Nur "German Angst" vor der Inflation?

Frankfurt. Bild: cmophoto.net/Unsplash

Wieder einmal warnt Bundesbank-Präsident Weidmann vor Inflationsgefahren, die angesichts von immer stärker gefluteten Geldmärkten aber tatsächlich größer werden

Es ist eine Konstante bei Jens Weidmann, vor einer steigenden Inflation zu warnen. Es ist auch eine Konstante, dass dessen Warnungen in deutschen Zeitungen aufgegriffen und gerne auch zugespitzt werden. "Bundesbank-Präsident Weidmann warnt vor der Inflation", titelte zum Beispiel die Frankfurter Allgemeine Zeitung aktuell angesichts einer Weidmann-Rede zum virtuellen Clubabend des Internationalen Clubs Frankfurter Wirtschaftsjournalisten e.V.. Dort breitete er seine Inflationsängste erneut aus.

Weidmann sprach davon, dass nach den jüngsten Schätzungen der Europäischen Zentralbank (EZB) die Inflation im Euroraum in diesem Jahr "deutlich zulegen" werde. Statt 0,3 Prozent im vergangenen Jahr werde nun für 2021 mit 1,5 Prozent gerechnet, weshalb Weidmann sich sogar dazu verstieg, von einem "Sprung" zu sprechen. Damit brachte er Dramatik in die Debatte, obwohl die Inflation damit weiterhin unter der Zielmarke bleiben würde, die sich die EZB (noch) mit knapp zwei Prozent setzt.

Der Bankenchef sprach auch von einer "Gefahr, dass die Inflation schwächer ausfallen könnte als im Basisszenario der Prognose". Trotz allem hebt er aber vor allem "Aufwärtsrisiken" für den Inflationsausblick hervor:

So haben die Rohstoffpreise deutlich angezogen und damit Vorprodukte in der Industrie verteuert. Wenn die Unternehmen ihre höheren Kosten an ihre Kunden weitergeben, könnte sich dies später auch auf der Stufe der Verbraucherpreise auswirken. Wenn beispielsweise Metalle im Preis steigen, trifft das zunächst die metallverarbeitenden Unternehmen. Am Ende könnten aber etwa auch die Getränkedosen im Supermarkt teurer werden.

Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank

Bei seinen "Aufwärtsrisiken" führte Weidmann "zusätzliche Ersparnisse" an, die in der Covid-Pandemie gebildet worden seien. "Allein im vergangenen Jahr haben die privaten Haushalte in Deutschland 110 Milliarden Euro mehr gespart als 2019". Als Gründe erwähnte er "ausgefallene Reisen, abgesagte Konzerte oder geschlossene Restaurants".

Viele Leute hätten ihr Geld unfreiwillig nicht wie gewünscht ausgeben können. Werde der Konsum nachgeholt, wenn die Pandemie unter Kontrolle ist, dürfte seiner Meinung nach der Konsummotor wieder anspringen. Dann könnten die Preise in einigen Bereichen steigen, wenn "eine vorübergehend größere Nachfrage auf ein begrenztes Angebot" trifft.

Allerdings relativiert er auch diese "Risiken" sofort wieder. Weidmann führt an, dass der "vor allem reiche Leute in der Krise viel gespart hätten". Die würden ohnehin oftmals nur einen "geringeren Teil ihres Einkommens" ausgeben. Dass die Schere zwischen Arm und Reich sich noch stärker geöffnet hat, sagt ein Banker wie er natürlich nicht. Weidmann erwartet, dass dieser Trend insgesamt zu weniger zusätzlichem Konsum, sondern stärker zum Vermögensaufbau führen werde.

Und er nimmt noch weiter Luft aus seinem Risiko-Szenario, denn er erklärt, dass der von ihm aufgezeigte "Sprung" vor allem auf Sondereffekte zurückzuführen sei. "Dazu zählen etwa die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung in Deutschland sowie der kräftige Anstieg der Energiepreise."

Mit Blick auf die EZB fügt er auch an, dass die in den folgenden Jahren nur einen "verhaltenen Preisauftrieb von 1,2 Prozent und 1,4 Prozent" erwarte, da das gedrückte Aktivitätsniveau in der Wirtschaft insgesamt die Preisentwicklung dämpfe. Der Preisauftrieb könnte nach einem EZB-Szenario sogar noch schwächer ausfallen.

Warum die Beschwörung von Inflationsrisiken?

Man fragt sich also, warum Weidmann immer wieder gerne Inflationsrisiken beschwört. So erklärte er im Februar zum Beispiel als Prognose für Deutschland: "Aus heutiger Sicht dürfte die Inflationsrate gemäß dem Harmonisierten Verbraucherpreisindex in Deutschland zum Jahresende hin über drei Prozent liegen." Er fügte an, dass die Inflationsrate nicht auf Dauer "so niedrig wie im vergangenen Jahr" bleiben werde.

Das ist natürlich eine Binsenweisheit angesichts einer Inflationsrate, die während der Corona-Pandemie und stark gefallener Ölpreise sogar auf 0,3 Prozent abgesunken war. Schaut man sich die EZB-Prognosen an, die Weidmann anführt, dann ist vielmehr festzustellen, dass die Inflation im Euroraum in diesen und in den kommenden Jahren sogar weiterhin unter der Zielmarke von knapp zwei Prozent liegen soll.

