ARD wärmt Mythos um Adolf Eichmann auf

Eichmann-Prozess, Jerusalem, 1961. Bild: Milli John, Public Domain

Peinliches Medienspektakel zum 60. Jahrestag: Sender strahlt Serie über "Jahrhundertprozess" aus und ignoriert beharrlich neue Erkenntnisse

Im letzten Jahr war der Medienrummel zum 60. Jahrestag der "Entführung" des SS-Offiziers Adolf Eichmann erfreulicherweise ausgeblieben – inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Sache ganz anders gelaufen ist. Doch statt den gesamten Mythos verschämt in der Schublade verschwinden zu lassen, lockte noch der 11. April 2021: der 60. Jahrestag der Eröffnung der Strafsache in Jerusalem – lange Zeit als "Meilenstein für Menschenrechte" und "Jahrhundertprozess" gefeiert. Die ARD will mitfeiern, mit einer Serie, die am 6. April startet.

Solche Themenschwerpunkte werden lange im Voraus geplant. So konnte man in den Redaktionsstuben des verantwortlichen Bayerischen Rundfunks (BR) nicht ahnen, dass mir kurz vor dem Jahrestag der Bundesnachrichtendienst (BND) einen Schwung geheimer Akten aushändigte. Zuvor hatte ich den deutschen Auslandsgeheimdienst erneut auf Herausgabe seiner Eichmann-Akten verklagt.

Einen investigativen Journalisten hätte dies nicht überrascht, da nach 60 Jahren die Schutzfristen ablaufen, und ich entsprechende Anträge gestellt hatte. Aber das wissen eben nur die, die schon einmal recherchiert haben.

Und – wie peinlich – die neuen Dokumente werfen ein ganz anderes Licht auf die Strafsache Eichmann: Danach war sie kein rechtsstaatliches Verfahren, sondern ein Schauprozess, bei dem der BND und der Mossad gemeinsam die Fäden zogen. Es wurden Mandantengespräche abgehört und Beweismittel unterdrückt.

Und es wurde dafür gesorgt, dass ein Jurist, der bereits seit 1955 auf der Lohnliste des BND stand, Verteidiger des Angeklagten wurde und fortan gegen den ausdrücklichen Willen seines Mandanten die Interessen des Bundeskanzleramts und der israelischen Regierung vertrat.

Der junge Bonner Staat fürchtete, dass in Jerusalem der Name von Hans Globke – Adenauers rechte Hand und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze – erwähnt und damit eine Diskussion über die Kontinuität des Nationalsozialismus losgetreten würde.

So steht es in den freigegebenen Akten, und diese Dokumente habe ich in meinem neuen Film "Pimpel und Blaustern – die BND-Akten über die Strafsache Eichmann" veröffentlicht. Der BND, damals unter dem Kommando des vormaligen Nazi-Generalmajors Reinhard Gehlen, sollte die Erwähnung Globkes mit allen Mitteln verhindern. Man arbeitete in der Sache Hand in Hand mit dem Mossad, die Aktion lief bei dem israelischen Geheimdienst unter dem Tarnnamen "Blaustern".

Der Mythos von Ben Gurion

Auch das KAN, das israelische öffentlich-rechtliche Fernsehen, plant gemeinsam mit den Metro-Goldwyn-Mayer Studios, Tadmor Entertainment und Alice Communications eine Serie über den Prozess. Autor ist laut Auskunft des deutschen Produzenten der Dokumentarfilmer Yariv Mozer aus Tel Aviv.

Unklar ist, ob man damit zum 60. Jahrestag des Eichmann-Prozesses an die Öffentlichkeit geht, wie es geplant war. Offensichtlich gibt es Verzögerungen. Mozer beantwortete weder meine Frage nach dem Sendetermin noch dazu, ob er über neue Archivdokumente über den Fall verfüge.

Dabei ist diese Frage essentiell für die Darstellung des Falls: Laut BND-Akten hatte sich der israelische Staatsgründer Ben Gurion persönlich in den Prozess gegen Eichmann eingemischt und Zeugen davon abhalten wollen, dort auszusagen.

Und dem Entsandten des Kanzleramtes hatte er versichert, dass Eichmann vor Gericht behaupten würde, Globke nicht zu kennen. Ben Gurion verhandelte zu diesem Zeitpunkt mit Konrad Adenauer über technische und finanzielle Unterstützung seines Atomprogramms, konkret um die Errichtung des Atomkomplexes Dimona in der Negev-Wüste. Er wollte diese Verhandlungen nicht gefährden.1

ARD Sonderprogramm zum Jahrestag

Während sich Mozer im Vorfeld über den Sachstand der Forschung informiert und mich um die Überlassung meiner erneuten Klageschrift gegen den BND gebeten hatte, setzt das deutsche Fernsehen unter Federführung des BR ungerührt die 60 Jahre alte Version des Mossad erneut in Szene, mit Konserven aus dem Archiv, unkommentierten Interviews und Gesprächsrunden.

