AfD-Politiker als Ehrengast auf der Krim

Marcus Pretzell in Jalta. Bild: U. Heyden

Weil Marcus Pretzell die Krim besucht hat, soll der ukrainische Botschafter in Deutschland "rechtliche Konsequenzen" angekündigt haben, berichtet er im Interview

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Marcus Pretzell ist Europaabgeordneter der Alternative für Deutschland. Der 42jährige Rechtsanwalt, der vor kurzem die EKR-Fraktion verlassen musste (AfD-Abgeordneter Pretzell ließ sich aus der EKR-Fraktion ausschließen), war am Donnerstag "Ehrengast" auf dem Internationalen Wirtschaftsforum von Jalta. Bei einer der Abschlussveranstaltungen saß er mit auf dem Podium.

Insgesamt beteiligten sich an dem Wirtschaftsforum, auf dem über Wirtschaftsstrategien angesichts von Krise und Sanktionen gesprochen wurde, 1.100 Gäste, davon 60 Politiker, Wirtschaftsexperten, Banker und Unternehmer aus dem Ausland. Ein Bericht über das Forum folgt.

Herr Pretzell, Sie sind das erste Mal in Russland?

Marcus Pretzell: Ja

Und dann sind Sie gleich auf die Krim gekommen? Das ist ungewöhnlich.

Marcus Pretzell: Nein, das liegt daran, dass ich hier eingeladen worden bin. Ich weiß nicht, ob man vorher nochmal irgendwo anders hinfahren muss. Aber ich bin ja in Moskau zwischengelandet.

Und wie ist Ihr Eindruck nach dem ersten Small-Talk mit den Unternehmern hier?

Marcus Pretzell: Es ist nur ein erster Eindruck. Aber es ging mir auch nicht darum hier mit irgendwelchen konkreten Ergebnissen wegzugehen, sondern es ging mir tatsächlich darum, dass wir wieder miteinander reden. Ich halte nach wie vor sehr wenig davon, dass man versucht, ein politisches Problem mit ökonomischen Sanktionen zu lösen, weil die Geschichte der Sanktionen, egal ob Nordkorea, Iran, Kuba, Südafrika etc. zeigt, dass Sanktionen immer nur zu einem führen, der Stabilisierung des politischen Problems, weil derjenige, der unter Druck gesetzt wird, üblicherweise mit Gegendruck reagiert und das führt zu einer Verhärtung der Fronten. Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, dass wir im Gespräch bleiben, beziehungsweise wieder ins Gespräch kommen.

Was erwarten Sie als Reaktion in Deutschland auf Ihre Anwesenheit hier? Wollen Sie eine Reaktion hervorkitzeln?

Marcus Pretzell: Das ist nicht der Stil der AfD, oder? (lacht) Es geht mir am Ende nicht um die Reaktion. Das ist nicht so entscheidend. Es geht darum, dass wir tatsächlich auch wieder zwischen Deutschland und Russland reden. Und zwar auf jeder Ebene. Das machen andere aus Deutschland ja auch. Niemand ist hierher auf dieses Forum gereist. Aber das heißt nicht, dass ich der einzige bin, der versucht, mit den Russen im Gespräch zu bleiben.

Wen meinen Sie?

Marcus Pretzell: Auf unterschiedlicher Ebene tun das die meisten Parteien. Die Linkspartei macht das ja auch. Relativ intensiv. Ich glaube, dass das richtig ist.

Marcus Pretzell: Sie sind ja Mitglied des Europaparlaments. Haben Sie versucht, mit anderen Abgeordneten gemeinsam zu fahren?

Marcus Pretzell: Ja wissen Sie, wenn wir denn mal so weit sind, dass CDU, SPD oder andere Abgeordnete bereit wären, über sowas zu sprechen, wenn ich das Gefühl habe, dass es da eine Bereitschaft gibt, miteinander zu reden, würde ich das ja gerne tun. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die CDU, die SPD oder die anderen Parteien, die im deutschen Bundestag zur Zeit vertreten sind, Lust dazu haben.

Die Russen werfen ja der Ukraine vor, dass sie das Andenken an den Zweiten Weltkrieg ausradieren will. Russland fühlt sich ja auch in Europa unverstanden, weil man den sowjetischen Sieg von 1945 nicht mehr anerkennen will. Was ist Ihr Gefühl? Wenn Sie als Deutscher hier sind, können Sie das verstehen? Würden Sie es so sehen, dass Deutschland von den Russen befreit wurde?

Marcus Pretzell: Naja, also, zu behaupten, dass die Rote Armee Deutschland befreit hat, ist insofern nicht ganz richtig, weil eine Diktatur die andere abgelöst hat. Man kann über den Grad der Diktatur diskutieren. Aber eine Befreiung von Deutschland hat sicher nicht stattgefunden. Aber das ändert nichts daran, dass wir, wenn wir hier in Jalta stehen, uns klar machen müssen, was passiert, wenn man nicht miteinander redet. Und insbesondere das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland hat historisch gewaltige Auswirkungen auf ganz Europa gehabt.

Internationales Wirtschaftsforum in Jalta. Bild: U. Heyden

In der Ukraine werden jetzt alle Denkmäler abgebaut, die an den Zweiten Weltkrieg erinnern. Und der ehemalige Ministerpräsident der Ukraine, Arseni Jazenjuk, sagte, die Ukraine sei im Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee besetzt worden, wobei ja ukrainische Soldaten in der Roten Armee mitgekämpft haben. Es wird auch behauptet, dass die Ukraine schon immer selbstständig war, obwohl sie ja zur Sowjetunion gehörte.

