19 oder 7 Prozent: Weg mit dieser Mehrwertsteuer!

Seite 2: Eine bessere Mehrwertsteuer muss her

Die Festlegung darauf, welche Güter und Dienstleistungen mit dem hohen (19 Prozent) und welche nach dem niedrigen (7 Prozent) Mehrwert-Steuersatz versehen sind, erscheint in Deutschland zum heutigen Stand ziemlich willkürlich und die Kriterien werden nicht klar kommuniziert.

Neben dem bereits bestehenden sozialen Entscheidungskriterium (Grundnahrungsmittel sollen für ärmere Menschen billig sein) sollten aber noch weitere Kriterien eine Rolle spielen. Etwa auf die Ökologie, die globale Gerechtigkeit oder die menschliche Gesundheit bezogene Aspekte.

Auch wenn die folgenden Vorschläge1 nicht perfekt sind und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sollen sie doch aufzeigen, wie eine Produktkategorisierung für eine bessere Mehrwertsteuererhebung aussehen könnte, wie sie von der vorgeschlagenen Kommission festgelegt werden könnte.

1. Stufe: Keine Steuer für Grundbedarf entsprechend der UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung (zumindest ihnen nicht entgegenstehend)

  • Öko-Lebensmittel aus Europa (pflanzlich)
  • Fair-Trade-Lebensmittel (Öko)
  • Fleischersatzprodukte (aus Öko-Landwirtschaft und vegan)
  • Getränke in Glas-Mehrwegflaschen
  • Leitungs- und Abwasser
  • Ökostrom
  • ÖPNV / Bahnreisen
  • Fahrräder (ohne Motor)
  • Fair hergestellte Kleidung
  • OpenSource-Software oder Support
  • Naturkosmetika
  • Nicht-Hormonelle Verhütungsmittel
  • Menstruations-Kosmetika
  • Eintrittskarten für Museen, Theater

2. Stufe: 15 Prozent. Normale Mehrwertsteuer für mehr oder weniger notwendige Dinge und/oder Dinge, deren Überkonsum verhindert werden soll

  • Grundnahrungsmittel (nicht bio, nur pflanzlich, keine Gentechnik)
  • Internet/Telefonie
  • Akkus für Kleingeräte (auswechselbar)
  • Müllentsorgung
  • Elektro-Fahrräder
  • Elektro-PKW (Kleinwagen)
  • Möbel
  • Recycling Kopierpapier, Klopapier, Küchentücher etc.
  • Kleidung
  • Gastronomie
  • DSGVO-konforme Online-Dienste
  • Haushaltselektrik (Staubsauger, Kühlschränke etc.)
  • Geschirr, Besteck, Küchen etc.
  • Gebühren für Zeltplätze
  • Wichtige Medikamente
  • Bücher, Zeitschriften, CDs/Musikdownloads, Konzerte u.s.w.

3. Stufe: 25 Prozent für Produkte oder Dienstleistungen, deren Konsum gering gehalten werden soll, da ihre Herstellung und oder Verbreitung gesamtgesellschaftlich hohe externe Kosten erzeugen, zu sozialer Ungerechtigkeit oder zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen beitragen.

  • Bier, Wein
  • Milchprodukte (Bio)
  • Fleisch (Bio)
  • Nahrungsergänzungsmittel
  • Papierprodukte aus Frischfasern
  • Getränke in PET-Flaschen oder Aludosen
  • Elektro-PKW (größer als Kleinwagen)

4. Erhöhte Mehrwertsteuer von 35 Prozent für Produkte oder Dienstleistungen, deren Konsum gering gehalten werden soll, da ihre Herstellung und oder Verbreitung gesamtgesellschaftlich sehr hohe externe Kosten erzeugen, zu massiver sozialer Ungerechtigkeit oder zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen beitragen.

