Französische AKW: Mit "zufälligen Abschaltungen und Unsicherheiten" ist zu rechnen

AKW Cruas, der letzte der vier Reaktorblöcke ist im Oktober 1984 in Betrieb gegangen. Bild: Jametlene Reskp/Unsplash

Zweifel an den Angaben der EDF; nervöse Regierung in Paris macht Druck. Auch in Großbritannien fürchtet man Stromausfälle im Winter, da Frankreich vom Stromexporteur zum Importeur geworden ist.

Die Lage der Stromversorgung in Frankreich ist wahrlich nicht gut. Am Beispiel des Atomkraftwerks Cattenom haben wir gerade schon ein Schlaglicht auf den "Aufstieg und Niedergang der Kernenergie" geworfen, wie die renommierte Zeitung Le Monde den Vorgang inzwischen nennt.

Denn das Land schlittert im Winter immer deutlicher auf einen Blackout zu, auf den die Regierung, wenn es tatsächlich winterlich kühl werden sollte, nicht wirklich vorbereitet ist. Das hat unter anderem damit zu tun, dass es weiter zu Verzögerungen bei den von der Regierung angeordneten Wiederinbetriebnahmen der Atommeiler kommt.

Mit aller Gewalt sollen auch gefährliche Riss-Reaktoren wie in Cattenom an der deutschen Grenze ans Netz gebracht werden, um im Winter wieder Strom zu liefern. Sicherheit wird hintenangestellt, damit es nicht gar zu schlimm kommt und damit offensichtlich wird, dass man sich in Frankreich über die Atompolitik tief in eine Sackgasse manövriert hat.

Nicht nur Le Monde wird immer kritischer, auch andere Medien beäugen immer deutlicher mit zweifelnden Blicken den militärisch-industriellen Komplex, der mit Staatsbetrieben um die Atomkraft gebildet wurde.

So zweifeln immer mehr Medien auch an den Angaben des großen Energieversorgers EDF und zeigen auf, warum die Zeitpläne zur Wiederinbetriebnahme von Atommeilern nicht "eingehalten werden" (können): Niemand, auch nicht der Netzbetreiber RTE, verlasse sich mehr auf die Angaben der EDF, schreibt zum Beispiel BFM Business.

Mit Bezug auf interne Quellen wird berichtet, dass der Netzbetreiber längst größere "Fehlermargen einkalkuliert". Man rechne mit einer Abweichung von 30 Prozent. Wenn ein Reaktor vier Wochen abgeschaltet werden müsse, nehme RTE an, dass sich die Wiederinbetriebnahme um eine Woche bis zehn Tagen verschieben wird.

Das gelte eben auch für die periodischen Sicherheitsüberprüfungen, die alle zehn Jahre durchgeführt werden. Die Prüfungen dauern eigentlich drei Monate, aber die RTE geht davon aus, dass sie mindestens einen Monat länger dauern.

"In Wirklichkeit hat RTE seit drei Jahren völlig aufgehört, sich auf die Planung von EDF zu verlassen", wird ein guter Kenner zitiert.

Nervöse Regierung: "Verständlich, dass es zu Verschiebungen kommt"

Die Regierung wälzt die Verantwortung – auch für eine völlig erratische Energiepolitik über Jahrzehnte –, komplett auf die EDF ab. Die Ministerin für die Energiewende, Agnès Pannier Runacher, die im September die "EDF verpflichtet" hatte, alle Atomkraftwerke bis zu diesem Winter wieder in Betrieb zu nehmen, erklärt nun, es sei "verständlich ist, dass es zufällige Abschaltungen und Unsicherheiten gibt, die zu Verschiebungen führen können".

Aber sie fügt dem, an die Adresse der EDF gerichtet, hinzu – und erhöht damit den Druck –, dass es in deren "Verantwortung" liege, den "Zeitplan einzuhalten".

Die Nervosität in einer Regierung, die längst auf das Prinzip Hoffnung setzt, ist offensichtlich. Obwohl auch Block 4 in Cattenom inzwischen wieder hochgefahren wurde, derweil auch Saint-Alban 2, Gravelines 3 und Cruas 3 wieder ans Netz genommen wurden, ist die Atomstromproduktion zwischenzeitlich sogar wieder auf 39 Gigawatt gesteigert worden.

