19 oder 7 Prozent: Weg mit dieser Mehrwertsteuer!

Anlässlich der Bundestagswahl im September hier ein Vorschlag für ein rationales, demokratisches sowie lenkendes Mehrwertsteuer-System im Sinne des Wohles von Mensch und Natur...

Alle Jahre wieder wird eine neue Sondersteuer in der bundesdeutschen Öffentlichkeit diskutiert, die man doch auf Produkte erheben sollte, die Menschen, der Natur oder den Tieren schaden.

Immer wieder ploppt irgendwo ein Skandal auf und prompt folgen nach dem Schnellschuss-Prinzip einer überbeschleunigten Aufmerksamkeitsgesellschaft einzelne mehr oder weniger durchdachte solcher Forderungen etwa nach "Extra-Steuern", "Sondersteuern", "Strafsteuern" oder einer wahlweise reduzierten oder erhöhten Mehrwertsteuer auf einzelne Güter oder Dienstleistungen.

Die eine und der andere wird sich erinnern, wenn hier einige Beispiele für solche diskutierten Sondersteuern aufgelistet werden. Diese sollten, hieß es in der Vergangenheit immer wieder, doch bitte erhoben werden für:

  • Digitalkonzerne (mit Schlupflöchern beschlossen 2021)
  • SUVs (diskutiert 2020)
  • Fleisch (diskutiert 2020)
  • Glücksspiel (diskutiert 2020)
  • Billigfluglinien (diskutiert 2019)
  • Zucker (diskutiert 2018)
  • Milch (diskutiert 2016)
  • Hotelgastronomie (reduzierter MwSt.-Satz, 2009)
  • Alkopopsteuer (eingeführt seit 2004)

Auch wenn es zu begrüßen ist, den Konsum einzelner Güter steuerlich zu verteuern oder günstiger zu machen, ist es zum Verzweifeln, mit ansehen zu müssen, wie die allermeisten Berufspolitiker:innen des Landes sich mit solchen nicht zu Ende gedachten, aus den Fingern gesogenen Forderungen und Wahlkampfthemen im Klein-Klein verlieren. Anstatt mit mutigen Visionen und Konzepten voranzugehen, wie man denn nun zu neuen Möglichkeiten kommen kann, die Gesellschaft zu ändern und grundlegende Defizite des marktwirtschaftlichen Systems zu beheben.

Die organisch gewachsene Mehrwertsteuer heute

Die Mehrwertsteuer heißt in Deutschland offiziell Umsatzsteuer und ist eine sog. Verbrauchssteuer, wird also beim Kauf von Gütern oder Dienstleistungen erhoben. Sie besteht in Deutschland in zwei Abstufungen: einem Normalsatz von 19 Prozent und einem reduzierten Satz von sieben Prozent.

Der Sinn dieser Abstufung liegt unter anderem darin, dass der Konsum essenziell wichtiger Güter wie etwa von Lebensmitteln weniger vom Einkommen abhängig sein soll. Bekanntlich sind Nahrungsmittel, aber auch Bücher/Zeitschriften, ebenso wie ÖPNV-Fahrten mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent versehen.

Es gibt zudem einige erwähnenswerte Ausnahmen mit abweichenden Steuersätzen, etwa für medizinische Produkte, Wissenschaft und Bildung, einige Bereiche in Kultur und Sport. In diesen Bereichen wird keine Mehrwertsteuer erhoben. Auf der anderen Seite gibt es einen Wildwuchs von "kleinen" Sondersteuern, die zusätzlich auf Konsumgüter wie z.B. Sekt oder andere Alkoholika, Benzin oder Luxusartikel erhoben werden (Schaumweinsteuer, Brandweinsteuer, Kaffeesteuer, Benzinsteuer usw.).

Einige Abstrusitäten haben sich in das Mehrwertsteuersystem eingeschlichen, wenn Gewürze beispielsweise je nach Art und Mischung mal reduziert, mal mit der vollen Steuer versehen sind. Des Weiteren gibt es absurde Ausnahmen für Schnittblumen (7 Prozent) und Pferde (7 Prozent). Esel hingegen müssen mit 19 Prozent versteuert werden.

Weiterhin nicht sinnvoll ist, dass Schweinefleisch aus schlimmer Massentierhaltung mit De-Facto-Sklavenarbeit hergestellt, einen reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent hat, während eine Öko-Süßkartoffel mit 19 Prozent versteuert werden muss.

Warum das alles so ist? Man sollte lieber nicht nachfragen. Fakt ist, dass diese Steuer mit einem Anteil am gesamten Steueraufkommen mit knapp einem Drittel eine der wichtigsten Steuern in der Bundesrepublik ist und daher mehr Aufmerksamkeit verdient.

