50 Jahre gegen "Schmutz und Schund"
Zum "Goldenen Jubiläum" der Bundesprüfstelle
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) wird 50 Jahre alt. Viele Kritiker meinen, das reiche auch, denn ihre "Giftschrankpraxis" sei angesichts eines erweiterten Kunstbegriffs im Zeitalter der neuen Medien ebenso antiquiert wie ihr bewahrpädagogischer Ansatz. Andererseits sieht es ein Land der Mülltrenner und Joghurtbecherausspüler nicht ungern, wenn sich eine staatliche Stelle auch um den scheinbaren medialen Müll kümmert. Zwar gewährt Artikel 5 des Grundgesetzes die Meinungs- und Kunstfreiheit. Zum Schutz der Jugend darf sie allerdings eingeschränkt werden. "Eine Zensur findet nicht statt." Alles Weitere regeln die Gesetze.
Bei der BPjM handelt es um eine typisch deutsche Einrichtung, denn diese so genannte "Bundesoberbehörde" mit gerichtsähnlicher Funktion ist weltweit einzigartig. Seit 1954 machen es sich Berufsbesorgte zur Aufgabe, gefährdungsgeneigte Halbwüchsige vor "Schmutz&Schund" zu bewahren, indem sie bis auf Tageszeitungen und Radio-/TV-Sendungen praktisch alle Medienobjekte "indizieren" können. Somit unterliegen sie einem Jugendverbot und weit gehenden Vertriebsbeschränkungen. Filme sind dann immer noch in Videotheken greifbar; Printmedien und Tonträger aber verschwinden oft vom Markt, da sie nicht beworben, per Post verschickt oder bei eBay angeboten werden dürfen. Und ein "Giftschrank" für Bückware kommt für Buchhändler kaum in Frage.
Was genau "Schweinkram" ist, unterliegt zeitgeistbedingten Ansichten. Und die ändern sich. Anhand der Indizierungen ließe sich die Sittengeschichte nachzeichnen, nur kennt halt kaum noch jemand all die Fälle, da Zensur oft dazu führt, dass auch das vergessen wird, was untersagt wurde. Index und Bundesprüfstelle: von Lehrern geliebt, von Verlegern gefürchtet, von Sammlern geschätzt. Denn seit dem "Index Romanus" (1559-1966) der katholischen Kirche werden solche Listen immer auch als Wegweiser zu den spannenden Medien genutzt.
Sicherung der staatlichen Ordnung
Bereits im Gründungsjahr der Bundesrepublik 1949 regte F. J. Strauß ein "Bundesgesetz gegen Schmutz und Schund" an, aus dem 1953 das "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften" (GjS) hervorging. Viele Kritiker empfanden den Antrag angesichts allgemeiner Notlage nach Kriegsende als ziemlich absurd und fürchteten die Gefahr einer politischen Zensur. Erich Kästner meinte 1950 als Sachverständiger vor dem Bundestag:
Wenn's schon nicht gelingt, die tatsächlichen Probleme zu lösen, die Arbeitslosigkeit, die Flüchtlingsfrage, die Steuerreform, dann löst man geschwind ein Scheinproblem. Hokuspokus - endlich ein Gesetz! Endlich ist die Jugend gerettet! Endlich können sich die armen Kleinen am Kiosk keine Aktphotos mehr kaufen und bringen das Geld zur Sparkasse.
Verhindern konnte Kästner das gegen die Stimmen von SPD und KPD verabschiedete "GjS" freilich nicht. Vielmehr setzte sich die Ansicht des CDU-Familienministers Würmeling durch:
Mit Bürgern, die sich hemmungslos dem Genuß hingeben und keine ethische Gedankenwelt mehr kennen, kann keine staatliche Ordnung ihre Aufgaben erfüllen.
Damit es nach den Erfahrungen mit der "Sünderin" nicht so weit kommt, wurde am 18. Mai 1954 in der tiefsten Adenauer-Ära die Bundesprüfstelle gegründet, um das GjS (ein so genanntes "Spezialpolizeirecht" und "Vorbeugungsgesetz") auszuführen.
