Fleischindustrie an der Grenze: Ausbeutung und Mafia-Methoden

Nicht nur Tiere leiden in der Fleischindustrie. Symbolbild: Jai79 auf Pixabay (Public Domain)

An der deutsch-niederländischen Grenze hausen Leiharbeiter aus Osteuropa prekär. Horrende Mieten und Transportkosten werden vom Lohn abgezogen. Doch das ist noch nicht alles.

Zwei Länder, zweierlei Recht: In niederländischen Fleischfabriken arbeiten Migranten aus Osteuropa – immer mehr von ihnen sind in deutschen Mietshäusern auf der anderen Seite der Grenze untergebracht. Miete und Transportkosten werden direkt vom Lohn abgezogen. Schriftliche Mietverträge gibt es in den meisten Fällen nicht.

Um mit den Missständen in der deutschen Fleischbranche aufzuräumen, hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor zwei Jahren gegen alle Widerstände ein Arbeitsschutzkontrollgesetz durchgesetzt. In Deutschland sind seither Werkverträge und Leiharbeit für das Kerngeschäft der Fleischfabrikanten verboten. Bei Subunternehmern angestellte Arbeitskräfte müssen in die Stammbelegschaften integriert werden.

Und bei jeder Einrichtung von Massenunterkünften sind seither Mindeststandards einzuhalten. Ende 2022 hatte das Gesetz zwar Wirkung gezeigt, dennoch blieben Arbeits- und Lebensbedingungen in der Branche höchst prekär.

Zudem gilt das Gesetz nur für Leiharbeiter, die auch in Deutschland arbeiten. All jene, die in den Niederlanden arbeiten und auf deutscher Seite wohnen, dürfen weiter ausgebeutet werden. Denn inzwischen hat sich entlang der deutsch-niederländischen Grenze ein neues System der Ausbeutung von osteuropäischen Leiharbeitern etabliert: Personalvermittler aus dem Ausland kaufen in Städten in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Immobilien auf oder mieteten sie an, um ihre Arbeiter dort unterzubringen, die auf der anderen Seite der Grenze Fleischbranche arbeiten.

Weil die Arbeiter in Deutschland untergebracht sind, können sich die Personalvermittler den scharfen Kontrollen des niederländischen Arbeitsschutzes entziehen. Somit greift das hier geltende Verbot der Leiharbeit in der Fleischbranche nicht. Die Folge sind desolate Wohnsituationen mit horrenden Mieten und willkürlichen Rauswürfen.

Bis zu 400 Euro "Miete" für eine Matratze

"Am meisten verdienen Leiharbeitsfirmen an den Unterkünften und am Transport", erklärte Pagonis Pagonakis vom DGB-Projekt Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten, im ARD-Format Report Mainz. Demnach zahlen die Arbeiter im Schnitt 350 bis 400 Euro für eine Matratze oder eine Pritsche. 50 Euro werden ihnen für die Fahrt zu den Betrieben abgezogen. Sie seien somit gnadenlos der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert.

Wer seinen Arbeitsplatz verliert, verliert auch sofort seine Bleibe. Aus diesem Grund gibt es in der Region immer wieder obdachlose Leiharbeiter. Zudem kennen die Arbeiter meist ihre Rechte nicht, weiß Sascha Ruelfs von der grenznahen Hilfsorganisation Goch hilft. Diese würden von den Arbeitgebern massiv eingeschüchtert und hätten teilweise Todesangst.

Einschüchterung bis hin zu Todesdrohungen

So wie im Fall eines Arbeiters, der in einer deutschen Unterkunft wohnte und in einer niederländischen Fleischfabrik arbeitete. Sein Arbeitgeber war eine Leiharbeitsfirma. Eines Tages habe die Firma ihn und seine Familie vor die Tür gesetzt und ihm gekündigt, wie er Report Mainz gegenüber berichtet. Die Familie war über Nacht obdachlos, bis sie in einem verlassenen Haus unterkam - ohne Wasser und Strom. Hier sei irgendwann ein Feuer ausgebrochen. Zwar konnte die Familie gerettet werden, doch war sie erneut obdachlos. Die Kinder kamen daraufhin in die Obhut einer Pflegemutter.

