Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine: Festnahmen und iranische Medienvertreter gegen Propaganda
Die Führung hat es mit einer Glaubwürdigkeitskrise zu tun. Indessen wirft die Teheraner Universität den USA vor, das iranische Radarsystem mit Cyberangriffen gestört zu haben
Es gab Festnahmen, nicht nur Befragungen. Wie der Justizsprecher in Iran wiedergegeben wird, sind Personen im Zusammenhang mit dem Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine (Flug PS752) verhaftet worden. Die Auskünfte sind bislang sehr spärlich.
In den englisch-sprachigen Ausgaben der iranischen Nachrichtenagenturen wie Irna, Fars News, Mehr News, Isna oder Tasnim News gibt es bis zur Mittagsstunde am Dienstag keine Nachrichten dazu. Einzig der staatlich finanzierte Sender Press TV berichtet davon, dass laut Justizsprecher Gholam-Hossein Esmaili "gründliche Untersuchungen" durch eine vom Generalstab eigens eingesetzte Spezial-Kommission begonnen haben und "eine Anzahl von Personen verhaftet wurden".
Wie viele verhaftet wurden, welche Funktion sie in der Organisation der Luftabwehr der Revolutionären Garden (IRGC) haben, ob sie überhaupt zu den IRGC gehören, und welchen Rang die Festgenommenen in der Befehlskette einnehmen, die in den "katastrophalen Fehler" des Verantwortlichen am Tor-M1-Luftabwehrsystem eingebunden war, darüber gibt es noch(?) keine Einzelheiten.
Viele Personen seien bereits befragt worden, wird Esmaili von Press TV zitiert, Dokumente und Beweise seien gesammelt worden. Sind die Festnahmen also ein Zeichen dafür, dass belastbares Material vorliegt? Wie weit gehen die Untersuchung und die angekündigten Konsequenzen - nur bis zu Sündenböcken, die man nach außen gut verkaufen kann, oder reicht dies bis in die Führung der Revolutionären Garden, die zu den mächtigsten Machtfilialen in Iran gehört?
Rouhani: "Alle Welt wird uns zuschauen"
In den "Top-News" der genannten Nachrichtenagenturen ist heute der Entschluss des iranischen Präsidenten Rouhani ein Sondergericht mit dem Fall "Ukraine Plane Crash" zu betrauen. Das sei kein normaler, gewöhnlicher Fall, so Rouhani, "alle Welt wird unser Gericht beobachten".
Weswegen das Gericht mit hochrangigen Richtern und zig Fachleuten besetzt werden soll, um den Fall zu begutachten. Für ihn steht fest, dass es sich nicht allein um die Schuld eines Einzigen handeln könne, der den Knopf gedrückt habe.
Es gibt auch andere. Und ich will, dass diese Angelegenheit klar und deutlich veröffentlicht wird.
Hassan Rouhani
Vorwurf an USA: "Cyber-Angriffe haben iranische Radarsysteme lahmgelegt"
Interessant im Zusammenhang mit dem Fehler, den Iran beim "Ukraine Plane Crash" öffentlich eingestanden hat, ist eine kleine Notiz, die in einem Irna-Bericht zu finden ist, in dem der Kommandeur der iranischen Armee, General Abdolrahim Musawi, betont, dass der "iranische Himmel nun für alle Flüge sicherer ist als jemals zuvor". In der Irna-Meldung wird den USA eine beträchtliche Schuld zugewiesen - nicht wie vielfach durch die Drohungen Trumps, sondern durch eine "Cyber-Aktivität" der USA. Zu lesen ist:
Die Teheraner Universität erklärt in einer Stellungnahme, das US-Cyberangriffe auf iranische Radarsysteme das iranische Luftabwehrsystem lahmgelegt habe.
Irna News
Nun ist die Behauptung, über die bislang keinerlei Einzelheiten in der Begründung an die größere Öffentlichkeit gegeben werden, von außen nicht zu verifizieren. Spekulationen und Mutmaßungen spielen allerdings eine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung des Falles. Die Behauptung, die von der Teheraner Universität stammt, ohne dass die Experten dafür genannt werden, bestätigt Zweifel, "ob ausschließlich menschlicher Irrtum die Ursache des Abschusses der ukrainischen Passagiermaschine war" ("Regime Change liegt in der Luft").
