AfD-Umfeld gegen Correctiv: Kampf um Deutungshoheit nach Gerichtsbeschluss
Bericht über Potsdamer Treffen: Gerichtsbeschluss stellt Kernbotschaft nicht infrage. Warum sich Correctiv dennoch keinen Patzer hätte leisten dürfen. Ein Kommentar.
Der Kampf um die Deutungshoheit über den Beschluss des Landgerichts Hamburg tobt in Medien und "Sozialen Netzwerken". Fakt ist: Das Recherche-Netzwerk Correctiv hat sich in seinem Bericht "Geheimplan gegen Deutschland" über ein Treffen von rechten Kadern, AfD-Politikern und Unternehmern mindestens einen Patzer geleistet, mit dem es sich angreifbar macht.
Auch wenn es in der Passage, gegen die das Gericht eine einstweilige Verfügung erließ, nicht um die Kernaussage des Artikels ging, war klar, dass die Teilnehmer des Potsdamer Treffens zur "Remigration" jede noch so kleine Ungenauigkeit nutzen würden, um die Glaubwürdigkeit der Recherche an sich in Frage zu stellen – und in diesem Fall war auch noch ein Jurist betroffen.
Einer, der nebenbei Mitglied des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung ist.
Politisch Nebensache: Der fachliche Ruf des Staatsrechtlers
Ulrich Vosgerau hätte als Staatsrechtler auch fachlich völlig daneben gelegen, wenn er auf dem Potsdamer Treffen behauptet hätte, die Erfolgswahrscheinlichkeit von Wahlprüfungsbeschwerden steige mit deren Häufigkeit und Masse. Insofern ist nachvollziehbar, dass er gegen diese Passage vorging – in zwei weiteren Punkten erzielte sein Antrag allerdings keinen Erfolg.
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Halbe Wahrheiten, ganzes Problem: Journalismus auf dem Prüfstand
Zu zwei Dritteln behielt also Correctiv Recht. Tatsache ist auch: Die Passage, die Correctiv nun ändern musste, war nicht ausschlaggebend für die Massenmobilisierung gegen Rassismus und rechte Hetze, die der Correctiv-Bericht hervorgerufen hat.
Die Formulierungen, die in der breiten Öffentlichkeit für Empörung gesorgt haben – nämlich Begriffe wie "Masterplan" und "Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland" wurden bisher juristisch nicht entkräftet und waren auch nicht Gegenstand des Unterlassungsantrag von Vosgerau.
AfD-Politker fragten sich, was an den Plänen geheim war
Manche AfD-Politiker verstanden nur nicht, warum hier von einem Geheimplan die Rede war. Der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer hatte kurz nach der Veröffentlichung geäußert: "Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen."
Correctiv könnte insofern vorgeworfen werden, einen größeren Neuigkeitswert suggeriert zu haben, als er tatsächlich vorhanden war.
Correctiv-Bericht überraschte aufmerksame Beobachter nicht
Die Bildungsgewerkschaft GEW hatte zu dem Correctiv-Bericht erklärt, dessen Inhalt sei "entsetzlich, aber nicht überraschend". Nur war Teilen der Öffentlichkeit, die dadurch aufgeschreckt wurde, tatsächlich vorher nicht bewusst, wie wesentliche Teile dieser "Protestpartei" ticken.
AfD in der Opferrolle: Jeder Fehler ein gefundenes Fressen
Insofern hat Correctiv Recht mit der Einschätzung, dass der Gerichtsbeschluss nicht die Substanz der Berichterstattung infrage stellt.
Aber ein unrichtiges Detail wirkt natürlich verheerend auf frustrierte Menschen, die nicht mehr wissen, wem oder was sie noch glauben sollen und schon mit einem Bein auf der Seite der AfD stehen. Zumal die AfD bei jeder Gelegenheit in der Opferrolle brilliert.
Da sich auch Teile der Ampel-Koalition, die aus verschiedenen, zum Teil sehr berechtigten Gründen in der Kritik steht, nach dem Correctiv-Bericht an Großdemonstrationen "gegen Rechts" beteiligten, besteht ohnehin die Gefahr, dass der Bericht als "Regierungspropaganda" abgetan wird. Dabei brauchte es ihn eigentlich gar nicht, um zu belegen, wo die AfD grundsätzlich hin will. Öffentliche Reden und geleakte Chats sagen darüber im Grunde genug aus.