Ultrakonservativ und prowestlich: So tickt Polens PiS

PiS-Chef Jarosław Kaczyński fährt den prowestlichen Ukraine-Kurs ganz ohne "woken" Anstrich. Foto: Kancelaria Prezesa Rady Ministrów / CC-BY 3.0

Vorbild in Sachen Ukraine, abschreckend im EU-Kontext – Jaroslaw Kaczynskis Welt hat drei Elemente: Klerus, staatsgelenkte Justiz und staatsnahe Medien.

Polen gilt in der westlichen Wahrnehmung bezüglich seiner Aktivitäten für die Ukraine größtenteils als beispielhaft – das Land hat viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, es wirkt als engagierter Anwalt des Nachbarn und hilft mit umfangreichen Waffenlieferungen.

Im Kontext EU gilt Polen jedoch als abschreckend – das Land hält sich mit seiner Justizreform nicht an die staatsrechtlichen Normen, private Medien stehen unter Druck, LGBT-Personen erleiden Diskriminierung.

Verantwortet werden die momentan widersprüchlichen Polen-Bilder durch die Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die seit 2015 das Land regiert. Aktuell arbeitet sie fest entschlossen daran, auch die nächsten Parlamentswahlen im Herbst für sich zu entscheiden.

Was macht genau die PiS aus?

Über ihr steht der heute 71-jährige Jaroslaw Kaczynski, der die Partei im Jahr 2001 gegründet hat und ihr seitdem ununterbrochen vorsteht. In den Jahren 2005 bis 2007 regierte die PiS im Verbund mit den kleinen radikalen Parteien "Selbstverteidigung" und "Liga Polnischer Familien".

Der promovierte Jurist gilt als eigentlicher Entscheidungsträger im Land: Staatspräsident Andrzej Duda, Premierminister Mateusz Morawiecki sowie weitere Minister – alle bekamen ihren Posten durch seinen Willen. Die Frage, die in Polen diejenigen bewegt, die noch nicht resigniert haben, sich mit Politik zu beschäftigen, ist, wohin die Reise mit Kaczynski als Steuermann geht. Im Groben scheint es klar zu sein.

Was die Partei anstrebt, ist eine Gesellschaft, die mittels der Katholischen Kirche, der staatsgesteuerten Justiz und den staatsnahen Medien geformt und gelenkt wird. Das Regierungslager entscheidet, wer beim großen "Wir" dabei ist, oder wer zu "sie", "diesen da" gehört und somit öffentlich als Feind Polens gebrandmarkt wird.

Dabei ist das "Wir", wenn man von Top-Politikern der Oppositionspartei "Bürgerplattform" (PO) und anderen liberalen Akteuren mal absieht, durchaus elastisch. Selbst einem deutschen Journalisten kann es passieren, dass er im Gespräch mit einem PiS-Politiker, einem regierungsnahen Journalisten oder Anhänger in das "Wir" kurzfristig eingemeindet wird, falls er zuvor aufgeschlossen aufgetreten ist.

Die anfangs auch als "konservative Revolution" betitelte Umformung braucht Feinde, wie der Verbrennungsmotor Benzin benötigt. Etwa "arrogante Richter", die auf die "gewöhnlichen Polen" herabschauen. Schwierigkeiten in den Realien des Alltags werden oft der Tatsache zugeschrieben, dass die Feinde dieser Reform immer noch große Macht hätten und es weitere Anstrengungen brauche, um diese zurückzudrängen.

Somit glaubt sich die politische Führung oft einer Rechenschaft für so manche Misere entziehen zu können. Bezeichnend, dass Jaroslaw Kaczyznski selbst einfacher Abgeordneter ist und somit formal kaum Verantwortung trägt. Sein Intermezzo als Premierminister 2006 bis 2007 hat der oft grimmig dreinschauende Politiker wohl, wie viele Polen, auch selbst in schlechter Erinnerung.

Autoritäres Vorbild Pilsudski

Der Nationalkonservative imitiert mit dieser Anti-Verantwortungspolitik sein großes Vorbild Jozef Pilsudski, den Gründer der Zweiten Polnischen Republik, der 1926 mit einem Staatsstreich die damalige Regierung entmachtete und mittels unbedeutender Posten, aber großer tatsächlicher Macht, autoritär die Geschicke des Zwischenkriegspolens leitete.

Pilsudskis Gegenspieler war Roman Dmowski, das Vorbild der damaligen wie heutigen Nationalisten in Polen. Dmowski sah in Deutschland die größere Bedrohung, Pilsudski, der die polnische Armee in der Auseinandersetzung mit den sowjetischen Streitkräften leitete und das entstehende Polen nach Osten ausdehnen konnte, fürchtete mehr den Nachbarn im Osten.

Beachtung zum Verständnis vom Jaroslaw Kaczyznski verdient zudem der Doktorvater des Juristen in der Volksrepublik Polen, der heute kaum noch bekannte Rechts-Theoretiker Stanislaw Ehrlich und sein Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit. Dieser war ein vehementer Kritiker der Auffassung, dass das Recht das Handeln einer Regierung bestimmen solle. Sollte der Machthaber abgelöst werden, brauchte es massive Maßnahmen, um wieder "Pluralismus" herzustellen.

Da Kaczynski und sein Anhänger davon ausgehen, dass Polen weiterhin von liberalen, postkommunistischen Seilschaften beherrscht würde, müsse eben mit massiven Eingriffen in das Rechtssystem eine wirklich "gerechte" Gesellschaft hergestellt werden.