Ein anderer Fall ist der eines rumänischen Arbeiters, den das Fernsehteam antraf, kurz bevor er in sein Heimatland zurückkehrte. Er sei erkrankt und daher arbeitsunfähig gewesen, berichtete er. Trotzdem habe ihm der Koordinator befohlen, zur Arbeit zu erscheinen. Als er sich weigerte, befahl dieser ihm, seine Sachen zu packen und sofort abzureisen. Andernfalls werde er ihn umzubringen. Das war mitten in der Nacht, der Mann sei praktisch mittellos gewesen.

Razzien gegen Unterbringungen in NRW

Im vergangenen Jahr gingen die Behörden mit mehreren Razzien gegen menschenunwürdige Unterbringungen vor. So wurden im Oktober im Grenzort Gronau und Nachbarorten mit gewaltigem Polizeitaufgebot fünf Mietshäuser inspiziert.

Man wolle sich einen Überblick über die Situation verschaffen, um zu verhindern, dass Arbeitsmigranten auf Grund unterschiedlicher Rechtslagen ausgebeutet werden, erklärt die zuständige Ordnungsdezernentin gegenüber dem WDR. Außerdem wurden Arbeitsverträge und Auszahlung der Mindestlöhne überprüft. Erstmals war auch ein Team des rumänischen Arbeitsschutzes dabei.

Insgesamt wurden 42 Wohnungen kontrolliert. In 30 Fällen wurden Brandschutzmängel entdeckt, zudem Schimmel und fehlender Strom. Die Unternehmer hätten von den Bewohnern nicht nur viel zu hohe Mieten verlangt, sondern hätten sie auch abgeschottet und bedroht, hieß es.

Doch warum wohnen die Arbeiter, die in den Niederlanden arbeiten, nicht vor Ort? Die Antwort ist einfach: In den Niederlanden dürfen vom Lohn nur 25 Prozent für Miete und Gesundheitsfürsorge abgezogen werden, und das auch nur, wenn die Wohnbedingungen "angemessen" sind. Diese niederländische Gesetzgebung sei gut gemeint, erklärt Landesbauministerin Ina Scharrenbach im Interview.

Dies habe aber zur Folge, dass immer mehr Arbeiter in Deutschland untergebracht werden. Hier werde es den niederländischen Behörden erschwert, die Wohnbedingungen zu überprüfen. Daher sei es wichtig, dass die niederländischen Behörden bei den Razzien dabei seien. Diese sammeln alle Informationen, um genügend Handhabe gegenüber den Personaldienstleistern zu haben. So können sie, falls es zu Verstößen kommt, diesen die Genehmigungen entziehen.

Schwieriger sei es, gegen den Mietwucher vorzugehen. Immerhin: Die Wohnungen waren nicht mehr so überbelegt gewesen wie zu Beginn der Corona-Zeit. Die festgestellten Mängel waren diesmal zwar nicht so eklatant wie bei vorherigen Razzien, dennoch werden entsprechende Bußgeld- und Strafverfahren eingeleitet. Nach Angaben des NRW-Bauministeriums war dies landesweit die dritte große Kontrollaktion dieser Art.

Neue Wohnungsgesetze bleiben nahezu wirkungslos

In Nordrhein-Westfalen erließ die Landesregierung ein sogenanntes Wohnraumstärkungsgesetz. Wird der Wohnraum als "Unterkunft" für Leiharbeiter genutzt, müssen die Behörden informiert werden.

Allerdings: "Aufgrund mangelnder Kenntnisse über die tatsächlichen Bewohner können die zuständigen Behörden in Nordrhein-Westfalen […] weder sicherstellen, dass die Brandschutzvorschriften, Vorschriften der Bauordnung NRW sowie des neuen oben genannten Gesetzes noch die Anforderungen an die Unterbringung gemäß dem Arbeitsschutzgesetz eingehalten werden, erklärte das zuständige Ministerium auf eine entsprechende Anfrage von Report Mainz.

Man habe es hier mit strafrechtlichen Grenzen des Mietwuchers zu tun, der mit Gefängnis zwischen sechs Monaten und zehn Jahren bestraft werden könne, erklärt Klaus Körner vom Verein Würde und Gerechtigkeit, der die Leiharbeiter ehrenamtlich berät. Doch weil die Arbeiter praktisch nie Anzeige erstatten, kommt es meist gar nicht erst zu den Gerichtsverfahren. Die Menschen würden davon abgehalten, notfalls mit Gewalt, klagt der Rechtsanwalt.