Sieg oder Ende der Globalisierung?

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Fußball-Weltmeisterschaft in Katar: Es dreht sich immer noch vieles um Fußball und Politik. Noch nie waren die "Fußballzwerge" aus Asien und Afrika so stark. Wie will der Westen weiter die Welt beherrschen?

Das Spiel mit dem Ball ist etwas Göttliches. Sind die Sterne nicht Bälle? Ist das Weltall nicht ein Ball-Gebilde?

Franz Josef Wagner

Wir erleben das Ende der Globalisierung, wie wir sie seit den 1990er Jahren kannten.

Annalena Baerbock

Wir sind zu lieb, wir haben zu wenig Gier, wir sind zu wenig dreckig. Diese letzte Gier, dieses etwas Dreckige, das fehlt uns. Wir stehen wieder bei null.

Antonio Rüdiger

Entgegen der Behauptung der gegenwärtigen deutschen Außenministerin, dass die Globalisierung zu Ende gehe, fängt sie erst gerade richtig an: Indien spurt nicht mehr, China setzt auf Wandel durch Handel und die Iraner machen sowieso, was sie wollen.

Auch die gegenwärtige Fußball-WM bestätigt diesen Befund: Noch nie schnitten die alten Fußballmächte aus Westeuropa und Lateinamerika so schwach ab wie diesmal: Das Debakel der ehemaligen germanischen Turniermannschaft zeigt dies nur besonders deutlich. Aber auch der ewige Geheimfavorit Belgien und EM-Vize Dänemark schieden in der Vorrunde sang- und klanglos aus, ebenso wie die ehemals sicher gesetzten Playoff-Teilnehmer aus Uruguay und Mexiko.

Noch nie waren dafür die Fußballzwerge aus Asien und Afrika so stark wie diesmal: Südkorea, Japan und Australien, Senegal und Marokko im Achtelfinale. Und auch die übrigen, Tunesien, Saudi-Arabien, Kamerun und Ghana konnten alle in der Vorrunde zumindest Achtungserfolge feiern.

Am letzten Spieltag der Vorrunde erlebte man dann gleich viermal dasselbe das Szenario: Der Gruppenerste und Favorit verlort unerwartet gegen ein No-Name-Team, dreimal schied dadurch der eigentliche und bessere theoretische Gruppenzweite aus: Brasilien, Spanien, Portugal, Frankreich. Das zeigte: Mit den B-Teams und fehlender Einstellung kann man nicht mehr wie einst automatisch gewinnen.

Nur Argentinien hatte sich die überraschende Niederlage bereits im ersten Spiel genommen und war dadurch zum Siegen verdammt - eine Erfahrung, die noch zum Vorteil für die Messi-Truppe werden könnte. Nur die Niederlande und England überstanden die Vorrunde.

"Diversity wins"?

Woher kommt die relative Schwäche der etablierten Nationen? Es ist einerseits eine offene Ausrede und ein diskursives Ablenkungsmanöver, wenn interessierte (i.e. rechte) Kreise für das Scheitern der Deutschen vor allem die miserabel geführt Debatte um Regenbogen- und "One Love"-Binden verantwortlich machen wollen.

Andererseits ist es auffallend, dass sich außer Deutschland auch Belgien und Dänemark mit Debatten über die Regenbogenthematik an den ersten Tagen der WM besonders hervorgetan hatten.

Die Konzentration auf den Erfolg im Sportlichen ging anscheinend in allen drei Nationalteams verloren. Die Sportberichterstattung verkam über mehrere Tage zur flankierenden und indirekten Politikberichterstattung. Am Ende stand "Diversity wins" nur noch auf dem Flieger der "Fanhansa", mit der die deutschen Verlierer nach Hause flogen.

Bezeichnend war demgegenüber die Reaktion des französischen Nationaltrainers Didier Deschamps auf die Frage eines Reporters nach einem in Katar gestorbenen Bauarbeiter: "Das ist ein sensibles Thema. Ich möchte mein Bedauern ausdrücken", sagte Deschamps.

"Die Frage hat vielleicht für Sie eine Priorität, aber meine Priorität liegt auf dem Spiel. Das heißt nicht, dass wir abseits des Fußballs gefühllos sind. Aber man sollte nicht alles vermischen."

Gastgeber beleidigt

Dazu passte dann das sehr bewusste Lustigmachen der Katarer über die Deutschen seit deren die Gastgeber beleidigender Hand-vorm-Mund-Geste im Auftaktspiel. Sehr bewusst trugen die Katarer im Stadion bei den nächsten beiden deutschen Spielen Pro-Palästina-Armbänder, und ebenso bewusst zeigten sie Fotos von Mesut Özil und höhnische Abschiedsgesten in einer katarischen Fernsehshow, die um die Welt gingen.

