10 Jahre später: Was wirklich hinter den Maidan-Protesten steckt

Ein Treffen vor der Hauptbühne des Maidan, initiiert von Aktivisten des Rechten Sektors, 13. April 2014. Bild: Аимаина хикари / CC BY-SA 3.0 Deed

Selenskyj bezeichnet den Maidan als "ersten Sieg" im Unabhängigkeitskampf. Aber worum ging es dabei wirklich? Hier die nicht erzählte Geschichte. Gastbeitrag.

Die revolutionäre Gewalt, die in der Nacht zum 21. Februar 2014 auf dem Kiewer Maidan-Platz ausbrach, entfesselte die Kräfte des ukrainischen Nationalismus und letztlich auch des russischen Revanchismus und führte unter anderem zum ersten umfassenden Landkrieg in Europa seit 1945.

Katrina vanden Heuvel ist Herausgeberin von The Nation.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Maidan als "ersten Sieg" im Kampf der Ukraine um die Unabhängigkeit von Russland bezeichnet. Doch in den Würdigungen der ukrainischen "Revolution der Würde" gehen allzu oft zwei einfache, wenn auch weitreichende Fragen unter: Worum ging es auf dem Maidan wirklich? Und musste es überhaupt so weit kommen?

Was war der Auslöser der Maidan-Revolution?

Ein Rückblick auf die Ereignisse von damals kann uns helfen, besser zu verstehen, wie es zu diesem schicksalhaften Moment im Weltgeschehen kam.

Was war der Auslöser für die Maidan-Revolution?

Im November 2013 lehnte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch die Bedingungen des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union zugunsten eines von der Russischen Föderation angebotenen 15-Milliarden-Dollar-Kreditabkommens ab. Viele im westlichen Teil der Ukraine hatten das EU-Abkommen unterstützt, da es ihrer Meinung nach die Zukunft der Ukraine in Europa gesichert hätte.

Aber die Europäer, US-Amerikaner, Ukrainer und Russen wussten sehr wohl, dass das Assoziierungsabkommen mit Brüssel nicht nur ein Handelsabkommen war. Abschnitt 2.3 der EU-Ukraine-Assoziierungsagenda hätte die Unterzeichner dazu verpflichtet:

... Maßnahmen zu ergreifen, um die militärische und technische Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine zu fördern [und] die direkte Zusammenarbeit bei konkreten, von beiden Seiten gemeinsam festgelegten Aktivitäten zwischen einschlägigen ukrainischen Institutionen und GASP/GSVP-Agenturen und -Einrichtungen wie der Europäischen Verteidigungsagentur, dem Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien, dem Satellitenzentrum der Europäischen Union und dem Europäischen Sicherheits- und Verteidigungskolleg zu fördern und zu erleichtern.

Das EU-Assoziierungsabkommen

Mit anderen Worten, das Handelsabkommen beinhaltete auch die Förderung der militärischen Interoperabilität mit Kräften, die von der russischen Regierung zu Recht oder zu Unrecht als Bedrohung für die nationale Sicherheit Russlands angesehen werden.

Ferner verlangte die EU-Assoziierungsagenda von der Ukraine, Handelsbarrieren gegenüber Russland zu errichten. Ein Alternativvorschlag von Romano Prodi (ehemaliger italienischer Ministerpräsident und Präsident der EU-Kommission) hätte der Ukraine den Handel sowohl mit Russland als auch mit der EU ermöglicht, wurde jedoch von Brüssel abgelehnt.

Die Ablehnung des EU-Abkommens durch Janukowitsch führte dazu, dass Tausende von Demonstranten auf den Kiewer Unabhängigkeitsplatz (Maidan) gingen. Politische Meinungsverschiedenheiten über Fragen des Handels und der nationalen Sicherheit können jedoch üblicherweise durch demokratische Verfahren beigelegt werden, wie dies auch in den USA und Europa der Fall ist.

Und eine solche Entscheidung war durchaus möglich, sogar noch am Morgen des 21. Februar 2014, als zwischen Janukowitsch und der ukrainischen Opposition eine von Russland und der EU vermittelte Vereinbarung getroffen wurde, die eine Überarbeitung der ukrainischen Verfassung, die Bildung einer Einheitsregierung und vorgezogene Präsidentschaftswahlen zehn Monate später im Dezember 2014 vorsah.

Die Falle, in die Obama tappte

Doch in der Nacht zum 21. Februar floh Janukowitsch, und eine neue Regierung wurde eher auf willkürlicher Basis als auf demokratischem Wege eingesetzt. Zu dieser Regierung gehörte auch die rechtsextreme Swoboda-Partei, deren Mitglieder einem damaligen Reuters-Bericht zufolge "fünf hochrangige Positionen in der neuen ukrainischen Regierung innehatten, darunter den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten".