Comics zählten zu den ersten "Opfern"
In wechselnder Besetzung bestimmt seitdem ein Dreier- oder 12er-Gremium, die jeweils aus der Vorsitzenden (seit 1991 Elke Monssen-Engberding) und ehrenamtlichen Beisitzern aus gesellschaftsrelevanten Gruppen wie Kirche, Jugendpflege, Buchhandel etc. bestehen, darüber, was der Öffentlichkeit zugemutet werden kann. Auftrag der BPjM ist schließlich die Reinhaltung der Jugendseelen im Sinne der christlich-abendländischen Tradition. Im § 1 des GjS heißt es:
Schriften, die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden, sind in eine Liste aufzunehmen.
Und die wurde im Lauf der Zeit dank deutscher Gründlichkeit rund 15.000 Titel lang. Was kaum jemand weiß, denn die Titel der Neuzugänge werden nur im "Bundesanzeiger", die jeweils aktuellen Listen im amtlichen Mitteilungsblatt "BPjM-Aktuell" veröffentlicht. Auch wenn sich die Spruchpraxis geändert hat - den Ruf einer konservativen "Pharisäervereinigung der Kolle-Jahre" (Roger Willemsen) konnte die BPjM nicht abschütteln.
Da allerdings bis heute niemand so ganz genau weiß, was denn wen warum wie zerrüttet, und die Gefährdungsannahme nicht bewiesen werden muss, wurde erst mal lustig drauf los indiziert. Anfangs galt es vor allem die aus den USA kommenden Comics zu bewältigen. Als eines der ersten Prüfobjekte wurde am 15.6.1954 der Western-Comic "Der kleine Sheriff" auf den Index gesetzt: Hier würden Grausamkeiten, Verbrechen und Gewalttaten Jugendliche verrohen. Aus ähnlichen Gründen folgten rasch "Tarzan"-, "Akim"-, "Sigurd"- und andere Hefte. Um ein Verkaufsverbot am Kiosk zu vermeiden, übten Verlage Selbstzensur und retuschierten blanke Brüste oder Waffen und zu aufregende Kampfszenen.
Waren es anfangs eher schlüpfrige Literatur, freche Kartenspiele oder laszive Kugelschreiber mit Pin-up-Girls, so wandelten sich Feindbilder und Eingriffsrelevanz mit dem Zeitgeist: Was die Kommunisten in den Fünfziger Jahren waren, wurden "Sex and Drugs and Rock'n'Roll" seit den 68ern oder dem RAF-Terrorismus der späten 70er. So indizierte man Bücher über den Hasch-Selbstanbau, "Das Lexikon der subversiven Phantasie" oder "Die Gebrauchsanleitung zum Selbstmord".
Die Reihe recht alberner Entscheidungen ist lang: Neben de Sades "Philosophie im Boudoir" (1963), Sacher-Masochs "Venus im Pelz" (1958) und Josefine Mutzenbacher (1968) kamen auch Henry Millers "Opus pistorum" (1988), Timothy Learys "Politik der Ekstase" (1981), Nancy Fridays "Die erotischen Phantasien der Frauen" und Bret Easton Ellis' "American Psycho" (indiziert von 1995-2000) auf den Schriften-Index, der aktuell über 500 Titel umfasst.
Selten versteht die BPjM Ironie und Zeitgeist
Jedes neue Medium ruft den Staat auf den Plan. Schon 1976 indizierte die Prüfstelle den "Schulmädchenreport" als Schmalfilm. Der Wertewandel z.B. durch die Liberalisierung der Pornografie in den 70er Jahren rückte das Thema Gewalt ins Jugendschutzzentrum. Neben "moralethisch" kamen "sozialethisch desorientierende" Gründe hinzu. Kohls geistig-moralische Wende ab 1982 kollidierte mit der Einführung des Privatfernsehens und des "Schmuddelmediums" Video, das es leicht machte, die Filme zu kopieren und zu verbreiten, die es aus guten Gründen nicht ins Kino schafften. Derzeit stehen über 2.850 Videos/DVDs auf dem Index, darunter auch Meilensteine wie P. P. Pasolinis "Salò", Andy Warhols "Frankenstein" und "Dracula", John Carpenters "Das Ende" und "Das Ding" und Wes Cravens "Scream" und "Trio Infernal" mit Romy Schneider. Wer jetzt meint, er habe die doch schon im Fernsehen gesehen, der hat nur zum Teil Recht. Denn laut Staatsvertrag dürfen indizierte Filme des Nächtens lediglich in entschärfter Fassung ausgestrahlt werden.