Trotz allem mussten in der Spitze, trotz sehr milder Temperaturen, auch am Dienstag wieder bis zu vier Gigawatt importiert werden.

Wie schon mehrfach angemerkt: Auch ohne die steigende Zahl von Elektrofahrzeugen hatte Frankreich schon vor 10 Jahren im Winter einen Spitzenverbrauch von 102 Gigawatt, als es im Winter real auch wieder einmal winterlich kalt wurde und viele Franzosen ihre Elektroheizungen in schlecht gedämmten Wohnungen laufen ließen.

Allen ist klar, dass die enorme Stromlücke auch nicht über Importe geschlossen werden kann.

Deshalb bereitet sich der Netzbetreiber RTE schon auf rollierenden Blackouts in verschiedenen Regionen vor, von denen bis zu 60 Prozent der Bevölkerung betroffen sein könnten. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Artikel von Le Monde.

Der Blackout 1978 – Lehren gezogen?

Der Beitrag beschreibt, dass der Aufstieg der Atomkraft in Frankreich mit einem Blackout im Land 1978 begonnen hat. Denn vor fast genau vierundvierzig Jahren sei am 19. Dezember 1978 um genau 8.27 Uhr "Frankreich in der Dunkelheit versunken".

Denn an diesem besonders kalten Wintermorgen sei eine Hochspannungsleitung überlastet gewesen. Dann fielen die Dominosteine, einer nach dem anderen, um. Schließlich fiel das gesamte Stromnetz aus. Ein "unbeschreibliches Chaos" sei die Folge gewesen. U-Bahnen, Züge, Ampeln, Fahrstühle und Heizkörper seien ausgefallen. "Die EDF brauchte fast einen Tag, um das Netz wieder in Gang zu bringen."

Zwar sei noch am Tag nach der Katastrophe eine Untersuchungskommission eingesetzt worden, doch der Abschlussbericht sei "beschwichtigend" gewesen. Als Lösung wurde der massive Ausbau der Atomkraft angeboten. Dieser Zyklus ist nun aber mit meist altersschwachen Meilern am Ende angelangt, da die Renaissance der Atomkraft in Flamanville an die Wand gefahren wurde.

Ein erneuter Blackout dürfte das definitive Ende der Konzentration auf Atomkraft in Frankreich einleiten, mit der das Land einfach nicht ausreichend mit Strom versorgt werden kann. Der Blackout von 1978 könnte die Blaupause für Vorgänge sein, die wir im Januar oder Februar vermutlich sehen werden, wenn es trotz Klimawandel winterlich kalt werden könnte.

Ausbau erneuerbarer Energien wird behindert

Statt Maßnahmen zu ergreifen, endlich den Ausbau von erneuerbaren Energien real voranzutreiben, werden diese noch immer weiter administrativ stark behindert. In vielen Regionen, wie auch im sonnigen Südwesten zum Beispiel in Hendaye an der Atlantikküste, dürfen Solarpanels nicht wie üblich über die Ziegel aufs Dach montiert werden.

Man muss sie aufwendig und teuer ins Dach integrieren. "Macht natürlich niemand", erklärt Patxi Esnal gegenüber Telepolis. Er verweist dabei auf die umliegenden Häuser, wo trotz staatlicher Fördermaßnahmen keine einzige Solaranlage in Sicht ist.

Dazu komme, so erklärt er, dass die Anschlussarbeiten von einer in einem speziellen Register verzeichneten Firma gemacht werden müssten, um an die Subventionen und die Einspeisevergütung von 10 Cent pro Kilowatt zu kommen. Diese Firmen hätten lange Wartelisten und verlangten zudem Mondpreise für die Installation, berichtet er von seinen Recherchen.

Er stellt jetzt seine Solarmodule im Hof auf, natürlich mit deutlich geringerem Wirkungsgrad, aber er will nicht im Dunkeln oder im Kalten sitzen. "Ohne Strom läuft nämlich auch meine Gasheizung nicht", erklärt er.

Patxi Esnal hofft inzwischen fast schon auf den Blackout, damit es endlich zu einem Umdenkprozess kommt, absurde Auflagen geschliffen werden und endlich das Märchen von der Versorgungssicherheit über Atomkraftwerke und vom angeblich billigen Atomstrom beerdigt wird.