Ägypten/EU: Zynische Realpolitik?

Nach Stand der Dinge wird die EU den Sieg des Militärs as-Sisi akzeptieren - die Demokratie bleibt dabei auf der Strecke

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Auf dem Papier sieht es so aus wie eine demokratische Parade. Nicht nur in Europa und in der Ukraine, auch in Ägypten stehen Wahlen an - am Montag und Dienstag kommender Woche. Favorit ist der ehemalige Militärchef General as-Sisi. Sein Sieg gilt als sicher; große Beobachtung werden die Wahlen in der Öffentlichkeit hierzulande wahrscheinlich aber nicht finden. Man weiß Bescheid, as-Sisis Weg zur Kandidatur ist nicht gerade lupenrein. Ein genauerer Blick stellt schnell fest, dass die Vorgeschichte der Wahl mit grundlegenden Ideen der Demokratie nichts zu schaffen hat. Europa schaut darüber hinweg, aus "realpolitischer Vernunft". Dass ein starker Mann an die Macht kommt, von dem man Stabilität erwartet, ist wichtiger als die Einhaltung demokratischer Maximen, die man sonst so hoch hält.

Wobei Verletzung von demokratischen Maximen ein unangemessener Ausdruck ist, viel zu harmlos, angesichts der Opfer, die den Weg zur Machtübernahme des Militärs säumen. Nach der geschickt eingefädelten Revolte gegen den amtierenden Präsidenten Mursi und dessen gewaltsamer Absetzung im Sommer vergangenen Jahres erlebte Ägypten in den folgenden acht Monate eine Zeit massiver Menschenrechtsverletzungen, dessen Ausmaß selbst aus der gewiss nicht zartbesaiteten jüngeren Geschichte des Landes heraussticht.

Nach Schätzungen, die im März vom amerikanischen Think Tank Carnegie Endowment veröffentlicht wurden, kamen seit Juli 2013 2.500 Ägypter zu Tode, mehr als 17.000 wurden verletzt und mehr als 16.000 Personen wurden im Zusammenhang mit Demonstrationen und gewaltsamen Auseinandersetzungen verhaftet.

Repressionslabor Ägypten

Die Muslimbrüder, die zuvor die Regierung stellten, sind seither als "terroristische Vereinigung" gebrandmarkt und damit vogelfrei. Bizarre Massen-Todesurteile (Ägypten: 683 Todesurteile gegen Muslimbrüder) gaben der internationale Öffentlichkeit zu erkennen, welche Kurs die neuen Machthaber verfolgen. Dass die Opferzahlen nicht allein der Regierung und deren Sicherheitskräften zuzuschreiben sind, muss in Rechnung gestellt werden, die harte Hand der neuen Führung bleibt dessenungeachtet als maßgeblich sichtbar.

Zum Kampf gegen die "Terroristen von der MB" gesellen sich Repressionen gegen andere Oppositionelle, exemplarisch das Verbot der Bewegung 6.April, sowie ein Klima ("Es ist die Zeit einer großen bipolaren Schlacht", zu dem Gewalt gegen Journalisten und andere Vertreter freier Meinungsäußerung gehören (Nur konstruktive Kritik ist nicht strafbar).

EU: Kritische Mahnungen und Geld

Die EU hat nach Information des Magazins Mada Masr, einer der wenigen verbliebenen realtiv unabhängigen Publikationen in Ägypten, nach einigem Hin-und Her noch doch zugesagt, eine beschränkte Zahl von Beobachtern zur Wahl zu entsenden.

Nach Auffassung kritischer Beobachter der EU-Politik gegenüber dem "neuen Ägypten" fügt sich die zögerliche, wenig entschiedene Haltung, die sich hier - wie schon beim Verfassungsreferendum zuvor - zeigt, reibungslos in den größeren Rahmen, den die Außenbeauftragte Ashton und die EU-Führung seit Juli 2013 angelegt haben.

Zwar gab es seit dem Umsturz zahlreiche kritische Mahnungen an Ägypten, doch auf demokratische Maßgaben zu achten; die Europaparlamentarier äußerten vor kurzem noch Bedenken über die Rolle der Armee und forderten zur Versöhnung auf. Die Todesurteile wurden kritisiert. Man achtete sozusagen auf die demokratischen Hausaufgaben, sogar mit einigem Fleiß.

Aber bei dem, was für das nahezu bankrotte Ägypten zählt, nämlich die Hilfsgelder, wollte man die anfängliche Drohung, sie zu sperren, nicht wahrmachen. Ende November 2013 unterschrieb Ashton die erneuerte Vereinbarung über Hilfsgelder in Höhe von 90 Millionen Euro im Rahmen einer europäischen Unterstützung für "den arabischen Frühling". Dazu sollen noch zwei Infrastrukturprogramme im Wert von 47 Millionen Euro kommen.

Das ist wenig im Vergleich zu den Milliarden, die Ägypten von Saudi-Arabien bekommt oder als Militärhilfe von den USA, aber es ist eine Geste, die in Kairo aller Wahrscheinlichkeit nach als Signal ernster genommen wird als die rituellen kritischen Äußerungen zum Stand der Menschenrechte und der Demokratie. Zu einer entschiedenen Verurteilung der Machtübernahme der Militärs konnte sich die EU ohnehin nicht durchringen.