2-G-Regel: Bundestagsgutachten warnt vor Ausschluss von Ungeimpften

Café in Hamburg – Ungeimpfte müssen draußen bleiben. Ist das rechtens? Bild: Jorge Franganillo, CC BY 2.0

Juristen im Deutschen Bundestag bewerten die 2-G-Pläne der Regierung. Pauschale Einschränkungen für Ungeimpfte verletzen Grundrechte, so die Experten

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat den Vorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn, CDU, kritisch bewertet, nichtgeimpfte Bürgerinnen und Bürgern dauerhaft zu sanktionieren.

Unbefristete Kontaktbeschränkungen und die Begrenzung der Teilnahme oder gar ein grundsätzliches Zugangsverbot für Veranstaltungen und die Gastronomie könnte auf der einen Seite einen "schwerwiegenden Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit" der Betroffenen darstellen, heißt es in dem neunseitigen Gutachten, das der Telepolis und der Berliner Zeitung am Wochenende exklusiv vorliegt.

Lesen Sie das Originalgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes am Ende dieses Artikels, downloadbar als Pdf.

Spahn hatte dem Bundestag und den Ländern Anfang dieses Monats Vorschläge zur Eindämmung der vierten Infektionswelle gemacht. Darin empfahl er bundesweit geltende pauschale Einschränkungen für Personen, die sich ungeachtet der bestehenden Möglichkeiten nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 impfen lassen.

Die Vorlage des Gesundheitsministers schlägt für diesen Personenkreis grundsätzliche Kontaktbeschränkungen und einen Ausschluss von Veranstaltungen und der Gastronomie vor, auch mit negativem Test. Allgemein bekannt ist der Vorstoß als 2-G-Regel.

Mit Verweis auf das Hausrecht könnten Gastronomen und Veranstalter nur Geimpfte und Genese zu ihren Räumen Einlass gewähren. Von der mitregierenden SPD und Oppositionsparteien wurde die Verfassungskonformität des Vorstoßes umgehend angezweifelt.

Ausschluss stelle schwerwiegenden Eingriff in die Handlungsfreiheit dar

Die Bundestagsjuristen stützen Spahns Kritiker nun. Zwar seien Einschränkungen von Grundrechten sowie der Handlungs- und Bewegungsfreiheit angesichts einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite unter bestimmten Bedingungen grundsätzlich rechtmäßig.

Jedoch stelle der Ausschluss einer gesamten Bevölkerungsgruppe von sozialen und kulturellen Aktivitäten "an sich einen schwerwiegenden Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit dar", heißt es mit Blick auf die Ungeimpften. Dies wiege umso schwerer, je größer die Reichweite der Maßnahme sei.

"Sollten jegliche Veranstaltungen sowie die ganze Innengastronomie von einer sogenannten 2G-Regelung erfasst sein, wird es ungeimpften Personen in erheblichem Maße erschwert, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen", schreiben die Bundestagsexperten. Auch sei zu bedenken, dass im Herbst und Winter soziale Aktivitäten vermehrt in den Innenbereich verlegt würden.

Achim Kessler von den Linken: Massive Aufklärung ist effektiver

Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit der Veranstalter und Gastronomen wiegt dem Gutachten zufolge schwer, wenn diese einen signifikanten Teil der Bevölkerung nicht bewirten dürften. Mit seinem restriktiven Ansatz habe sich Spahn erneut "als unfähig erwiesen, einen Weg aus der Pandemie heraus zu weisen", sagte gegenüber Telepolis und Berliner Zeitung am Wochenende der Linke-Gesundheitspolitiker Achim Kessler, der das Gutachten beantragt hatte.

Kessler schlägt dementgegen Tests als Zugangsvoraussetzungen für Ungeimpfte vor. Sie seien geeigneter und zudem besonders zuverlässig für die Erkennung einer Infektion. "Indem der Gesundheitsminister unverhältnismäßig Druck auf Menschen ausübt, die sich nicht impfen lassen können oder wollen, spielt er in die Hände von Impfgegnern", fürchtet Kessler. "Dadurch lassen sich vielleicht Wählerstimmen gewinnen, aber keinesfalls lässt sich so die vierte oder fünfte Welle im Interesse der Mehrheit der Menschen verhindern."

Kessler will stattdessen Menschen mit geringem Einkommen und wirtschaftsschwache Regionen in den Blick nehmen, "um durch massive Aufklärung, umfangreiche Informationskampagnen und niedrigschwellige Impfangebote wieder mehr Fahrt im Kampf gegen das Coronavirus aufzunehmen".

Impfpflicht durch die Hintertür?

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es aktuell einzelne Bundesländer, die den Druck auf Ungeimpfte weiter ausfahren wollen oder dies schon tun. Der Hamburger Senat etwa hat am Dienstag ein sogenanntes 2-G-Optionsmodell beschlossen, das es Publikumseinrichtungen gestattet, nur noch Geimpfte oder Genesene in ihre Räume zu lassen.

Den Gastronomen steht es frei, sich für das 2-G-Modell zu entscheiden. Wenn ein Gastronom entscheidet, dass nur Genesene und Geimpfte in seine Räume eintreten dürfen, dann müssen sie sich auch nicht länger an Abstands- oder Maskenregeln halten, so das Modell.

Wenn Gastronomen sich wiederum für das 3G-Modell entscheiden und auch negativ Getestete in ihre Räume lassen, müssen alle Hygiene-, Abstands- und Maskenregeln wie gewohnt eingehalten werden. Das Pikante: Beim 2-G-Modell sind auch Menschen eingeschlossen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Das heißt, dass sie - etwa wie jetzt in Hamburg - Räume nicht betreten dürfen, die unter die 2-G-Regel fallen.

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher, SPD, sagte, dass viele Hamburger mindestens einmal geimpft seien, sie würden keine große Rolle beim Infektionsgeschehen spielen, daher wolle man ihnen den Alltag erleichtern. Kritiker sehen das aber als Problem, weil sie hinter der 2-G-Regel, für die jetzt auch Gesundheitsminister Jens Spahn wirbt, eine Impfpflicht durch die Hintertür vermuten. In Hamburg begrüßte die CDU den Vorstoß, AfD und FDP gelten als Kritiker der neuen Regeln.

Nach wie vor geht Jens Spahn davon aus, dass die 2-G-Regel bundesweit folgen wird. Negativ Getestete würden dann von Vorzügen und Erleichterungen ausgeschlossen. Die verschärften Corona-Regeln seien aber nicht als Zwangsverordnung geplant. "2-G wird in vielen Bereichen ohne staatlichen Eingriff kommen", sagte Jens Spahn im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

"Und zwar, weil Veranstalter und Gastronomen von Ihrem Hausrecht Gebrauch machen." Spahn wolle also privaten Betreibern und Veranstaltern die 2-G-Regel erlauben, um ihnen den Alltagsbetrieb zu erleichtern. Zugleich solle damit auch ein Anreiz fürs Impfen geschaffen werden. Auch Karl Lauterbach von der SPD macht sich für das 2-G-Modell stark. Er plädiert dafür, die Regelung auch in vollen Zügen und Büros anzuwenden.

PDF: Verfassungsrechtliche Bewertung des Ausschlusses Ungeimpfter von Veranstaltungen und in der Gastronomie

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.