  • Elektronische Geräte (Computer, Tablets, Fernseher, Stereoanlagen, Smartphones etc.)
  • Autos (Diesel/Benzin)
  • Flugreisen
  • Billigkleidung ("Fast Fashion")
  • Hochprozentiger Alkohol / Spirituosen / Alkopops
  • Fleisch, Leder (konventionell)
  • Fisch
  • Milchprodukte (konventionell)
  • Erdgas (konventionelle Förderung)
  • Nicht-DGSVO-Konforme Online-Dienste
  • Proprietäre Software
  • Atom- und Kohlestrom (Ab 10 Prozent im Strommix des Anbieters)
  • Plastikartikel für den Haushalt, Plastik-Spielzeug
  • Konventionelle Kosmetika (keine zertifizierten Naturkostmetika)
  • Hormonelle Verhütungsmittel
  • Frei verkäufliche Medikamente
  • Produkte, die vermeidbare umstrittene Substanzen enthalten wie BPA, Schwermetalle, Phthalate (Weichmacher, die das Hormonsystem beeinflussen) usw.

5. Deutlich höhere Steuern und Einzelregelungen für Produkte, deren Konsum ganz deutlich reduziert werden soll

  • Diesel (80 Prozent)
  • Benzin (80 Prozent)
  • Erdgas (aus Fracking) (70 Prozent)
  • Autos (SUVs mit Diesel/Benzin) (40 Prozent)
  • Gentechnisch veränderte Lebensmittel (auch Produkte, entstanden mit Gen-Tierfutter: 60 Prozent)
  • Kunstdünger, Pestizide (50 Prozent)
  • Bioethanol (insbes. aus Brasilien importiertes 90 Prozent)
  • Tropenholz (auch aus "Plantagen"-Anbau 90 Prozent)
  • Zigaretten (400 Prozent)

Eine weiter Prämisse sollte sein, dass gebrauchte oder Refurbished-Artikel in die jeweils geringere MwSt.-Kategorie einsortiert werden sollten. Also würde ein gebrauchter Elektro-Kleinwagen mit 0 Prozent versteuert werden, gegenüber dem neuen Elektro-Kleinwagen mit 15 Prozent Mehrwertsteuer.

Fragen, die zu klären wären...

Es stellt sich die Frage, ob es möglich ist, alle Produkte oder Produktkategorien einzeln nach ihrer Förderwürdigkeit oder Nicht-Förderwürdigkeit zu besteuern, oder ob es vielleicht sinnvoller wäre, mit sagen wir einem Warenkorb von 500 ausgewählten Produkten zu beginnen.

Geklärt werden müsste im Vorwege auch die Trennschärfe, mit der die Produkte kategorisiert werden. Ist beispielsweise ein günstiges Baumarkt-Klappfahrrad für eine Pendlerin genau mit dem selben MwSt.-Satz zu besteuern, wie ein High-End-Kohlefaser-Sport-Rennrad "Made in Belgium" für einen Profisportler? Hier wäre es wohl sinnvoll, die Kategorien nicht allzu stark unterteilt zu wählen, so dass die Übersicht nicht verloren geht.

Eine zu grobe Eingrenzung hingegen könnte den Nachteil haben, dass das China-Billigfahrrad in unserem Beispiel, für dessen Produktion Umwelt und Menschen massiv belastet werden, einen ebenso niedrigen Steuersatz im Laden hätte, wie sagen wir ein zertifiziertes Bambus-Fahrrad aus dem fairen Handel.

Andersherum könnte eine Überregulierung zu zu vielen verwirrenden Abstufungen führen. Zum Beispiel in 30 unterschiedliche Kategorien von Fahrrädern mit jeweils unterschiedlichen Steuersätzen, bei der kein Mensch, kein Unternehmen und vielleicht nicht einmal mehr der Staat hinterher käme, diese alle auseinander zu halten.

Neue Ideen haben viele Feinde

Dieser Artikel soll einen Denkanstoß geben, ohne den Anspruch zu haben, ein wasserdichtes und sofort zu 100 Prozent umsetzbares Gesamtkonzept zu bieten.

