"10 Strategien der Manipulation" revisited
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Wie können ganze Bevölkerungen gelenkt werden?
Im Internet kursiert eine geschlossene Auflistung von "10 Strategien der Manipulation". Gemeint sind Strategien zur Lenkung ganzer Bevölkerungen. Als Autor wird mancherorts ein gewisser Sylvain Timsit benannt, anderenorts endet eine Suche wiederum beim französischsprachigen interdisziplinären Journal Les cahiers psychologie politique und als Autor wird Noam Chomsky aufgeführt.
Wer die Strategien letztlich umrissen hat, soll hier jedoch nicht mein Thema sein. Ob sie ursprünglich primär satirisch gemeint waren oder nicht, soll mir ebenfalls weniger bedeutsam sein. Entscheidender ist, dass die Strategien relativ schlicht, plausibel und - bei ein wenig Alltagsdistanz - gut beobachtbar scheinen. Hier dürften besonders jene Menschen zustimmen, die das politische Geschehen nicht allein durch Rückgriff auf die Mainstreammedien mit ihrer fragmentierten Themenauswahl und ihrem verkürzten, häufig rahmenlosen Informationsbombardement verfolgen.
Wer dies macht und die Welt dabei aus der Perspektive eines liberalen Pluralismus heraus betrachtet, demgemäß es in der Gesellschaft kein Machtzentrum, keine (längerfristig weitgehend geschlossene) Elite, keine Herrschaft gibt, sondern viele unterschiedliche Akteursgruppen, die ihren Einfluss einigermaßen ausgeglichen ausüben, so dass sich beim Angebot der Ideen jene durchsetzen, die den grundlegenden Interessen der Mehrheit entsprechen, werden die Auflistung wahrscheinlich eher ablehnen.
Im eigenadaptierten, mit Beispielen angereicherten Durchlauf:
Strategie 1: Umlenkung der Aufmerksamkeit
Das Stichwort lautet hier wohl "Unwesentlichkeit". Aufmerksamkeit ist eine sehr begrenzte Ressource, und wenn eine demokratische Gesellschaft so organisiert werden soll, dass relativ Wenige profitieren, während die meisten Anderen langfristig das Nachsehen haben, muss die Mehrheit mit solchen Dingen beschäftigt werden, die den Partikularinteressen nicht in die Quere kommen. Ein solcher Ablenkungszustand ist unter dem Begriff "Brot und Spiele" durch Juvenal schon der römischen Republik attestiert worden.
Wer nun einmal auf die Themenauswahl in TV, Radio, Zeitung oder auch in den eigenen oder den Gesprächen seiner Mitmenschen achtet, um sich dann zu fragen, welche Relevanz die einzelnen Themen wohl genau für das eigene oder eben das Leben der Mitmenschen haben, indem er oder sie hierbei den Fokus allerdings auf die Bedingungen zur Aufrechterhaltung einer langfristigen Daseinsfreude (z.B. im Sinne Epikurs) legt und dann überprüft, wie das Verhältnis von Beschäftigungszeit/Aufmerksamkeitsaufwand zu Lebensrelevanz ist, kommt vielleicht zur Erkenntnis, dass man von einer Art "Verkehrung" der Dinge sprechen kann.
Um es reißerisch zu machen: Sonderangebote im Supermarkt, Tabellenergebnis der Lieblingsmannschaft, Farbe der neuen Übergardinen, Liebesaffäre von Promi XY, Namenskuriosität des Nachbarkindes, Vorzüge von Halbfett- gegenüber normaler Margarine usw. usf. vs. Demontage der Bürgerrechte, Folter, sowie Drohnenmassenmord und Geheimkriege durch westliche "Vorbilder", fortschreitende Verankerung von Krieg, Rassismus und Prekarisierung in der Normalität, sowie die Verfälschung von Krisenursachen und Beförderung von Krisen durch Herrschaftsideologien usw. 1
Strategie 2: Der forcierte Zyklus von Problem, Reaktion und Lösung
Wenn jemand das Auto absichtlich zu tanken vergisst, in der Hoffnung, dass so die ungeliebte Verabredung für die Oper ins Wasser fällt, mag von einer Mogelei die Rede sein. Wenn jedoch Gesellschaftsprobleme geradezu fabriziert werden, um in der Bevölkerung ein spezifisches Orientierungsbedürfnis hervorzurufen, das dann eine Lösung in die von Anfang an gewünschte ideologische Richtung ermöglicht, wird ein schweres Verbrechen begangen, besonders dann, wenn sich die Lebensbedingungen der Menschen hierdurch verschlechtern.
Neoliberale Ideenträger sind hierbei sehr begabt, wie sich etwa am Beispiel der staatlichen Finanzierungsbasis zeigen lässt, die zunehmend zerstört wurde, wodurch die öffentlichen Schulden in die Höhe schnellten und unter Schützenhilfe von Medien und Unternehmerlobbies die nötige Angst erzeugten, um falsche Lösungen in Form von Schuldenbremsen durchzusetzen. Diese führen schließlich zu Folgeproblemen (Finanzierungsengpass, Wirtschaftsstagnation, weiterer Staatsschuldenanstieg), die als nachfolgende Lösung dann das altbekannte Privatisierungskonzept revitalisieren, zunehmend jedenfalls das Einflussfeld für das (massiv konzentrierte) Privatkapital stark erweitern dürften.
