Putin erklärt sich zu Verhandlungen bereit – der Westen schweigt
Reuters berichtete über Gesprächsbereitschaft in Moskau. Putin bestätigte das. Warum es verheerend ist, dass das ignoriert wird. Ein Gastbeitrag.
Mit Blick auf den Ukraine-Krieg gab es für Kiew und seine Unterstützer zuletzt wenig Hoffnung. Deshalb sollte man eine Chance erkennen, wenn sie sich bietet.
Jüngstes Beispiel: In der vergangenen Woche veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters einen Bericht, der sich auf vier Quellen stützte, die "mit (dem russischen Präsidenten Wladimir) Putin auf hoher politischer und wirtschaftlicher Ebene zusammenarbeiten oder zusammengearbeitet haben" und "mit den Gesprächen in Putins Umfeld vertraut sind".
Demnach sei er bereit, über ein Ende der Kampfhandlungen zu verhandeln.
Bestätigung auf Pressekonferenz
Beachtlicher noch: Als Putin auf einer Pressekonferenz zu dem Bericht befragt wurde, bestätigte er, man könne "sie wieder aufnehmen" – er meinte mögliche Friedensgespräche.
Sollte dies zutreffen, wäre dies ein weiteres Signal aus Moskau, dem zufolge Putin bereit ist, ein Abkommen zur Beendigung des Krieges zu schließen – wenn auch unter der Bedingung von Gebietsverlusten für die Ukraine.
So unangenehm diese Aussicht auch erscheinen mag: Die USA und ihre Partner, einschließlich der ukrainischen Führung, sollten diese Chance dringend nutzen.
Der Fehler von 2022
Denn erstens sehen wir inzwischen, wie töricht es gewesen ist, die sehr reale Aussicht auf ein Verhandlungsende dieses Krieges im Jahr 2022 zu ignorieren. Das Ergebnis ist für die Ukraine katastrophal.
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Auch wenn die Zahlen ein Staatsgeheimnis sind, hat die Ukraine inzwischen wohl Hunderttausende Opfer zu beklagen. Die Wirtschaft und die Infrastruktur des Landes sind lahmgelegt, das Land ist massiv verschuldet, die Kosten für den Wiederaufbau belaufen sich auf mehr als eine halbe Billion US-Dollar, die demokratischen Institutionen sind geschwächt – und das alles bei einer sozialen Krise, die durch eine rasch alternde und kriegsversehrte Bevölkerung verursacht wird.
Ukraine verliert wieder Gebiete
Schlimmer noch, die Ukraine verliert inzwischen Gebiete, die sie im Rahmen ihrer Gegenoffensive im Herbst 2022 zurückerobert hatte. Die russischen Streitkräfte haben indes die viel größere Bevölkerung und Ressourcen genutzt, um langsam Gewinne zu erzielen.
Westliche Geheimdienste gehen nun davon aus, dass das Land bis Ende des Jahres "deutlich größere Gebietsverluste" erleiden wird.
Unterdessen werden die Maßnahmen der ukrainischen Führung und ihrer Nato-Partner zur Aufrechterhaltung der Kriegsanstrengungen moralisch immer unhaltbarer. Kiew hat seine zutiefst unpopuläre Ausweitung der Wehrpflicht beschlossen.
Einfache Ukrainer fliehen aus dem Land, verlassen die Armee oder vermeiden verzweifelt, von Militärrekrutierern aufgegriffen und an die Front und womöglich in den Tod geschickt zu werden. Dennoch haben eine Reihe von Nato-Staaten, darunter Polen und sogar einige deutsche Politiker, erwogen, ukrainische Flüchtlinge zum Kämpfen zu zwingen.
Schlechte Moral der Truppe
Inzwischen sind sich nur noch 35 Prozent derjenigen, die nicht kämpfen, zum Dienst an der Waffe bereit. Die Moral unter den zunehmend älteren und kränkeren Rekruten könnte schlechter kaum sein.
Gleichzeitig steigt die Gefahr einer katastrophalen Eskalation des Krieges wieder auf das Niveau von vor zwei Jahren: Damals warnte US-Präsident Joe Biden, die Welt sei dem "Armageddon" so nahe wie seit sechzig Jahren nicht mehr.
Die Vereinigten Staaten und Europa sehen sich mit der ernsten Aussicht auf einen "demütigenden Einschnitt" konfrontiert, die der Economist kürzlich als "modernen Suez-Moment" bezeichnete. Diese Akteure haben begonnen, öffentlich über bisher undenkbare Schritte zu sprechen, um eine ukrainische Niederlage zu verhindern, die direkte Feindseligkeiten zwischen der Nato und Russland auslösen könnte.
Fallen demnächst Franzosen in der Ukraine?
Mehrere Nato-Staaten, darunter Frankreich, haben inzwischen öffentlich die Entsendung von Truppen in die Ukraine in Aussicht gestellt. Diese Woche hat der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte französischen Ausbildern offiziell erlaubt, ukrainische Ausbildungszentren zu betreten. Dadurch rückt es in den Bereich des Realistischen, dass Nato-Soldaten bei russischen Angriffen getötet werden.
Gleichzeitig erwärmen sich andere Vertreter des Bündnisses, darunter Generalsekretär Jens Stoltenberg, für die Idee, Kiew westliche Waffen für Angriffe auf russische Ziele nutzen zu lassen. Davor hatte der Kreml wiederholt gewarnt: Es sei, hieß es von dort, "ein Spiel mit dem Feuer".
Eine abschreckende Vorstellung davon, was das bedeuten könnte, bekamen wir am vergangenen Freitag, als die ukrainischen Streitkräfte mit Drohnen ein Frühwarnradar in Russland zerstörten.
Der Angriff auf einen Frühwarnradar in Russland
Das Radar, so warnte James Acton, Co-Direktor für Nuklearpolitik bei Carnegie, sei ein wichtiger Teil des russischen Systems zur Aufspürung und Abschreckung von Atomwaffen. Der Luftschlag habe "nur begrenzten militärischen Nutzen für die Ukraine" und würde "die nuklearen Risiken erhöhen".
Acton wies darauf hin, dass Angriffe auf dieses System in der russischen Militärdoktrin ausdrücklich als mögliche Rechtfertigung für den Einsatz von Atomwaffen genannt werden, ebenso wie das unter der Trump-Regierung für die USA beschlossen worden war.
Das Potenzial für diese und andere Eskalationen wird in den kommenden Monaten weiter zunehmen. Je näher die US-Präsidentschaftswahl rückt, desto größer wird der politische Druck, den Anschein einer Niederlage, Demütigung oder eines Prestigeverlusts zu vermeiden – und damit die Anreize für eine Eskalation in der Hoffnung, eines oder alle drei dieser Entwicklungen zu. vermeiden.
Putins scheinbare Offenheit für einen Waffenstillstand zu nutzen und jetzt eine Einigung zu erzielen, wie unangenehm sie auch sein mag, wäre für alle besser: für den ukrainischen Staat, für seine Bevölkerung und für die Sicherheit der ganzen Welt.
Um es mit Worten zu sagen, die schon einmal auf tragische Weise ignoriert wurden, sollte die Biden-Regierung jetzt die Gunst der Stunde nutzen.
Branko Marcetic ist Mitarbeiter der Zeitschrift Jacobin und Autor des Buches Yesterday's Man: the Case Against Joe Biden. Seine Arbeiten sind unter anderem in der Washington Post, dem Guardian und In These Times erschienen.
Der vorliegende Artikel erschien zuerst auf Englisch bei unserem US-amerikanischen Partnermedium Responsible Statecraft.