Im Lichte der Katastrophen, in denen sich die Menschheit befindet, ist es nun an der Zeit, mit radikaleren Ansätzen zu handeln, damit eine Trendumkehr gelingen kann. Sei es wegen des anziehenden Klimawandels und der durch ihn bereits ausgelösten beginnenden Naturkatastrophen, sei es aufgrund des massiven Artensterbens auf unserem Planeten infolge des menschlichen Raubbaus und der industriellen Landwirtschaft.

Oder sei es wegen der Vermüllung der Weltmeere, der Verseuchung des Trinkwassers mit Nitrat in vielen Regionen - oder in Bezug auf die soziale Katastrophe, ausgelöst durch den globalisierten Turbo-Kapitalismus. Ein Wirtschaftssystem, das auf der einen Seite extreme Armut in den Weltmarktfabriken sowie den abgehängten Regionen der Welt zur Folge hat - und auf der anderen Seite einen verbrecherischen Reichtum einiger weniger hervorbringt und legitimiert.

Als Reaktion auf die hier gemachten Vorschläge, kommt sicherlich der Standard-Einwand aus dem politisch rechten und neoliberalen Spektrum, solche Forderungen nach ökologischem und nachhaltigem Konsum könne man sich - und könnten sich insbesondere ärmere Menschen - nicht leisten. Auch sei das alles linker Hochmut oder gar "Selbstgerechtigkeit".

Es soll hier bereits präventiv betont werden, dass die Einführung eines solchen Mehrwertsteuersystems natürlich mit flankierenden Maßnahmen und wissenschaftlicher Begleitung angegangen werden müsste. Entsprechend müssten auch Standard-Warenkörbe und Sozialhilfesätze (Hartz 4 wird ja hoffentlich bald der Vergangenheit angehören) in diesem Zuge angepasst werden.

Außerdem ist es mit dem vorgeschlagenen System viel besser möglich, echte (überflüssige) Luxusgüter wie große PKW hoch zu besteuern und fördernswerte Güter des Grundbedarfs ganz ohne Mehrwertsteuer zu belassen. Damit hat dieses System viel mehr Potenziale, sozial gerecht zu sein, als das System, das wir haben.

Ein weiterer Einwand wird sein, das Ganze sei doch viel zu bürokratisch, man brauche schlanke Lösungen (und dann werde es der Markt schon richten). Dem ist entgegenzuhalten, dass Warenwirtschaft heutzutage elektronisch abläuft und daher eine Vielzahl von Mehrwertsteuer-Kategorien durch die Systeme problemlos abgebildet werden können.

Dies hat nicht zuletzt die vorübergehend reduzierte Mehrwertsteuer während der Corona-Krise 2020 bewiesen. Zudem ist das momentan bestehende Mehrwertsteuersystem bereits sehr kompliziert und unlogisch aufgebaut, jedoch weitgehend OHNE eine nützliche Wirkung für Mensch und Natur zu entfalten.

Zum Schluss...

Der Preis ist einer der wichtigsten Entscheidungsfaktoren für den Konsum von Produkten. Eine lenkende Mehrwertsteuer für einen progressiven Konsum auf allen Ebenen kann in diesem Sinne ein überaus effektives Instrument sein, um die Kaufentscheidung von Millionen von Menschen in eine ökologische und soziale Richtung zu bewegen.

Und zwar ohne, dass das Ganze allzu viele "Schmerzen" für die individuellen Bürger verursacht, da nichts verboten wird. Und ohne, dass wir alle sechs Monate über eine weitere Sondersteuer für dies oder eine Strafsteuer für jenes diskutieren müssen. Außerdem könnten wir uns endlich einiger antiquierter und wenig nachvollziehbarer Spezialsteuern wie der Kaffeesteuer aus dem 17. Jahrhundert entledigen.

Neben der politischen Regulation wie durch das Lieferkettengesetz können wir durch die vorgeschlagene Reform des Mehrwertsteuersystems zumindest auf der Konsumseite ein effektives Instrument schaffen.