Los geht das Eichmann-Theater in der ARD, um 21.45 Uhr mit "Report München extra: Eichmann und sein geheimer Komplize" über einen SS-General, der straflos im Nachkriegsdeutschland lebte. Einer von Vielen.

Am Mittwoch widmet sich "Kontrovers – Die Story" im BR der Fluchtroute der Nazis, Titel: "Die Jagd auf Kriegsverbrecher aus Bayern." Das Thema "Rattenlinie" wird seit Jahrzehnten immer wieder dargestellt: Was ist daran "kontrovers" oder neu?

Es geht weiter bei ARD-Alpha, mit "Die Katastrophe vor Gericht – Der Eichmann-Prozess vor 60 Jahren" mit den Zeitzeugen Gabriel Bach und Michael Goldmann-Gilead, die Eichmann im Prozess aus nächster Nähe erlebt hatten; Bach als stellvertretender Ankläger und Goldmann-Gilead als persönlicher Referent des Chefanklägers.

Journalistisch wäre es hochinteressant gewesen, diese beiden Zeitzeugen mit den neuen BND-Dokumenten zu konfrontieren. Aber dafür hätte sich der BR um Dokumente bemühen müssen, zum Beispiel über Google. Stattdessen kommen die Historiker Mirjam Zadoff vom Münchner NS-Dokuzentrum, Tom Segev und Michael Wolffsohn ausführlich zu Wort. Segev hat Simon Wiesenthal in einer Biographie als erfolgreichen Eichmann-Jäger dargestellt – eine Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt.

Und von Wolffsohn (Bundeswehr-Hochschule München) stammt die Äußerung: "Wenn wir mit Gentleman-Methoden den Terrorismus bekämpfen wollen, werden wir scheitern. (…) Als eines der Mittel gegen Terroristen halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim." Was ihn offensichtlich für das Bayerische Fernsehen als Experten für Menschenrechte qualifiziert.

Wiederholt wird Margarethe von Trottas Spielfilm "Hannah Arendt", die für den New Yorker das Verfahren kommentierte und sich schon damals wunderte, warum Eichmanns Verteidiger Robert Servatius nicht auf "mildernde Umstände" plädiert hatte.

Arendt kannte natürlich die BND-Akten nicht und wusste daher nicht, dass Servatius ein Spitzel in Dienst der jungen Bundesrepublik war. Aber sie hatte das richtige Gespür und wurde zu einer der wenigen kritischen Stimmen der westlichen Welt.

Es folgen zeitgenössische Konserven, die interessant sein könnten, wenn man den heutigen Forschungsstand dagegen halten würde. Das passiert aber nicht. Man hätte die WDR-Dokumentation über Globke ("Der Mann hinter Adenauer") wiederholen können. Fehlanzeige. Dafür wird das NDR-Doku-Drama "Eichmanns Ende" erneut gezeigt – eine angebliche Liebesgeschichte zwischen der Tochter des jüdischen Emigranten Lothar Hermann und einem Sohn Eichmanns.

Über diesen Film habe ich einen 90-minütigen Dokumentarfilm mit dem Titel "Desinformation" gedreht. Darin werfe ich dem Sender Geschichtsfälschung vor. Der NDR hat diese Vorwürfe weder dementiert noch eine Unterlassung gefordert; er hat sie einfach ignoriert. Lediglich der Untertitel - "Liebe, Verrat, Tod" – musste nach Protesten der Familie Hermann entfernt werden.

Die Reaktion des BR

Ich habe die verantwortlichen BR-Vertreter – Andreas Bönte, stellvertretender Programmdirektor Kultur, und Pressesprecher Detlef Klusak – gefragt, ob sie auf die neuen Dokumente des BND, an deren Authentizität keine Zweifel bestehen, hinweisen werden? Ob sie sich um den Sachstand der aktuellen Forschung bemüht haben? Wenn nein, warum nicht? Ob sie die Kritik an "Eichmanns Ende" kennen? Und ob sie – was etwa in der Presselounge des WDR üblich ist – ihre Sendungen vorher einsehen lassen? Man schickte mir ein paar Allgemeinplätze.

Beantwortet wurde keine Frage.

Der Film von Gaby Weber: "Pimpel und Blaustern"

Die Klagen gegen den BND zur Freigabe der historischen Dokumente werden mit Crowdfunding finanziert, ebenso wie die Filme. Wer dies unterstützen will, kann dies über Paypal (gaby.weber@gmx.net) oder per Banküberweisung tun: Comdirect: IBAN DE53.2004.1155.0192.0743.00

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