Dies heißt Privatisierung und Deregulierung und ein Kürzen der Staatsausgaben. Widerstand gegen das Abspecken des Staates auf der Ausgabenseite kommt von der Bürokratie und den Subventionsempfängern. Wahrscheinlich muß daher das Abmagern auf der Steuerseite ansetzen: Steuersenkungen zum Mobilisieren des Diktats der leeren Kassen. Dies läßt allerdings, wie die Erfahrung zeigt, die Staatsdefizite steigen.
Herbert Giersch, führender Neoliberaler, Wirtschafts"weiser" und Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, 1991
Auch in der momentanen "Eurokrise" lässt sich eine derartige Strategie gut beobachten. So werden durch Sozialkürzungen Wirtschaftseinbrüche forciert, die die Massenarbeitslosigkeit ansteigen lassen, wobei eingeleitete Tarifsystemdemontagen dann Lohnsenkungen befeuern, die wiederum zu Folgeproblemen und somit einer Erweiterung von Herrschaftswirkpunkten führen.2
Naomi Klein hat derartige Vorgehensweisen in ihrem Buch unter dem Titel "The Shock-Doctrine" an zahlreichen Beispielen aufgezeigt. Wer sich nun vor Augen hält, welchen Informationsvorsprung Eliten gegenüber ihren abgelenkten Bevölkerungen haben, besonders wenn Massenmedien als "vierte Gewalt" unter Ressourcenknappheit, sowie Faktoren der Kapitalbindung und unter Gesinnungsgleichklang agieren, braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, wie leicht sich Krisen, Katastrophen und sonstige Probleme in vielen Bereichen verschärfen und nutzen lassen.
Strategie 3: Abstufung von Veränderungen
Wie es für basale Größen (Licht, Druck, Schallstärke etc.) im Bereich der Wahrnehmung selbstverständlich ist, dass ihre Veränderung ein gewisses Ausmaß je Zeiteinheit übersteigen muss, um überhaupt bemerkbar zu sein, so hängt auch die Wahrnehmbarkeit politischer Veränderungsprozesse von deren Abstufung ab. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche etwa kann nicht per Krise von heute auf morgen eingeführt werden, vielmehr muss sie von einflussreichen Institutionen über Generationen hinweg kulturell sedimentiert werden, wenn schließlich das Kosten-Nutzen-, Markt- und Managementmodell zum totalen Gesellschaftsprinzip werden soll.
Auch im kleineren Maßstab werden derartige Techniken angewandt. Eine OCED-Veröffentlichung empfiehlt im Falle geplanter Kürzungen im Schul- und Universitätsbereich etwa, wegen der Gefahr von Protesten der betroffenen "politisch wachsamen" Gruppe, nicht die staatlichen Förderbeträge zu senken, sondern sie einfach nominal konstant zu halten, um durch Inflation oder die Einführung "administrativer Beschränkungen" (- die aufkommenden Mehrbedarf abwehren -) schrittweise das gleiche Ergebnis hervorzurufen.3 Dieser Inflationstrick durch Nicht-Steigerung von Nominalbeträgen kommt auch seit Längerem beim Abbau des Rentenniveaus zur schleichenden Anwendung.4
Strategie 4: Aufschub von Veränderungen
Sollen geplante Verschlechterungen der Bedingungen für einen Großteil der Bevölkerung eingeführt werden, gilt es, die vermeintlichen Gründe hierfür früh genug an den Horizont zu heften. Solange es noch nicht akut ist, wird die Zivilgesellschaft wenig Motivation aufbringen, die Behauptungen zu überprüfen, ist es akut, lässt sich auf eine Geschichte der Ankündigungen verweisen, die das konstruierte Problem als vertraute Tatsache erscheinen lassen.
Demographischer Wandel und globale Konkurrenz wurden hierzulande etwa frühzeitig ins Rampenlicht gesetzt (und entsprechend drapiert), so dass selbst in Zeiten des neoliberalen Dauerversagens Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen weiterhin als zwar "schmerzhafte", jedoch zeitgemäße Ideen erscheinen.
In der Zwischenzeit wurde die Marktlogik zudem so im Alltagsleben verankert, dass innerhalb ihrer engen Grenzwände Slogans wie "There is no alternative" (Margret Thatcher) oder "Das ist alternativlos" (Angela Merkel) nicht als Indikatoren für Demokratieunfähigkeit zur sofortigen Abwahl führen, sondern allenfalls verbale Restwiderstände hervorrufen.
Strategie 5: Anrede in Kindersprache
Will man unangenehme Inhalte verkünden, wird in der Politik einerseits gern auf Nullbotschaften zurückgegriffen, in denen verklausuliert und fehlbetont wird, so dass sich Beliebiges in das Gesagte hineindeuten lässt, jedoch ohne gezieltes Nachfragen – das häufig nur durch das Nadelöhr gestattet wird - keine Angriffsfläche für ernstzunehmende Kritik aufkommt.
Wird die Bevölkerung hingegen direkt angesprochen, bietet es sich an, das kollektive Gegenüber in die Kinderrolle zu zwängen, indem eine schlichte Sprache, die auf relevante Details verzichtet, in einen gönnerhaften oder auch fürsorglich-mitfühlenden Ton gekleidet wird. Menschen werden früh daran gewöhnt, bestimmten Rollenmustern zu entsprechen, die durch Umgebungsreize aktiviert werden. Und gerade in einer stark konservativen Gesellschaft, der klare Hierarchien und Verhaltensmuster eingraviert sind, dürfte diese Technik den gewünschten Erfolg in Form von Nicht-Hinterfragung und vertrauensseliger Hinnahme erzielen.