Beide Vorbilder waren übrigens anfangs Marxisten wandten sich jedoch zunehmend von dieser Ideologie ab. Zwar bezeichnet sich die Partei als "rechts", Kaczyznski selbst ist jedoch nicht per se gegen "Linke" – vielmehr spricht er einigen Gegnern ab, "echte" Linke zu sein, etwa, da sie nicht das Wohl der ärmeren Bevölkerung im Sinn hätten. Der Begriff "links" ist nach seiner Lesart jedenfalls nicht eindeutig negativ besetzt.

Bloß nicht progressiv erscheinen

Eine Begriffsdiskussion über die Bedeutung der politischen Richtungen soll hier nun nicht folgen. Die Sozialpolitik der PiS erscheint jedoch recht sozialdemokratisch. So gibt es jedes Mal Sozialversprechen vor den Wahlen, ein Kindergeld wurde 2015 eingeführt, Steuergeschenke für Geringverdienende erteilt, die machte ein Ende mit dem harten Sparkurs von Leszek Balcerowicz, dem Finanzminister der entbehrungsreichen frühen Neunzigern.

"Progressiv" – wie in Deutschland die SPD oder gar die Grünen, die außenpolitisch ihren Ukraine-Kurs teilen – will die PiS aber selbstverständlich nicht erscheinen. Schließlich wird sie vor allem von der Landbevölkerung gewählt, einer konservativen gesellschaftlichen Schicht, die auf Umbrüche und Veränderung der Tradition mit Unsicherheit und Ablehnung reagiert.

Bezeichnend für Kaczynski und hier ähnelt er in der Denke dem Kreml-Chef, ist der Historismus. Deutschland und Russland, beziehungsweise die Sowjetunion, sind Feinde Polens gewesen und würden diese Linie fortführen. Der Mensch als Gefangener im Kollektiv der Nation und ihrer Geschichte, das ist ein Denken vieler Polen.

Und da diese sich oft mit ihren Eltern, Großeltern und weiter zurückliegenden Vorfahren stark identifizieren, gehen sie davon aus, dass die Deutschen dies genauso tun, sich somit nicht wirklich vom Erbe des Dritten Reichs trennen können. Eine Quelle übrigens für viele bilaterale Missverständnisse.

Berichte, dass die Deutschen ihre Geschichte nicht aufgearbeitet hätten, ein "Viertes Reich" gründen wollen und dergleichen, sendet der Staatsfunk leider in den letzten Jahren immer öfter. Diese Beiträge wirken als PR-Maßnahmen für Reparationsforderungen, mit den Jaroslaw Kaczynski im Jahre 2017 vorstellig wurde und die laut Umfragen von mehr als der Hälfte der Polen begrüßt werden.

Das historische Denken erklärt auf der anderen Seite zudem die große Hilfsbereitschaft vieler Polen als die ukrainischen Flüchtlinge über die Grenzen kamen – die Auseinandersetzungen mit Russland sind tief im Bewusstsein wie auch der Wert der Solidarität, der Polen so ausmacht.

Dass sich die PiS so stark an die USA, genauer an die Republikaner anlehnen, hat ebenso geschichtliche Gründe.

So hatte der Republikaner Theodor Roosevelt zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Gründung eines polnischen Staates favorisiert. Es folgen Ronald Reagan mit seiner Konfrontationspolitik gegenüber der Sowjetunion, die beiden Bushs und schließlich Trump, der immerhin die Visa-Beschränkung für Polen aufhob.

Wenn auch derzeit die Regierung ihre enge Bindung an Joe Biden unterstreicht, so kommentierte Kaczynski nach dessen allgemein gehaltener Rede in Warschau Ende Februar abfällig: "Er hat ja gar nichts gesagt." Dennoch – die USA werden als der erste Garant der Ostgrenzen Polens gesehen.

Bedroht sieht die PiS die nationale Souveränität hingegen durch die EU-Kommission, die das Ausschalten der Gerichte oder die Errichtung von einer "Disziplinarkammer" nicht hinnehmen will.

Innenpolitisch sieht sich die Regierungspartei vor allem durch die Oppositionspartei Bürgerplattform gefährdet – und versucht krampfhaft, eine Verbindung zwischen der Widersacherin und dem Kreml herzustellen. Bei den einstigen deutschen Nord-Stream-2-Befürwortern wird ebenfalls die historische Deutschland-Russland-Verbindung gesehen.

Wahl zugleich Abstimmung über den Einfluss des Klerus

Auch Forderungen nach der gleichgeschlechtlichen Ehe sowie nach einer Liberalisierung der Abtreibungsgesetze werden als Gefahr für das traditionelle Polen wahrgenommen und bekämpft. Anders als in Russland gibt es aber in Polen Demonstrationsfreiheit für diese Gruppen, auch wenn es dabei zu Auseinandersetzungen kommt.

Derzeit verursachen die Enthüllungen um den 2005 verstorbenen polnischen Papst Johannes Paul II. Risse im Selbstbild von der heilen Welt von Kirche und Tradition. In seiner Zeit als Bischof und Erzbischof in Krakau soll der spätere Papst – damals noch unter dem Namen Karol Wojtyla – drei pädophile Priester gedeckt haben.

Die PiS sieht in der Reportage des privaten Senders TVN24 ein Angriff auf die polnische Souveränität. Der Wahltermin soll darum auf den 15. Oktober fallen, einen Tag vor dem "Papsttag". Am 16. Oktober 1978 war Wojtyla als erster Pole zum Papst gewählt worden. Der Urnengang wird so gleichzeitig zur Abstimmung über den schwindenden Einfluss des Klerus.