1001 Tage und Nächte: Der längste Streik Europas

Auf dem Transprarent steht "Novaltia ist ein Ausbeuter, die Apotheken spielen mit". Bild: Betriebsrat von Novaltia

Seit nun fast drei Jahren befindet sich die baskische Novaltia-Belegschaft im Ausstand und sie hofft weiter, den bisher längsten Streik Europas erfolgreich zu beenden

Im Baskenland sind lange Streiks wahrlich keine Seltenheit, einst bestreikten Beschäftigten der deutschen Firma Pferd-Rüggeberg erfolgreich 745 Tage die Filiale in Gasteiz (spanisch: Vitoria) gegen die Entlassungen von schwangeren Frauen.

Der Streik gegen die Novaltia-Filiale in Bilbao, einen der führenden spanischen Arzneimittelhändler, sprengt nun auch diesen Rahmen bei weitem. Seit nun 1001 Tagen befinden sich drei Viertel der Beschäftigten, vor allem in der Produktion und im Lager, im Streik.

Fast täglich protestieren sie vor dem Firmensitz oder den etwa 200 Apotheken in der baskischen Provinz Bizkaia, die von Novaltia beliefert werden, wozu hauptsächlich illegal auch Streikbrecher und weitere Tricks eingesetzt werden, wie das Betriebsratsmitglied Ibai Carranza im Telepolis-Interview schon einmal ausgeführt hatte: siehe "Seit zwei Jahren im Kampf für einen würdigen Tarifvertrag".

Im Hintergrund steht auch heute noch der Kampf der Beschäftigten für einen würdigen Tarifvertrag. "Wir haben eine Entscheidung getroffen: Wir wollten der prekären Beschäftigung ein Ende setzen", erklärt die Streikführerin Helka Fernández.

Bevor Vascofar von Aragofar übernommen und zu Novaltia wurde, verfügten die Beschäftigten über einen eigenen akzeptablen Tarifvertrag. "Mit der Finanzkrise und einem schlechten Management begannen die Probleme ab 2010", so der Betriebsrat Carranza. Er sitzt für die größte Gewerkschaft im Baskenland in dem Gremium.

Ohne die ELA-Streikkasse, über die spanische Gewerkschaften nicht verfügen, wäre ein solcher Ausstand unmöglich. Da in der Finanzkrise ständig das Damoklesschwert einer Schließung über der Firma hing, hatte die Belegschaft einst Lohneinschnitten von bis zu 30 Prozent zugestimmt.

"Weniger Lohn für die gleiche Arbeit"

Dass damit eine Art "Zweiklassensystem" eingeführt worden war, wollten die Beschäftigten ab 2018 nicht mehr hinnehmen. "Neue Beschäftigte erhalten seither viel weniger Lohn für die gleiche Arbeit." In den Tarifverhandlungen sollte deshalb die "doppelte Lohnskala" gekippt werden.

Statt wenigstens einen Kompromiss zu suchen, drehte Novaltia aber die Schrauben an und statt sich an den Haustarifvertrag zu halten, wendete man plötzlich einseitig einen noch schlechteren spanischen Tarifvertrag an. Das war seit einer Arbeitsmarktreform der konservativen Volkspartei (PP) möglich. Damit eskalierte Novaltia den Konflikt "und brachte das Fass zum Überlaufen".

Ein Einlenken sieht Carranza weiterhin nicht. Inzwischen spricht die Betriebsleitung offen von Entlassungen und Auslagerung eines Teils der Arbeit nach Aragon, erklärt er gegenüber Telepolis. Aus Aragon hatte Aragofar ins Baskenland expandiert. Einfach sei ein so ein langer Streik nicht, erklärt der Betriebsrat: "Er hinterlässt Spuren."

Und ohne die starke solidarische Unterstützung wäre der Streik über 1001 Tage und Nächte auch nicht zu leisten gewesen, weshalb sich die Streikenden ausdrücklich für die Solidarität bedanken. Die Streikfront stehe weiter fest zusammen und es stünden noch Urteile vor Gerichten aus, welche die Lage schnell, wie in anderen Streiks, beeinflussen könnten.

Um einen solch langen Streik zu führen, sei aber nicht allein eine Streikkasse und das Wissen wichtig, mit ELA und der kleineren LAB kämpferische gewerkschaftliche Unterstützung zu erhalten. Bedeutsam sei auch, auf erfolgreiche Kämpfe blicken zu können, von denen man zusätzlich Unterstützung erhält.

Mutmacher

Etliche Beispiele im Baskenland machen den Novaltia-Streikenden weiter Mut. Da war der lange Streik beim Rohrhersteller Tubacex. Fast acht Monate haben die Beschäftigten im vergangenen Jahr gegen die Entlassung von 129 Kolleg:innen gekämpft und gewonnen. 23 Millionen Euro hat der Streik die Firma gekostet, die lange nicht einlenken wollte.

Allerding wies der Tubacex-Betriebsrat gerade darauf hin, dass etliche Beschäftigte für die Teilnahme an Protesten über das "Maulkorbgesetz" Geldstrafen, die sich auf 15.000 Euro summieren, nun bezahlen sollen.

Drohung von Haftstrafen

Einige Beschäftigte werden sogar von Haftstrafen bedroht. Dieses Gesetz, so hatte die spanische "Linksregierung" versprochen, "sollte längst im Parlament gestrichen werden", erklärt der Tubacex-Betriebsrat. Das ist, wie im Fall der Arbeitsmarktreform nicht geschehen.

Während die Reform derweil ein klein wenig reformiert wurde, ist das repressive Maulkorbgesetz weiterhin unangetastet in Kraft und wurde in der Covid-Pandemie in fast zwei Millionen Fällen eingesetzt.

Erfolgreich konnte auch der Streik bei ITP Aero in Bilbao beendet und die Entlassung von 83 Beschäftigten abgewendet werden. Über mehr als ein Jahr zog sich der Arbeitskampf hin, bis ein Gericht die Kündigungen im Februar für nichtig erklärte.

Würde

Zuletzt hatten die Beschäftigten 70 Tage unbefristet gestreikt. Sogar 285 Tage mussten 13 Frauen das bekannte Guggenheim-Museum in Bilbao unbefristet bestreiken. Erst Ende März lenkte die spanische "Ferrovial Servicios" ein, an die das Museum die Reinigung ausgelagert hat.

In neun Monaten erstreikten die Frauen mit ELA-Unterstützung eine Lohnerhöhung um 20 Prozent und müssen nicht weiter für wenige Stunden antanzen, um das Museum zu reinigen. "Jetzt wird das Guggenheim noch sauberer", hat Carmen Casas bei der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz erklärt.

Für die ELA-Sprecherin Maite Leizegi ist das ein unglaublicher Erfolg im Kampf gegen prekäre Arbeitsbedingungen. "Die neun Monate waren hart, aber sie waren es wert", meint Casas und Leizegi fügt an: "Vor allem dienten sie dafür, mit Würde zu siegen."