Abnutzungskrieg in der Ukraine: "Rein militärisch kommen wir da nicht mehr heraus"

Seite 2: Waffenstillstandsforderungen: "Ein Verrat an die Ukraine"?

Wenn ein Waffenstillstand vorgeschlagen wird, heißt es, man falle den Ukrainern damit in den Rücken, das sei ein Verrat, das Land müsste der Gewalt weichen. Was würden Sie dazu sagen?

Erich Vad: Das ist nicht richtig. Dieser Abnutzungskrieg führt auch dazu, dass die Ukrainer etwas verteidigen, was es am Ende vielleicht gar nicht mehr gibt. Es gibt jetzt schon über 200.000 Gefallene auf beiden Seiten, 50.000 Ziviltote.

Wir haben eine immense Flüchtlingsbewegung. Es gibt Tausende junge Männer – in Russland wie in der Ukraine – , die sich dem Wehrdienst in diesem Krieg entziehen wollen. Es gibt gleichzeitig in der Ukraine die achte Mobilisierungswelle, auch die 60-Jährigen werden zu den Waffen gerufen. Die russische Seite hat ein vergleichsweise viel größeres Mobilisierungspotenzial, das Putin noch gar nicht ausgespielt hat.

Man kann nur hoffen, dass es nicht dazu kommt, dass auch Russland wie die Ukraine eine Generalmobilmachung und eine Neuauflage des "Großen Vaterländischen Krieges" ausruft. Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt.

Die Situation ist militärisch nicht zu drehen. Rein militärisch betrachtet kann man sie nur drehen, wenn die Nato als ganzes Russland den Krieg erklärt. Aber das will derzeit niemand. Dann hätten wir erst recht das große Risiko eines Nuklearkrieges. Man muss auch sehen, dass dieses Risiko quasi wie ein Damoklesschwert schon jetzt über uns schwebt.

Viele machen es sich da zu leicht, wenn sie sagen, dass eine Atommacht, wenn sie militärisch keinen Erfolg hat, schon nicht zu Nuklearwaffen greifen wird. Das hätten die US-Amerikaner in Vietnam oder Afghanistan ja auch nicht gemacht.

Aber diese Vergleiche hinken, weil die Schwarzmeerregion für Russland etwa die gleiche strategische Bedeutung hat wie die Karibik oder Panama für die Sicherheit der USA oder das Südchinesische Meer oder Taiwan für China.

Die Russen können da nicht einfach – wie der Westen in Afghanistan, im Irak, in Syrien oder Libyen – nach Hause gehen und sagen, das ist schlecht gelaufen, wir geben es auf.

Gerade die zentrale strategische Bedeutung der Schwarzmeerküste mit der Krim macht es schwierig für Russland, kompromissbereit zu werden. Das ist ähnlich wie es in der Kubakrise 1962 für die USA nicht möglich war, der Stationierung sowjetischer Waffen auf Kuba oder in den neunziger Jahren dem politischen Machtwechsel auf Grenada und in Panama zuzustimmen.

Das sind strategische Einflussgrößen und Faktoren, die man im politischen Umgang mit großen Mächten, gerade wenn sie wie Russland im Abstieg begriffen sind, berücksichtigen muss, um Konflikte politisch vernünftig steuern zu können. Und hier bringt Säbelrasseln wenig, wenn es nicht mit einem klugen und besonnenen politischen Vorgehen verknüpft wird.

Minderheitenposition und Mehrheiten

Es gibt derzeit immer heftige Kritik an Initiativen zur Beendigung des Kriegs. In den Talkshows ist es meistens so, dass man dann einen Befürworter einlädt, der umgeben oder eingehegt wird von vier oder fünf Pro-Kriegs-Befürwortern. Wie sehen Sie denn die Situation des politischen Diskurses hier in Deutschland?

Erich Vad: Ja, ich habe auch den Eindruck, dass man sich in nicht wenigen politischen Talkrunden eher als Anhänger einer Minderheitenposition fühlen musste. Ich habe es erst gelernt, dass das nicht stimmt und die Mehrheit der Deutschen über den Krieg ganz anders denkt, eher so wie die Initiatorinnen des Manifests, Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht.

Dahinter stand das bestimmte Gefühl – und die Hunderttausenden Unterschriften unter der Petition zeigen das ja auch –, dass die öffentliche Meinung von der veröffentlichten abweicht. Das wollen wir einfach mit unserer Kundgebung in Berlin am 25.2.23 zum Ausdruck bringen.

Die wahrscheinlich gewollte Einseitigkeit in den Talkshows sieht man auch als Zuschauer.

Erich Vad: Ja, da wünsche ich mir mehr Vielstimmigkeit, gerade wenn es um Krieg und Frieden geht. Man kann und muss mit der Ukraine solidarisch sein, das ist ganz in Ordnung.

Aber ich finde, man muss auch Leute in den Diskurs mit einbeziehen, die einen realpolitischen strategischen Blick haben und nicht nur diese Kriegsrhetorik mitmachen. Die war mir persönlich einfach zu schrill und zu einseitig. Bei aller Solidaritätsbekundung, das war einfach maßlos.