Deutschland hat durch sein Verhalten in den letzten Wochen im Nahen Osten viel Kredit verspielt.

Ähnlich auch die Resolution des EU-Parlaments, die erst kürzlich ein weiteres Mal mit harten Worten Katars Menschenrechtsstandards und die WM kritisiert hat: "WM der Schande."

Diese Woche antwortete darauf der katarische Shura-Rat, ein Berater-Gremium mit formellen Befugnissen, mit einer heftigen Resolution: "falsche Behauptungen ... und eine Ausweitung der systematischen und bösartigen Kampagnen, denen der Staat Katar aufgrund der Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft ausgesetzt ist".

Mit ihren ebenso belehrenden wie starrsinnigen Initiativen treiben das EU-Parlament und die deutsche Politik einen immer größeren Keil zwischen den Westen und den Nahen Osten. ZDF-Korrespondentin Golimeh Atai beschrieb dieser Tage im ZDF die "Dinge, die insgesamt die Glaubwürdigkeit der deutschen Kritik an der WM infrage stellen".

Was könnte man daraus lernen? Zumindest, dass man einer Fußballnationalmannschaft nicht politische Kämpfe und Positionen aufbürdet, die die politisch Verantwortlichen selber nicht zu führen bereit sind: Energieminister Robert Habeck hat schließlich auch keine "One Love"-Binde getragen, als er in Katar um Gas gebettelt hat.

Große unter sich

Erst jetzt im Viertelfinale sind die Großen nun wieder weitgehend unter sich: "Às armas, às armas! … Zu den Waffen, zu den Waffen! Für das Vaterland kämpfen, … marschieren, marschieren!" - die portugiesische Nationalhymne gab den Kurs vor: Portugals Sieg über die Schweiz war so majestätisch wie angemessen.

Jetzt muss Portugal auch die Usurpatoren aus Marokko, die letzten Sansculotten im aristokratischen Fußball-Betrieb aus dem Turnier schlagen. Wie will der Westen sonst weiter die Welt beherrschen, wenn er schon ein Elfmeterschießen geht Marokko nicht übersteht?

Das eigentliche Duell lautet aber Ronaldo gegen Messi. Zwei alternde, gealterte Superstars. Was wäre das für ein WM-Finale: Argentinien gegen Portugal! Lange war Ronaldo für den Fußball, was Tom Cruise im Kino war: Ein Gernegroß, ein lächerlicher Hampelmann. Eine Menschmaschine. Inzwischen hat er sich, wie Tom Cruise gewandelt: Ronaldo ist sympathisch. Er ist eigensinnig, er spielt sich auf, er will cool aussehen, ist aber nicht cool – und das, dieses Wollen, macht ihn menschlich.

Nach der Werbung kommt dann Werbung

Direkt nach der Werbeschiene erscheint auf der ARD das "Sportschau"-Logo. Nach der Werbung kommt dann Werbung: "Fußball ist mehr als nur ein Spiel in Arabien. Es ist ein Erlebnis. Die Vorfreude; die Begeisterung; fühle die Spannung; fühle das Spektakuläre; fühle die Echtheit; fühle den Nervenkitzel; fühle mehr in der Heimat Arabiens. Besuche Saudi."

Saudi-Arabien hat sich in der Werbung tatsächlich immer direkt vor dem Anfang der WM-Übertragung gekauft, direkt vor Katar.

Immerhin die deutschen WM-Experten brachten Leistung. Neben dem Star-Erklärer Christoph Kramer, der mit Peter Mertesacker ein gutes Pendant zur Seite gestellt bekam, hat Bastian Schweinsteiger seine Leistung deutlich verbessert.

Ein zweites Highlight redet ebenfalls im ZDF: Ex-Stürmer Sandro Wagner besticht durch verständliche Analysen und Mut zur These.

Sami Khedira und Thomas Hitzelsberger in der ARD hatten gute Momente, besonders immer, wenn es um die deutsche Mannschaft ging, aber ihre Leistungen waren zu schwankend, und beide nicht gegensätzlich genug.

Die eigentlichen Kommentatoren sind an Niveaulosigkeit dagegen kaum zu überbieten. Etwa Tom Bartels in der ARD:

Die Unterstützung in Argentinien ist ganz anders als für die deutsche Mannschaft – sie spüren sie von der ersten Minute an. Hier werden auch keine Botschaften erwartet. Kritik an Menschenrechten etwa. Hier ist die Begeisterung so wie immer. Ein Land in der Wirtschaftskrise. Hier gibt's eine Menge eigener Probleme. Es gibt die bedingungslose, ja die fanatische Unterstützung Es wird nichts anderes als das Weiterkommen erwartet.

Tom Bartels

Später verwechselte Bartels dann mehrfach die Spieler, sagte "Alvarez" als der gar nicht am Ball war und begriff auch nicht, welcher Martinez eingewechselt wurde.