Edmund Wilson schrieb einmal, dass "es nur allzu leicht ist, einen gesellschaftlichen Umbruch zu idealisieren, der in einem anderen Land als dem eigenen stattfindet." Tatsächlich war es die Falle, in die die Obama-Regierung – zusammen mit fast der gesamten Medien-, Experten- und Denkfabrik-Welt in den USA – unmittelbar nach dem Maidan tappte.

Kritiker des US-Kurses (und davon gibt es viele) sollten sicherlich fragen: Was waren die Alternativen für die Obama-Regierung gegenüber einer Unterstützung des Maidan und der postrevolutionären Regierung in Kiew?

Obama hätte sagen können: "Es wurde eine Vereinbarung getroffen. Haltet euch daran." Das hätte ein für einen US-Präsidenten ungewöhnliches Maß an Staatskunst erfordert. Aber, wie der Präsident der Eurasia Group, Ian Bremmer, nur einen Monat später bemerkte:

Es gab eine Abmachung mit den europäischen Außenministern. Diese Vereinbarung wurde aufgekündigt, und die USA waren sofort bereit, aufzuspringen, und zwar in einer Weise, die für jeden in der US-Regierung völlig inakzeptabel gewesen wäre, wenn wir auf der anderen Seite gestanden hätten.

Der Anti-Terror-Kampf von Kiew

Und so unterstützten die USA die Post-Maidan-Regierung (und die im April 2014 gestartete Anti-Terror-Operation (ATO)) gegen den größtenteils, aber natürlich bei Weitem nicht vollständig, von Ukrainern vor Ort ausgeführte Aufstand im Donbass. Damit begann die erste Phase des Krieges, die bis zum Abend des 24. Februar 2022 andauerte und 14.000 Tote und 1,5 Millionen Flüchtlinge kostete.

Neben der ATO verfolgte Kiew auch eine Politik, das kommunistische Erbe im Osten auszulöschen, eine "Entkommunisierung" (die Putin später als einen seiner vielen Vorwürfe gegenüber dem Post-Maidan-Kiew anführte). Und man weigerte sich wiederholt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen.

Wie der ehemalige US-Botschafter in der UdSSR, Jack F. Matlock auf Responsible Statecraft feststellte, "hätte der Krieg verhindert werden können – wahrscheinlich hätte er verhindert werden können –, wenn die Ukraine bereit gewesen wäre, sich an das Minsker Abkommen zu halten, den Donbas als autonome Einheit innerhalb der Ukraine anzuerkennen, Nato-Militärberater zu meiden und sich zu verpflichten, nicht der Nato beizutreten."

Die zweite Phase des Krieges begann am Abend des 24. Februar 2022 mit dem Einmarsch von rund 190.000 russischen Soldaten in die Ukraine. Die Kosten für die Ukraine sind immens.

Verheerenden Folgen und ignorierten Warnungen

Das Weltwirtschaftsforum schätzte kürzlich, dass sich die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine auf eine Billion Dollar belaufen werden. Mehr noch: "Etwa 20 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen des Landes sind zerstört und 30 Prozent des Landes sind mit Landminen oder nicht explodierten Kampfmitteln übersät."

Schätzungen der Opferzahlen gehören bekanntlich zu den am strengsten gehüteten Staatsgeheimnissen in Kriegszeiten, aber einige, wie der ehemalige ukrainische Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko, schätzen, dass die Ukraine in ihrem Krieg mit Russland insgesamt 500.000 Tote und Verwundete zu beklagen hatte. In der Zwischenzeit ist die Bevölkerung der Gesamt-Ukraine von 45,5 Millionen im Jahr 2013 auf heute schätzungsweise 37 Millionen gesunken.

Im Nachhinein betrachtet wurden die Warnungen einer kleinen Minderheit im Winter 2014, zu der unter anderem die vorliegenden Autoren, Professor Stephen F. Cohen, Anatol Lieven vom Quincy Institute, Botschafter Jack Matlock, Professor John J. Mearsheimer und andere gehörten, von der Obama-Regierung, den politischen Entscheidungsträgern, den Medien und den einflussreichsten Think-Tanks in Washington zurückgewiesen.

Der Versuch, die Ukraine durch revolutionäre Gewalt in den Westen zu bringen, obwohl ein Drittel des Landes dagegen ist, ist geradezu katastrophal gewesen.

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Hier das englische Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Katrina vanden Heuvel ist Präsidentin des American Committee for U.S.-Russia Accord (ACURA) sowie Redaktionsleiterin und Herausgeberin von The Nation. Sie schreibt eine wöchentliche Kolumne für die Washington Post und kommentiert häufig die US-amerikanische und internationale Politik für Democracy Now, PBS, ABC, MSNBC und CNN.

James W. Carden war während der Obama-Regierung als Berater des Sonderbeauftragten für zwischenstaatliche Angelegenheiten im Außenministerium tätig und schreibt für zahlreiche Publikationen. Er ist Mitglied des Vorstands von ACURA.