International wird die Mehrwertsteuer, also die Verbrauchersteuer, die Konsument:innen beim Kauf von Produkten oder Dienstleistungen entrichten müssen, überaus unterschiedlich gehandhabt. Insbesondere bestehen riesige Unterschiede bezüglich der Höhe jener Steuer.

Häufig bestehen innerhalb von Nationalstaaten abgestuften MwSt.-Sätze für unterschiedliche Produktkategorien - und oder es existieren regional unterschiedliche Sätze. Ein vollständig organisiertes politisch-wissenschaftliches System aber, nach dem diese Steuersätze in regelmäßigen Abständen für die Bürger:innen transparent verändert und neu festgelegt werden, scheint es aber weltweit noch nicht zu geben.

Lenkungsfunktion, dort, wo der Markt versagt

In welchen Bereichen ist eine Lenkung des Marktes notwendig? Dort, wo der Markt versagt - also in fast allen Bereichen könnte man zu sagen versucht sein. Auf der anderen Seite wird auch immer wieder betont, die Konsumentscheidungen der Verbraucher hätten das Potenzial, die Welt zu verändern (Lenkung durch Konsum wird auch Verbraucherpolitik genannt).

Aber reicht es aus, wenn einige Menschen bewussten Konsum betreiben, eine Mehrheit das aber nicht oder nur kaum tut?

Regulierung

Nein, es bedarf ganz offensichtlich einer Regulierung für eine wirkungsvolle politische Lenkung. Das sehen inzwischen sogar die lobbydurchsetzten Polit-Eliten der Bundesrepublik ein, die just in diesem Jahr 2021 das sogenannte Lieferkettengesetz beschlossen haben. Verwässert, aber immerhin beschlossen.

Eine lenkende Mehrwertsteuer sollte in diesem Sinne nicht als Ersatz für Regulierung gesehen werden, sondern als Ergänzung, um auch die Konsumseite effektiv in den Fokus zu rücken. Dies ist insbesondere deshalb keine schlechte Idee, zumal das Lieferkettengesetz recht kurz greift und unendlich viele Ausnahmen enthält für Unternehmen und Produkte, für die es nicht gilt.

Worum es in diesem Artikel gehen soll, ist der Vorschlag, die Festlegung der Mehrwertsteuer 1. entlang von vier anstatt nur zwei Hauptstufen mit einer größeren Spannweite festzulegen und 2. eine Klassifizierung von verschiedenen Produkten und Dienstleistungen von einer unabhängigen Kommission vornehmen zu lassen, welche Produkte, wie hoch besteuert, werden sollen.

Es bedarf einer unabhängigen Kommission

Lassen wir uns einmal auf ein Gedankenexperiment ein: Festgelegt werden sollen die MwSt.-Sätze zukünftig von einer Kommission. Natürlich sollte die Kommission unabhängig sein und nicht aus ausschließlich konformen Staats- und Regierungsdiener:innen bestehen (wie z.B. die KEF zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten).

Sinnvoll wäre eine Mischung aus ausgelosten Bürgern und Wissenschaftler:innen. Vorschlag: Sie soll bestehen aus nach dem Zufallsprinzip ausgewählten 30 Wissenschaftler:innen verschiedener natur- sozial- und geisteswissenschaftlicher Fachrichtungen sowie jeweils 15 zufällig ausgewählten Bürger:innen und Vertreter:innen von Nichtregierungsorganisationen. Die Kommission soll öffentlich tagen und namentlich abstimmen - für die maximale Transparenz alles live übertragen im Fernsehen und im Internet.

Die Kommission arbeitet mit Ausschüssen und Arbeitsgruppen und tagt wie eine Art Mini-Parlament. Sie diskutiert jeweils über den Zeitraum eines Jahres und legt per Mehrheitsentscheiden die Steuersätze von Produkten für den Zeitraum des nächsten Jahres fest - orientiert an den Zielen der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung.

Die in der Kommission vertretenden Personen werden von ihren Arbeitsstellen für den Zeitraum des Jahres bezahlt freigestellt. Sie wird dann im nächsten Jahr durch eine nachfolgende Kommission ersetzt, wobei dieses Rotationsprinzip verhindern soll, dass Strukturen entstehen, in deren Rahmen Zwischenabsprachen, Einflussnahme von Außen oder sogar Korruption entstehen können.

Insbesondere in Zeiten, in denen verstärkt über die demokratische Legitimation des politischen Systems diskutiert und gestritten wird, sollten innovative Ideen wie das in diesem Artikel vorgestellte Konzept ausprobiert werden. Bisher gibt es weltweit wohl keine Erfahrungen mit einer solchen vorgeschlagenen Kommission, aber es wäre einen Versuch wert. Wenn sich ein solches System als nicht praktikable erweisen sollte, kann es ja wieder zu den Akten gelegt werden.