Marcus Pretzell: Wissen Sie, die historische Betrachtung zu Russland und der Ukraine ist kompliziert. Man darf ja auch die ukrainische Seite nicht ganz vergessen. Die haben natürlich auch unter Stalin ein paar Dinge erlebt, die Anlass geben, das nicht nur mit Jubelstürmen zu betrachten, was da so insgesamt in der Sowjetunion passiert ist. Das die ein schwieriges Verhältnis untereinander haben, das kann ich sogar nachvollziehen, von der ukrainischen Seite her. Doch das entbindet nicht davon, vernünftig miteinander zu reden. Und im Vorfeld der Annexion hier haben wir natürlich auch ein paar sehr unglückliche Dinge erlebt, was die Kommunikation zwischen der Ukraine und Russland betrifft. Das hat die Sache soweit eskalieren lassen.

Was meinen Sie genau?

Marcus Pretzell: Ja, wenn man sich anguckt, wie über den Hafen von Sewastopol und die russische Flotte hier im Vorfeld diskutiert worden ist, dann war das nicht gerade entspannend.

Sie meinen…

Marcus Pretzell: Nun ja, die Ankündigung, dass man die Russen im Prinzip auch aus Sewastopol rausschmeißt. Das war auch eine Eskalation, was aber nicht alles rechtfertigt, was danach auch wieder passiert ist. Viele haben an der Eskalation hier mitgewirkt.

Haben Sie als Europa-Politiker auch vor, in die Ukraine zu fahren? Was wäre da Ihr erstes Thema, welches sie ansprechen würden?

Marcus Pretzell: Ich würde gerne in die Ukraine fahren. Aber das wird nicht möglich sein. Der ukrainische Botschafter, Herr Melnik, hat in Deutschland schon angekündigt, dass das harte rechtliche Konsequenzen haben wird, was auch immer er damit meint. Insofern bin ich vielleicht demnächst vielleicht schon Persona non grata in der Ukraine. Das weiß ich nicht. Aber auf einer Schwarzen Liste stehe ich da vermutlich jetzt, was ich bedaure, weil ich genauso nach Kiew fliegen würde, um dort mit der ukrainischen Regierung zu reden. Ich würde mir gerne ein Bild davon machen, wie die Situation in der Ukraine ist.

Pretzell auf der Bühne. Foto: Ulrich Heyden

Es gab von der russischen Seite den Vorwurf, dass in der ukrainischen Regierung Faschisten sitzen. Die deutschen Medien behaupteten, dieser Vorwurf sei überzogen.

Marcus Pretzell: Das ist ganz interessant. Die deutschen Medien sind dabei, die AfD zu Nazis zu machen und das, was es an Umtrieben in der Ukraine gibt, halten sie für verhältnismäßig unproblematisch. Das hat schon eine humoristische Note.

Was meinen Sie mit den Umtrieben in der Ukraine?

Marcus Pretzell: Naja, ich meine, dass es sehr schwierige Leute gibt, die sich da in der Ukraine an der Regierung beteiligen oder zumindest starken Einfluss auf die Ukraine haben. Das ist relativ offensichtlich.

Wir haben gesehen, dass Guido Westerwelle auf dem Maidan Hände schüttelte. In die Ostukraine oder Odessa ist er nicht gefahren.

Marcus Pretzell: Es gibt eine Verantwortung der deutschen Politik dafür, was da passiert ist. Wir reden immer über die Völkerrechtsverstöße, welche die Russen gemacht haben. Worüber wir aber überhaupt nicht reden ist, dass die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates und die Finanzierung der Opposition gegen die gewählt Regierung ganz grundsätzlich völkerrechtswidrig sind. Und das sollten sich diejenigen, die jetzt ständig über Völkerrechtsverstöße reden, sich mal hinter die Ohren schreiben. Ich glaube, dass ganze viele Leute, die das Völkerrecht hier ständig im Mund führen, das Recht dazu längst verloren haben, weil sie selbst an völkerrechtswidrigen Aktionen beteiligt waren und sie mit finanziert haben.

Was sagen Sie zu der Forderung des nach Moskau geflüchteten ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten Nikolai Asarow, das alte ukrainische Parlament vom Februar 2014 wieder einzusetzen und Neuwahlen zu machen?

Marcus Pretzell: Ich glaube, ein altes Parlament wieder einzusetzen, bringt überhaupt nichts. Was wir in der Ukraine sicherlich brauchen, sind Neuwahlen. Aber dazu muss man friedliche Verhältnisse schaffen, unter denen überhaupt Neuwahlen stattfinden können. Und ich glaube, dass wir soweit in der Ukraine noch nicht sind. Während eines laufenden Konfliktes sehe ich noch nicht, dass wir garantieren können, dass in der ganzen Ukraine tatsächlich freie und demokratische Wahlen stattfinden.

Was müsste passieren, damit diese Wahlen stattfinden können?

Marcus Pretzell: Das wird nicht ohne internationale Hilfe gehen. Dafür brauchen wir die Vereinten Nationen. Dazu muss aber zu allererst der Wille der hauptsächlich Handelnden da sein. Aber das sehe ich zur Zeit weder bei den USA noch bei Russland. Die USA und Russland sind aus unterschiedlichen Gründen daran interessiert, dass das erstmal so weiterläuft.

Das Gespräch führte Ulrich Heyden, Jalta, 15. April 2016. Heyden war vom Veranstalter "Jalta Internationales Wirtschaftsforum" zum "Internationalen Wirtschaftsforum" eingeladen worden, der auch die Reisekosten übernommen hat.