Ablenkung oder Himmelfahrtskommando? Der fragwürdige Vorstoß der Ukraine nach Russland

Relief der Schlacht bei den Thermopylen

Spartaner bei den Thermopylen: Am Ende waren alle tot. Bild: Joaquin Ossorio Castillo, Shutterstock.com

Die Mini-Invasion wirft viele Fragen auf. US-Regierung sucht noch nach Antworten und Experten spekulieren. Ein Kommentar.

300 Soldaten, elf Panzer und gut 20 gepanzerte Fahrzeuge – was bezwecken diese ukrainischen Truppen in Russland? Diese Frage stellen sich Beobachter und Experten in aller Welt seit Beginn der Mini-Invasion am Dienstagmorgen.

Denn die Kommandoaktion ist aufsehenerregend und nebulös zugleich. Aufsehenerregend, weil zum ersten Mal seit Beginn des von Russland provozierten Krieges ukrainische Truppen sichtbar auf das Territorium des Aggressors vorgedrungen sind.

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Nebulös, weil sich Regierung und Armeeführung in Kiew so hartnäckig über den Angriff ausschweigen, dass er in Teilen der internationalen Presse bereits infrage gestellt wird.

Ein Sprecher des Weißen Hauses kündigte am Mittwoch an, die Regierung von Präsident Joe Biden werde sich mit der Militärführung in Kiew in Verbindung setzen, um die "Ziele" der jüngsten Operation der ukrainischen Streitkräfte zu verstehen.

"Wir werden uns mit dem ukrainischen Militär in Verbindung setzen, um mehr über ihre Ziele zu erfahren", sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, Reportern auf die Frage nach der Operation. Bidens Team unterstütze "vernünftige" Maßnahmen der Ukraine, um die Angriffe der russischen Streitkräfte zu stoppen, fügte Jean-Pierre hinzu.

Und das ist schon etwas: dass selbst die US-Regierung nicht weiß, was an der Grenze der Ukraine zum russischen Oblast Kursk passiert.

Über allem schwebt die Frage nach dem Sinn: Gestern und heute wurde teilweise mit anerkennendem Unterton berichtet, dass die ukrainischen Soldaten gut zehn Kilometer nach Russland vorgerückt seien. Aber: nach Russland! In einem Flächenstaat also mit mehr als 17 Millionen Quadratkilometern und einer der weltweit größten Armeen.

Nicht wenige haben dieser Tage die Analogie zu Zack Snyders Comicverfilmung "300" gezogen, in der es um die von Anfang an zum Scheitern verurteilte Schlacht der Spartaner gegen die persischen Truppen unter Xerxes bei den Thermopylen um 480 vor unserer Zeitrechnung geht.

Dazu muss man wissen: Die Spartaner waren am Ende alle tot.

Was also ist das für eine ukrainische Aktion? Am ehesten ein Himmelfahrtskommando, um russische Truppen zu binden. Vielleicht will Kiew den Mythos der russischen Unverwundbarkeit infrage stellen. Aber das ginge auf Kosten eines anderen Narrativs; jenes nämlich der Ukraine als Opfer; als Land, das Unterstützung verdient und einer Übermacht gegenübersteht. Oder ist es das letzte Aufbäumen einer zerbrechenden Armee, die mit Materialmangel und Desertion zu kämpfen hat?

In Deutschland dürften sich vorwiegend in der Regierungspartei SPD jene Akteure bestätigt fühlen, die zur Vorsicht bei weiteren Lieferungen schwerer Waffen mahnten und mahnen. Die Ukraine – und das ist keine moralische Frage, sondern eine nüchterne Betrachtung – ist bereit, sich mit allen Mitteln und bis zum letzten Mann gegen Russland zu verteidigen. Naiv ist, wer glaubt, dass dazu nicht auch westliche Waffen gehören.