AfD-Rentenkonzept: Der Berg kreißte und gebar eine vergiftete Maus

Nach etlichen Jahren Streit zwischen dem völkischen und dem neoliberalen Flügel der AfD beschloss der Parteitag am letzten Wochenende ein Rentenkonzept. Ergebnis: ideologischer Sieg für Höcke und Co.; rentenpolitischer Punktsieg für Meuthen und Mitstreiter

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(Bildquelle: Plakatauszug, NS-Propaganda 1934, LeMO-Bestand)

Das auf gerade einmal zwei Seiten beschriebene Rentenkonzept wird auf satten zwölf Seiten eingeleitet. Die enthalten durchgängig deutsch-nationalistische und chauvinistische Aussagen und führen gesellschaftspolitisch in die Zeiten von vor 50 bis 90 Jahre zurück.

Der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar. "Erhebliche Einschnitte stehen uns bevor und je länger sie (die AfD-Reformen) hinausgezögert werden, desto tiefer und schmerzhafter werden sie uns treffen." Schuld sei die Politik, die es vor 50 Jahren unterlassen hätte, gegen den Geburtenrückgang "mit einer aktivierenden Familienpolitik und großen staatlichen Kapitalansammlungen" zu reagieren. Dieser Satz bildet die Grundlage des Höcke/Meuthen-Deals - das wird nachfolgend erläutert.

Entscheidend für die AfD: die aktivierende Politik für deutsche Familien

Die "aktivierende Familienpolitik" hat für die AfD das Ziel: "Eine Steigerung der Geburtenrate auf ein bestandserhaltenes Niveau von 2,1 Kindern pro Frau ist die einzige Möglichkeit zur Stabilisierung und zum Erhalt unserer Sozialsysteme, aber auch zur Bewahrung unserer Kultur und zum Fortbestand unseres Volkes."

Zuwanderung könne das Problem nicht lösen, im Gegenteil, sie gefährde den "Fortbestand unseres Volkes" und ist ein wesentlicher Teil des Problems. Gefährdet wird die in dem Konzept so beschriebene deutsche Leitkultur à la AfD:

Deutschland pflegt seit Jahrhunderten sein Kulturerbe, beginnend mit der deutschen Sprache, aber auch sein Arbeitsethos, seine Wissenskultur, sein enormer Erfindungsreichtum, seine Schaffenskraft, sein Arbeitsverständnis, sowie seine Leistungsbereitschaft und -gerechtigkeit sind identitätsstiftend. Zu unserer Kultur gehören selbstverständlich die schönen Künste, Traditionen, Wettbewerb, lokale Besonderheiten. Vor allem auch das Ehrenamt, die Freiwilligendienste, Vereinsarbeit sowie tradierte Werte und Tugenden wie Gemeinsinn, Eigenverantwortung, Ordnung, Disziplin, Fleiß, Pünktlichkeit und Tatkraft zählen dazu.

AfD

Konkret fordert die AfD zur Verteidigung bzw. Wiederherstellung dieser deutschen Tugenden in dem Papier:

- Weil die Zuwanderung ein wesentlicher Faktor dafür ist, "dass die Leistungen deutscher Schüler nur noch ein Mittelmaß erreichen", muss sie zurückgedrängt werden. Aber auch "die zunehmende Politisierung der Schulen ist sofort zu beenden… das familienzerstörende Gender-Mainstreaming, die Frühsexualisierung und Projekte wie "Schule mit Courage, Schule gegen Rassismus" oder "Demokratie leben" (müssen) sofort beendet werden." Außerdem "sollen Ehe und Partnerschaft als Inhalt in die Lehrpläne aufgenommen werden".

- Bei der Geburt eines jeden Kindes Rückzahlung bzw. Nichtzahlung von Rentenbeiträgen. Bafög-Empfängern soll bei Geburt eines Kindes die Rückzahlung erlassen werden. Früherer Renteneinstieg in Abhängigkeit der Kinderzahl.

- Für Nicht-Rentenversicherte soll es einen "Ehe-Start-Kredit" geben.

- "Fremdbetreuung" von Kindern ist mit Risiken verbunden, deshalb soll für eine "bindungsorientierte Erziehung" von Kindern unter drei Jahren ein Betreuungsgeld eingeführt werden, das sich am vorherigen Nettoeinkommen orientiert.

- Bei Wiedereinstellung nach der Babypause sollen Arbeitgeber nach Kinderzahl gestaffelte Lohnsubventionen erhalten.

- Kindergeld für im Ausland lebende Kinder nur in Höhe der dort üblichen Beträge.