Allerdings achten die informationspolitisch Zuständigen der iranischen Nachrichtenagenturen offenbar darauf, den Vorwurf an die USA nicht allzu hoch zu hängen, sonst würde er prominenter präsentiert. Wie vertragen sich die eingangs genannten Festnahmen mit diesem Vorwurf?
Die Antwort dürfte in der anspruchsvollen Beweisführung liegen, die Cyber-Angriffe mit sich bringen, und in der Glaubwürdigkeitskrise, mit der die iranische Führung konfrontiert ist - auch im Inneren, wie die Proteste nach dem Eingeständnis des Fehlers zeigten. Dem waren eindeutige und scharfe öffentliche Dementis der eigenen Verantwortung zuvor gegangen.
"Das Fehlen freier Medien"
Wie eine offizielle - und den Rahmen des Gewohnten sprengende - Meldung der Nachrichtenagentur Irna (in persisch) verdeutlicht, gibt es auch Unmut unter Journalisten. Die iranische Nachrichtenagentur veröffentlich eine Erklärung der "Journalistenvereinigung der Provinz Teheran", die zur Glaubwürdigkeitskrise aus westlicher Sicht auf Iran erstaunliche Töne beisteuert, wie dieser - maschinell aus dem Persischen übersetzte - Ausschnitt aus der Erklärung veranschaulicht:
Was diese Gesellschaft in der gegenwärtigen Situation bedrohen könnte, sind nicht nur Militär- oder Raketenangriffe, sondern vor allem das Fehlen freier Medien, die auf die Forderungen der Bevölkerung reagieren können und eine wirksame und wirksame zivile Kontrolle über ihre Regierung und ihre Agenten haben.
Tehran Journalists Association
In der Erklärung ist gar von "Propaganda" und "Lügen" die Rede, die im Zusammenhang mit Geheimhaltung das öffentliche Vertrauen und die öffentliche Meinung "schwer getroffen" und erschüttert habe. Die Google-Übersetzungsmaschine liefert im Anschluss dazu eine bildliche Beschreibung, die manchen Deutschlehrer erschüttern würde: "Die Situation ist so salzig geworden, dass die Stimme des Küchenchefs noch mehr zugenommen hat. Audiovisuelle Medien geben zu, dass ihr aktueller Status in Frage gestellt wurde, ohne zu wissen, dass die Glaubwürdigkeit dieser Medien und der meisten inländischen Medien seit langem gefährdet ist."
Die Stellungnahme hat noch mehr zu bieten, was die Forderung nach mehr Unabhängigkeit iranischer Medien betrifft; etwas stutzig macht bei all dem, was unabhängigkeitsliebende Journalisten erfreut, der mehrmalige Verweis der Teheraner Journalistenvereinigung auf die Voice of America, dem staatlichen Auslandssender der USA, bei dem die "Stimmen der Küchenchefs" ebenfalls laut hörbar sind, so dass das Medium nicht unbedingt als Paradebeispiel für unabhängigen Journalismus taugt.
Aber die Veröffentlichung der Kritik daran, dass der iranischen Gesellschaft ein "Medienverteidigungssystem" (Google Translator) fehlt, ist, wenn sie denn ernst genommen wird, ein begrüßenswerter Schritt. Geht es nach Informationen des Guardian-Journalisten Patrick Wintour, der vonseiten eines Mitarbeiters von Iran Front Page, dem kein "Iran-Bashing" nachgesagt werden kann, verlinkt wird, so haben bekannte TV-Moderatoren des staatlichen iranischen Senders IRIB ihren Posten gekündigt, weil sie aufgrund der Informationspolitik der staatlichen Führung zum Fall "Ukraine Plain Crash" keine Vertrauensbasis mehr sahen.
"Vergeben Sie mir, dass ich Ihnen 13 Jahre lang Lügen erzählt habe", zitiert der Guardian-Artikel aus der Begründung von Gelare Jabbari. Man wird sehen, welche Debatte sich daraus entwickelt.