Gerichtlich verbotene - auch davon gibt es Hunderte, z.B. "Braindead", "Tanz der Teufel", "Texas Chainsaw Massacre" und aktuell "Blood Feast" von 1963 (!) - dürfen nicht einmal gehandelt werden, obwohl sie unter Cineasten als Klassiker gelten. Und selbst Frank Trebbins Filmlexikon "Die Angst sitzt neben Dir" (als CD-ROM) wurde vom Amtsgericht Tiergarten beschlagnahmt.
Zudem indizierte man reichlich Heavy-Metal- und später Skinhead-Platten. Und seit den 90er Jahren stellen PC-Spiele, Internet und DVD neue Gefahrenquellen dar, die es juristisch, bürokratisch und sozialpädagogisch zu kanalisieren gilt. Wegen unerwünschter Werbewirkung werden die Internet-Adressen indizierter "Telemedien" (Online-Angebote) nicht mehr veröffentlicht.
Die Liste fragwürdiger Entscheidungen wäre lang: sei es im Musikbereich der Jugendbann gegen mehrere Platten der Punk-Band "Die Ärzte" in den 80er Jahren, von "Fanta 4" in den 90ern oder aktuell die Anträge gegen drei CDs der HipHopper von Aggroberlin; sei es die Indizierung des Ausstellungskataloges "Black Low" von Bjarne Melgaard und "Mein erstes Shopping-Buch" u.a. wegen des Ratschlages "Lehne gebastelte Geschenke ab". Dies sei eine Aufforderung zu blindem Markenkonsum. Selten versteht die BPjM Ironie und Zeitgeist und wittert reflexhaft ein Gefährdungspotenzial.
Grundsätzlich ist der Jugendschutzgedanke etwa bei rechtsextremen, fremdenfeindlichen und gewaltauffordernden Inhalten sinnvoll, da popkulturelle Medien Vorbildfunktion für das noch nicht gefestigte Weltbild von Minderjährigen haben. Fraglich scheint, ob der mittelalterliche Index geeignet ist, die notwendige moderne Medienkompetenz zu fördern. Unter der Käseglocke von Jugendverboten kann man Heranwachsende kaum auf die Erwachsenenwelt vorbereiten. Zur Medienbeurteilung gibt es Selbstkontrollinstanzen, und für strafbare Inhalte wie Kinderpornografie, Rechtsextremismus und Terrorismus sind die Gerichte zuständig.
Einiges änderte sich bereits: 2003 wurde das GjS in das neue Jugendschutzgesetz ("JuSchG") integriert. Nun kann die BPjM auch ohne Anträge von Jugendämtern etc. selbsttätig indizieren, allerdings keine Objekte, die von anerkannten Selbstkontrollgremien wie der FSK (Filme) oder der USK (PC-Spiele) gekennzeichnet sind. Selbst Medien mit dem Vermerk "Keine Jugendfreigabe" (früher "ab 18") sind für die BPjM tabu. Allerdings erhalten "schwer jugendgefährdende" Inhalte eh keine Freigabe und dürfen weiterhin ebenso indiziert werden wie ungeprüfte oder ausländische Versionen. Und man gab den Ewigkeitsanspruch auf: Statt wie bisher "Verwaltungsakte mit Dauerwirkung" herbeizuführen, werden Indizierungen nun nach 25 Jahren aufgehoben, es sei denn, die Vorsitzende nimmt sie erneut in die Liste auf. Ob es sich bei der Bundesprüfstelle um ein Auslaufmodell der Gründerzeit handelt und die Amtsschimmel gegen die Windmühlen der Kulturindustrie bereits verloren haben, wird sich zeigen.
Roland Seim ist Kunsthistoriker, Soziologe, Online-Redakteur, Autor und Verleger. Er ist Gründungsmitglied von Medialog e.V. - Verein zur Förderung von Medienkompetenz.