- Gleichstellungsbeauftragte sollen durch Familienbeauftragte ersetzt werden. Einführung eines "sozialen Marketings für Familiengründungen": "Einstellung des Marketings für Gender-Mainstreaming."

- Väterrechte sollen im Fall von Trennungen gestärkt werden.

- Meldepflicht der Ärzte bei Abtreibungen, weil die bisherige Beratungspraxis "eine Bagatellisierung dieses Vergehens" gebracht hat.

Diese Punkte bilden das Fundament des Rentenkonzeptes, dessen erfolgreiche Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung und damit Sozialpolitik die AfD erst in 30 Jahren erwartet.

Das vergiftete Rentenkonzept mit zahlreichen Merkwürdigkeiten

Zunächst wird sehr deutlich, dass vom Konzept der Thüringer AfD aus 2018 (Höcke-AfD-Flügel) nichts geblieben ist. Darin waren noch unter der Überschrift "Produktivitätsrente" der Ausbau der Umlagefinanzierung und die Anhebung des Rentenniveaus gefordert. Privatvorsorge sollte nicht mehr subventioniert werden und dem Popanz der Bedrohung der Sozialsysteme durch die demografische Entwicklung wurde widersprochen. Lediglich die vergifteten Elemente, zusätzliche Leistungen von der deutschen Staatsbürgerschaft abhängig zu machen, wurden in dem jetzt beschlossenen Konzept aufgenommen.

- Die AfD verspricht, was die FDP schon lange fordert: "Die Freiheit beim Renteneintritt". Das ist zwar nicht neu, weil das jetzt schon in gewissen Grenzen (mit Zu- und Abschlägen) möglich ist. Aber die AfD verschweigt, ob das unbegrenzt gelten soll. Sie findet Abschläge bei Renteneintritt vor der Regelarbeitsgrenze (derzeit 0,3% pro Monat) richtig, sagt aber nichts darüber, ob die Zuschläge bei längerer Arbeit (derzeit 0,5% pro Monat) weiter gelten sollen.

- Auch beim Rentenniveau sagt sie nichts Neues. Auf jeden Fall keine Erhöhung, sondern die angekündigten "erheblichen Einschnitte". Ansonsten wird an mehreren Stellen angedeutet, dass die geltenden Dämpfungsfaktoren in der Rentenformel notwendig sind: "Das allgemeine Rentenniveau… muss deshalb auf Grundlage der Lebenserwartung und des Beitragsaufkommens kontinuierlich angepasst werden" - die AfD bestätigt damit den Regierungskurs der letzten 20 Jahre.

- Die AfD will "Altersarmut verhindern, … indem nur 25% der Altersrente auf die Grundsicherung im Alter angerechnet wird". Das scheint zunächst richtig und wirkungsvoll. Bei genauerer Betrachtung führt das aber zu merkwürdigen Ergebnissen: Beispielrechnung für zwei Rentner*innen:

Rentner*in A: bekommt eine Altersrente von 900€, hat damit keinen Anspruch auf Grundsicherung.

Rentner*in B: bekommt eine Altersrente von 600€, hat damit Anspruch auf Grundsicherung. Die Grundsicherung hat eine Höhe von 446€ (Regelsatz) + 400€ (Wohnungskosten). Erhält also rund 850€. Nach geltendem Recht werden die 600€ vollständig auf die Grundsicherung angerechnet.

- Nach dem AfD-Konzept sollen Rentner*in B aber nur 25% der Altersrente angerechnet werden. Also 25% von 600€ = 150€, es werden die verbleibenden 450€ auf die Grundsicherung aufgeschlagen. Rentner*in B bekommt also dank AfD eine Versorgungsleistung von 850€ plus 450€ = 1.200€. Was wird Rentner*in A wohl zu der Differenz von 300€ sagen? Übrigens ist in dem neuen Grundrentengesetz ein ähnlicher, wenn auch nicht so krasser, Gerechtigkeitsfehler eingebaut. (Anmerkung: diese merkwürdigen Verrenkungen können einfach vermieden werden, indem eine Mindestrente á la Österreich eingeführt. Die fordert in Deutschland erstaunlicherweise aber nur Die Linke).

- Die AfD verlangt die "Abschaffung der Politikerpensionen, … stattdessen sollen sie wie andere Arbeitnehmer auch in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen". Das klingt gut, wer nachrechnet kommt jedoch zu folgendem erstaunlichen Ergebnis:

Pension von Bundestagsabgeordneten aktuell: Pensionsanwartschaft von 2,5% der Grundentschädigung (Diät) pro Jahr. Nach zwei Legislaturperioden, 8 Jahre, also 20%. 20% von 10.000€ machen 2.000€.

