Abschottung statt Solidarität
Die EU-Innenminister können sich immer noch nicht auf verbindliche Quoten für Flüchtlinge einigen. Stattdessen machen sie die Grenzen dicht und schicken das Militär
Als Thomas de Maizière am Montag beim Krisentreffen der EU-Innenminister in Brüssel eintraf, hatte er seine Erwartungen schon weit herunter geschraubt. "Wir arbeiten an einem Erfolg", sagte der CDU-Mann, doch vielleicht werde der sich erst "später" einstellen.
Das klang schon ganz anders als Sonntagabend. Da hatte De Maizière im ZDF noch den Eindruck erweckt, mit den in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eingeführten Grenzkontrollen zu Österreich werde Deutschland die widerspenstigen EU-Staaten schon schnell auf Linie bringen.
"Wir machen die Grenze dicht, ihr willigt in die Flüchtlings-Quote ein" - so das Kalkül. "Wir haben gezeigt, dass Deutschland nicht bereit ist, alleine durch eine faktische Umverteilung die Last zu tragen", drückte es De Maizière in Brüssel etwas vornehmer aus.
Doch dieses Kalkül ist nicht aufgegangen. Nur Frankreich hielt bei der Krisenrunde offen zu Deutschland. Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei hingegen lehnen eine verbindliche Quote weiter ab. Mehr als eine vage Einigung auf 160.000 umzuverteilende Flüchtlinge war nicht drin.
Über die Details soll erst am 8. Oktober gesprochen werden - beim nächsten regulären Treffen der Innenminister. Und die Umsetzung soll dann auch noch zwei Jahre dauern. Man sei "noch entfernt von dem, was wir erwarten an Solidarität innerhalb der Europäischen Union", kritisierte De Maizière das magere Ergebnis.
Domino-Effekt: Nun machen immer mehr EU-Länder ihre Grenzen dicht
Statt der erhofften Solidarität hat Deutschland aber etwas ganz anderes erreicht: Nun machen immer mehr EU-Länder ihre Grenzen dicht. Nach Österreich und der Slowakei kündigten am Montag auch die Niederlande und Polen verschärfte Kontrollen an.
Damit geht eine europäische Erfolgsgeschichte zu Ende. 30 Jahre lang hatte die EU die Grenzen geöffnet und den freien Personen- und Warenverkehr durchgesetzt. Jetzt wird das Schengener Abkommen ausgehöhlt. Die Kontrollen sind zwar gerade noch zulässig - zunächst für zehn Tage.
Doch wenn sie ausgeweitet werden und nicht nach spätestens zwei Monaten verschwinden, wäre dies ein klarer Bruch der EU-Regeln. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnt schon vor einem Chaos:
Das wird ein Domino-Effekt werden, und wir können Schengen vergessen.
Dass daran Deutschland schuld sein könnte, wollte Asselborn zwar nicht sagen. Umso deutlicher kritisierten andere Minister die deutschen Alleingänge. "Wir haben damit gerechnet, dass Deutschland irgendwann einmal reagieren musste. Es war allen klar, dass das so nicht weitergehen kann", sagte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zu den Grenzkontrollen.
Allerdings trage Berlin auch Mitverantwortung für den aktuellen Ansturm auf Europa. Nachdem in internationalen Medien zu lesen gewesen sei, dass die Bundesregierung das sogenannte Dublin-Verfahren für Syrer ausgesetzt habe, hätten sich "Tausende von Menschen verstärkt auf den Weg gemacht", sagte die konservative Politikerin. Es habe "sehr viele Hoffnungen" gegeben.
Bisher hatte so nur der ungarische Regierungschef Viktor Orban geredet. Orban hatte die Flüchtlingskrise sogar zu einem "deutschen Problem" erklärt - und gefordert, die Hilfesuchenden wieder in die Auffanglager im Nahen Osten zurückzuschicken. Eine Zeitlang schien er mit derlei Parolen völlig isoliert, für Berlin ist er der Buhmann.
Für für eine Rückverlagerung der Probleme in den Nahen Osten
Doch beim Treffen der Innenminister in Brüssel zeigte sich ein anderes Bild. So sprach sich auch der slowakische Innenminister Robert Kalinak für eine Rückverlagerung der Probleme in den Nahen Osten aus. Es müsse dafür gesorgt werden, dass die Syrien-Flüchtlinge in den Auffanglagern in der Türkei, im Libanon oder Jordanien blieben, sagte er. Und auch das ist keine Einzelmeinung. De facto arbeitet die EU nämlich bereits daran, die Schotten dicht zu machen und die Flüchtlinge vor ihren Toren abzufangen.
So berichtete der "Guardian" über einen Beschlussentwurf, der nicht nur Registrierungszentren ("Hot Spots") für Asylbewerber in Italien und Griechenland vorsieht, sondern auch Abschiebelager für "illegale Flüchtlinge".
So schnell wie möglich müssten "robuste Mechanismen" zur Erfassung an den EU-Außengrenzen eingeführt werden, zitiert der "Guardian" aus dem Papier. Mittelfristig solle die EU auch Flüchtlingslager außerhalb Europas finanzieren und aufbauen. Dorthin könnten dann auch abgelehnte Asylbewerber geschickt werden.
Dass es die EU ernst meint mit dem Ausbau der "Festung Europa", hatten am Vormittag bereits die Europaminister klar gemacht. Sie gaben ohne große Debatte grünes Licht für die zweite Phase des umstrittenen Militäreinsatzes vor der libyschen Küste.
Ab Oktober sollen Schiffe von Menschenhändlern auf hoher See aufgebracht und Schleuser festgenommen werden. Insgesamt sieben Kriegsschiffe, einen Flugzeugträger sowie U-Boote, Drohnen, Hubschrauber und Flugzeuge bietet die EU dafür auf. Deutschland will sich mit zwei Booten beteiligen, allerdings muss der Bundestag noch zustimmen.