Real ist die Inflationsrate, das hat die europäische Statistikbehörde (Eurostat) gerade mitgeteilt, im März im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 1,3 Prozent gestiegen. Eurostat geht in der neuesten Schnellschätzung davon aus, dass vor allem die Energiepreise mit einem Anstieg um 4,3 Prozent die Inflation antreiben, die im Februar sogar um 1,7 Prozent gesunken waren.

In Deutschland sind die Verbraucherpreise, das hat die Statistikbehörde Destatis gerade mitgeteilt, nun im Vergleich zum Vorjahresmonat um 1,7 Prozent gestiegen.

Das Gespenst der Inflation bemüht aber nicht nur Weidmann, sondern es wird allgemein gerne benutzt. So wurde Anfang März verkündet, dass die Inflation im Euro-Raum zwar stabil sei: "Doch Preise werden kräftig zulegen".

Sogar mitten in der harten Phase der Corona-Pandemie, als eher deflationäre Tendenzen herrschten, titelte die Tagesschau im Mai des vergangenen Jahres: "Angst vor der großen Inflation."Damals hatten Ökonomen gewarnt, die Corona-Krise könnte langfristig die Preise in die Höhe schnellen lassen. Zitiert wurde der der ehemalige Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn:

"Ich fühle mich in fataler Weise an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erinnert, als man eine kaputte Wirtschaft hatte, die Spanische Grippe kam und Deutschland versuchte, sich mit frisch gedrucktem Geld zu retten."

Auch Sinn befeuerte die "German Angst" vor der Inflation, die offensichtlich tief steckt, da auf den Ersten Weltkrieg die Hyperinflation folgte.

Klar ist, dass vor allem in Deutschland die Inflationsangst besonders ausgeprägt ist. Klar ist aber auch, dass die Inflationsgefahren auch durch einen Faktor immer größer werden, der weniger oft angeführt oder stark relativiert wird: Geldflut der Notenbanken, die immer weiter ausgeweitet wird.

Denn tatsächlich zeigen sich längst Spuren einer erheblichen Inflation, auch wenn sie sich in den Indizes von Destatis oder Eurostat nicht widerspiegelt. Sie sind aber an den Finanzmärkten deutlich zu sehen. Es kam zwar zu Beginn der Pandemie zu massiven Kurseinbrüchen an den Börsen, da die Notenbanken aber die Geldmärkte seither noch stärker fluten, zeigen sich dort Blasenbildungen und Inflation.

Die Geldschwemme

Am deutschen Leitindex Dax in Frankfurt, wo ein Rekord nach dem anderen gebrochen wird, ist das leicht zu sehen. Er ging am Donnerstag vor Ostern sogar über der Marke von 15.100 Punkten aus dem Handel. Das ist ein Anstieg um fast 58 Prozent in einem Jahr und ein Zuwachs von fast 26 Prozent in den vergangenen drei Jahren. Und ganz ähnlich sieht das auch an der Wall Street aus. Der Dow Jones hat ausgerechnet im zurückliegenden Pandemiejahr um fast 55 Prozent zugelegt und in den vergangenen drei Jahren um gut 40 Prozent.

Klar ist, dass die Notenbanken, allen voran die EZB, kaum noch Werkzeuge im Instrumentenkasten hatten, um auf die neue Krise anders als mit einer Ausweitung der Geldschwemme zu begegnen.

Schon vor der Pandemie, als die umstrittene und vorbestrafte ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, den EZB-Chefposten übernahm, fuhr die EZB noch immer im Krisenmodus. Null-Leitzinsen, Negativzinsen für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB und umstrittene Anleihekäufe bestimmten weiterhin das Bild. Die zaghafte Zinsnormalisierung, die angekündigt worden war, kam, anders als bei der US-Notenbank (FED), nie.

Und als die Konjunktur Ende 2019 in Deutschland und im Euroraum schwächelte, wurden die umstrittenen Anleihekäufe, die faktisch nie eingestellt worden waren, offiziell wieder aufgenommen.

Seit einem Jahr laufen die Notenpressen über das Programm mit dem euphemistischen Namen "Pandemic Emergency Purchase Programms" (PEPP) auf Hochtouren. Die Ankaufprogramme wurden zwischenzeitlich so ausgeweitet, dass die EZB praktisch die Haushaltsdefizite aller Euro-Länder aufkauft. Und gerade wurde das Tempo sogar noch weiter erhöht.

Die EZB hatte auf ihrer jüngsten Zinssitzung beschlossen, die Geschwindigkeit ihrer PEPP-Ankäufe im zweiten Quartal weiter deutlich zu steigern, um mitten in der Pandemie höhere Finanzierungskosten für Unternehmen, Staaten und Haushalte verhindern.

Es ist absehbar, dass die Geldschwemme irgendwann tatsächlich zu einer deutlichen Inflation führen wird. Hatte die EZB ihre Bilanzsumme schon vor der Corona-Krise auf 4,7 Billionen Euro aufgebläht, hat sie seither erneut mehrere Tausend Milliarden Euro in die Märkte gepumpt. Die Bilanzsumme der EZB hat sich dadurch inzwischen auf über 7 Billionen Euro erhöht. Ganz ähnlich hat die FED gehandelt, deren Bilanzsumme von 4,6 auf über 7 Billionen US-Dollar aufgebläht wurde.