Pension von Bundestagsabgeordneten nach AfD-Vorstellungen: In der gesetzlichen Rente gibt es pro Einzahlungsjahr max. ca. 2 Entgeltpunkte (Deckelung durch die Beitragsbemessungsgrenze). Nach 8 Jahren kommen also rund 16 Entgeltpunkte zusammen, die mit dem aktuellen Rentenwert (aktueller West-Wert: 34,19€) multipliziert wird. 16 mal 34,19€ ergibt etwa 550€. Im Ergebnis verlangt die AfD also die Absenkung des Versorgungsniveaus für Bundespolitiker von nahezu 75%! Eigentlich eine tolle Überschrift für den Boulevard. Ob das ernsthaft gemeint ist, darf doch sehr bezweifelt werden.

- "Neu eingestellte Staatsbedienstete, … mit nicht originär hoheitlichen Aufgaben" sollen in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden. Beamte sollen demnach nur Beschäftigte bei der Bundeswehr, der Polizei, dem Zoll, der Finanzverwaltung und der Justiz bleiben. Regelrecht komisch auch hier, dass dem Lob "Beamte sind das Rückgrat der deutschen Verwaltung und eine wesentliche Stütze für das im internationalen Vergleich hervorragende deutsche Staatswesen", die eisige Dusche folgt. Die hochgelobten Verwaltungsbeamten werden nach Willen der AfD mit einer um 50% bis zu 80% (bei Spitzenbeamten) reduzierten Altersversorgung belohnt.

- Lastengerechtigkeit herstellen, "indem Familien für jedes Kind 20.000€ Beiträge der Eltern zur Rentenversicherung aus Steuermitteln erstattet bekommen". Nur als Randbemerkung: Das würde bei jährlich rund 750.000 Neugeborenen rund 15 Milliarden € ausmachen.

- Die private Vorsorge soll ausgebaut werden. Die Riester- und Rürup-Rentenförderungen sollen auslaufen. Stattdessen sollen flexiblere und unbürokratischere Modelle ermöglicht werden. Mit anderen Worten, für die Altersvorsorge soll die Anlage in Risikokapital staatlich gefördert werden. Damit liegt die AfD auf einer Linie mit Friedrich Merz, Bert Rürup und anderen.

Auf der Linie mit der CSU liegt das Versprechen, für jedes Kind bis zum 18. Lebensjahr 100€ pro Monat aus Steuergeldern auf ein Vorsorgesparkonto einzuzahlen. Das AfD-Spezifikum dabei: nur Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit bekommen diese Wohltat. Eine Wohltat von der die Bedachten frühestens nach 49 Jahren, wenn die ersten jetzt 18-Jährigen in Rente gehen, profitieren können. Bis dahin werden Jahr für Jahr rund 16 Milliarden € in die Kassen von Versicherungs- bzw. Finanzkonzernen fließen. In 49 Jahren würden es gigantische 800 Milliarden € sein, die dem Wirtschaftskreislauf entzogen werden und zur weiteren Aufblähung der Finanzmärkte beitragen.

Ziel ist die Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung

- Unter der Überschrift "Ausblick" wird dann das neoliberale Zukunftsprojekt Meuthens angedeutet: Es "stellt sich die Frage, ob ein Umlagesystem langfristig zukunftsfähig ist". Als Alternative soll eine steuerfinanzierte "Grundrente gezahlt (werden), die deutlich über dem Niveau der Grundsicherung zu liegen käme". Wer nicht mit der Grundrente darben will, muss natürlich privat vorsorgen - das steht zwar explizit nicht im Beschluss, ist aber die logische Konsequenz.

Das AfD-Rentenkonzept hat zum Ziel, die gesetzliche Rentenversicherung weiter zu schwächen und die Beitragsgelder auf die Konten von Finanzkonzernen umzuleiten. Insofern reiht es sich ein in die Regierungspolitik der vergangenen 20 Jahre und den Empfehlungen der Rentenkommission.

Das Konzept beinhaltet eine Reihe von absurden Punkten. Es kam wohl mehr auf wohlfeil klingende Versprechen als auf verlässliche Aussagen an.

Das völkische, deutsch-nationalistische Fundament ist sehr deutlich dokumentiert. Mit der Behauptung, dass nur eine aktivierende Politik für deutsche Familien die Finanzierung des Sozialstaates gewährleisten kann, wird an unsägliche Traditionen angeknüpft.