihr zweiter Auftritt vor einer derart großen Öffentlichkeit, nachdem sie im Dezember 2018 mit ihrem Vater zur UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice gereist war.

Viele der dort Anwesenden hatten wohl gehofft, das Mädchen wäre überwältigt und dankbar für die Gelegenheit, vor so vielen wichtigen Leuten zu sprechen - und gutgläubig, wenn sie ihr versichern würden, ihr Anliegen ernst zu nehmen.

Systemfrage aufgeworfen

Aber dann sagte sie Sätze wie "Wenn es unmöglich ist, Lösungen im bestehenden System zu finden, sollten wir das System an sich ändern" - und sie nervte einfach weiter, statt die Schulstreiks für beendet zu erklären, weil ja ihre Botschaft angekommen sei.

Die Mächtigen misst sie bis heute nicht an Sonntagsreden, sondern an ihren Taten. Politiker, die den menschengemachten Klimawandel offiziell als Gefahr anerkennen, aber nicht entsprechend handeln, haben von ihr und "Fridays for Future" nicht weniger zu befürchten als rechtspopulistische Regierungschefs wie Donald Trump und Jair Bolsonaro, die das Problem als solches leugnen. Vielleicht sogar mehr.

Das beste Beispiel sind die Grünen, deren hessische Spitzenpolitiker mit der Abholzung im Dannenröder Forst für den Weiterbau einer Autobahn die Klimaschutzbewegung gegen sich aufgebracht haben. Anders als Trump und Bolsonaro, deren Zielgruppe eine ganz andere ist, verlieren sie dadurch Wählerstimmen und Teile der eigenen Basis.

Von Ultrarechten bekam Greta Thunberg für eine Jugendliche dieses Alters weltweit beispiellos scharfen Gegenwind zu spüren – und reagierte erstaunlich gelassen: "Wenn Hater es auf dein Aussehen und dein Anderssein abgesehen haben, bedeutet das, dass sie sonst keine Argumente haben. Und dann weißt du, dass du gewinnst", schrieb die überzeugte Nichtfliegerin am 1. September 2019 auf Facebook während ihrer USA-Reise, die sie auf einem Segelboot in Begleitung ihres Vaters und der Crew angetreten hatte.

In "sozialen Netzwerken" wurden oft ihre noch kindliche Figur und ihre Asperger-Diagnose zum Thema gemacht. Ihre Minderjährigkeit hielt nicht alle angegrauten politischen Gegner von sexistischen Verbalattacken und Fotomontagen ab. Andere wollten ihr dafür vor lauter Welpenschutz gar keine eigene Meinung zugestehen. Von politischem "Kindesmissbrauch" war die Rede, während Gretas Eltern betonten, ihre Tochter habe sie zu klimafreundlichem Verhalten bewegt.

"Ich wollte nicht das Klima retten, sondern mein Kind", begründete ihr Vater Svante Thunberg 2019 in einem BBC-Interview seine Unterstützung für ihren Aktivismus, der für sie ein Weg aus der Depression gewesen sei. Wer ihm das zum Vorwurf macht, muss die Frage beantworten, ob Eltern in solchen Fällen lieber auf "Big Pharma" vertrauen und ihre Kinder mit immer mehr Medikamenten vollstopfen sollten, statt deren Zukunftsängste ernst zu nehmen. Psychopharmaka und ihre Wirkungsweise sind allerdings wissenschaftlich sehr viel umstrittener als der menschengemachte Klimawandel.

Mächtige Rosinenpicker

Wenn Teile der lohnabhängigen Klasse in Deutschland Angst vor der nötigen Energie- und Verkehrswende haben, weil bislang völlig unklar ist, wie viele von ihnen ohne Reallohnverlust umgeschult und aufgefangen werden, falls sich überhaupt etwas in diese Richtung bewegt, dann liegt das nicht an 18-jährigen Schwedinnen. Es liegt unter anderem daran, dass deutsche Gewerkschaften keine echte Gestaltungsmacht für eine sozial-ökologische Transformation einfordern, sondern sich seit Jahrzehnten das Recht auf politische Streiks nehmen lassen. Übrigens auf Grundlage eines Rechtsgutachtens von 1952, dessen Ersteller Hans Carl Nipperdey schon am "Arbeitsordnungsgesetz" von 1934 mitgewirkt hatte.

Ein gutes Stück der Gestaltungsmacht fehlt also vielleicht nur deshalb, weil die Entnazifizierung in Deutschland ein schlechter Witz war. Deshalb gilt es hier - anders als etwa in Frankreich - als normal und fast unabwendbar, dass von Banken und Konzernen verursachte Krisen auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt werden.

Klar war in diesem Kräfteverhältnis, dass die Mächtigen sich aus dem Forderungskatalog von "Fridays for Future" erst einmal herauspicken was ihnen passt: Ausstieg aus der Kohleverstromung? – Lieber erst 2038, aber eine CO2-Steuer geht natürlich viel früher.

Und all das wegen einer Krise, die wir ohne das Zopfmädchen in Mitteleuropa noch ein paar Jahre hätten verdrängen können. Genau wie das Thema "Altwerden im Kapitalismus" und das Mikroplastik in unserem Essen. Bis irgendwann eine Steuererhöhung nicht mehr mit Klimaschutz, sondern mit viel teureren Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel begründet wird.

An Niedersachsens Küsten werden schon jetzt höhere Deiche zum Schutz vor Sturmfluten geplant, weil der Meeresspiegelanstieg wohl absehbar nicht mehr gestoppt, sondern bestenfalls begrenzt oder verlangsamt werden kann.

Und am meisten fürchtet wohl Greta Thunberg selbst den Tag, an dem sie sagen könnte "Ich hab‘s euch ja gesagt" - ohne dass die AfD-Wähler und "Klimaskeptiker" von heute noch ernsthaft widersprächen.

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