AfD vor Europawahl: Kein Ende des Höhenflugs
Einflussnahme des Verfassungsschutzes ist kritikwürdig. Zumal: Er hat Höhenflug der Rechten nicht gestoppt. Bald könnte sie sogar mehr Mandate haben. Ein Kommentar.
Von der Debatte um Abschiebungen und Migrationspolitik nach der Messerattacke in Mannheim vergangene Woche scheint laut Umfragen nicht die AfD zu profitieren, obwohl genau dies ihre bevorzugten Wahlkampfthemen sind.
Bei der Abstimmung zur Europawahl am Sonntag kann sie zwar mit einem Stimmenzuwachs im Vergleich zu 2019 rechnen und somit die Zahl ihrer Sitze im EU-Parlament vergrößern, fällt aber deutlich hinter ihre bundesweiten Umfragewerte von Ende 2023 zurück. Außerdem wird sie inzwischen von anderen europäischen Rechtsparteien gemieden.
Im Dezember hatte die AfD bundesweit auf einem "Allzeithoch" bei bundesweit 23 Prozent gelegen – zuletzt erreichte sie in Umfragen bundesweit 14 bis 16 Prozent.
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen AfD und SPD?
Während die Unionsparteien mit 29 bis 30 Prozent klar vorne liegen, kämpft die SPD um den zweiten Platz und lag zuletzt je nach Umfrageinstitut und Stichtag mal knapp vor der AfD, mal knapp hinter ihr – im jüngsten ZDF-Politbarometer liegen beide Parteien mit 14 Prozent gleich auf.
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Damit würde die SPD leicht hinter ihr Ergebnis der Europawahl von 2019 zurückfallen, denn damals erreichte sie 15,8 Prozent. Die Unionsparteien waren damals mit 28,9 Prozent stärkste Kraft geworden. Die AfD hatte elf Prozent erreicht. Dahinter wird sie ziemlich sicher nicht zurückfallen – aber noch vor wenigen Monaten dürfte sie sich wesentlich mehr erhofft haben.
Für das vorläufige Ende ihres Höhenflugs kommen mehrere Gründe in Betracht. Einer der naheliegenden ist, dass sie sich entschließen musste, ihren Spitzenkandidaten zur Europawahl zu verstecken: Maximilian Krah.
AfD-Spionageposse im Abgeordnetenbüro
Die Verhaftung eines mutmaßlichen chinesischen Spions, der sein Mitarbeiter gewesen war, und die Durchsuchung seines Büros im Europäischen Parlament kamen wohl auch bei nennenswerten Teilen der nationalkonservativen Zielgruppe nicht gut an.
Hinzu kamen Korruptionsvorwürfe gegen Krah, einen vorgeblich frommen Katholiken, der Vater von acht Kindern ist, aber auch auf TikTok Dating-Tipps für rechte Männer gibt und den Spitznamen "Schampus-Max" tragen soll. Vielleicht war er in seiner Bigotterie nicht diskret genug und wirkte auch dadurch schon auf weite Entfernung korruptionsanfällig.
Dann distanzierte sich auch noch die französische Rechtspartei Rassemblement National von der AfD und will im EU-Parlament nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten, nachdem Krah im Gespräch mit einer italienischen Zeitung gesagt hatte, nicht jeder Angehörige der Waffen-SS sei ein Verbrecher gewesen. Dafür hat sich der deutsche Besatzungsterror – insbesondere durch die Waffen-SS – wohl insgesamt zu tief ins Bewusstsein der französischen Bevölkerung eingegraben.
Putin-Äußerung könnte AfD Wechselwähler kosten
Dass der russische Präsident Wladimir Putin da weniger sensibel ist, "keine Anzeichen von Neonazismus" bei der AfD sieht und mit ihr zusammenarbeiten will, mag angesichts der noch viel höheren Opferzahlen von SS und Wehrmacht in Russland verwundern – aber das kommt wiederum auch bei Teilen des Rechtskonservativen Milieus in Deutschland nicht gut an.
"Wechselwähler", die zwischen der AfD und den klar antirussischen Unionsparteien schwanken, dürfte Putins positive Einstellung zur AfD abschrecken. Worte wie "Vaterlandsverräter" und "vaterlandslose Gesellen" machten in diesem Zusammenhang in mehreren Parteien die Runde. Insofern hat sie sich ihre sinkenden Umfragewerte wohl zu großen Teilen selbst zuzuschreiben.
Wer einfach nur mehr Abschiebungen, mehr Abschottung gegen Migration, weniger Sozialstaat und noch (!) weniger Klimaschutz will, kann mittlerweile zwischen mehreren bürgerlichen Parteien wählen und braucht nicht zwingend die AfD.
AfD und Verfassungsschutz: Die Anti-Establishment-Attitüde
Das öffentliche Mahnen und Warnen des Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang vor der AfD hatte ihr 2023 nicht geschadet, sondern ging ihrem "Allzeithoch" voraus: Im August hatte Haldenwang im ARD-Hauptstadtstudio erklärt, die AfD stelle "die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für bestimmte Bevölkerungsgruppen in Frage".
Das allerdings schadete ihr nicht in den Umfragen – ihre Beliebtheitswerte stiegen bis zum Jahresende an. Möglicherweise konnte die AfD sogar davon profitieren, dass ein Geheimdienstchef versuchte, auf ihre Kosten Politik zu machen – was sehr grundsätzlich kritisierbar ist, selbst wenn es "die Richtigen trifft".
Die AfD verstand dergleichen bisher gut für ihre Anti-Establishment-Attitüde zu nutzen – zumal in ihrer Zielgruppe Haldenswangs Vorgänger Hans-Georg Maaßen wesentlich beliebter war und sich als Opfer "linksradikaler Kreise in der SPD" dargestellt hatte, als er 2018 seinen Hut nehmen musste.
Maaßen, der inzwischen auch seinen früheren CDU-Parteifreunden zu rechts wurde, hat nun zwar eine eigene Kleinpartei gegründet, aber sein Nachfolger gilt im Umfeld der AfD immer noch als Mann der "Woke-Diktatur", für den ein strammer Patriot Platz machen musste.
Die AfD, ein bloßer Verdachtsfall von Rechtsextremismus?
Anfang 2024 sanken die Umfragewerte der AfD leicht, als bundesweit Großdemos gegen sie stattfanden, nachdem der Correctiv-Bericht über ein Treffen von AfD-Politikern und anderen Rechtsextremen zur "Remigration" für Empörung und gesorgt hatte. Dabei hielt sich der Neuigkeitswert solcher Positionen in Grenzen.
Dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen "Verdachtsfall" eingestuft hat, ist laut Gerichtsentscheid von Mitte Mai rechtmäßig, dürfte aber zu diesem Zeitpunkt einen geringen Einfluss auf ihre Umfragewerte gehabt haben.
AfD-Mitarbeiter als Doppelagent?
Pikant ist allerdings, dass der mutmaßliche chinesische Spion aus Krahs Büro auch ein Doppelagent gewesen sein könnte: Nach ARD-Informationen hatte sich Jian G. bereits vor Jahren dem Bundesnachrichtendienst als Quelle angeboten. Der BND wiederum soll ihn an den sächsischen Verfassungsschutz verwiesen haben.
Angesichts der obskuren Machenschaften von und rund um den Spitzenkandidaten der AfD sind ihre Umfragewerte kurz vor der Europawahl im Grunde noch ziemlich hoch. Die lukrativen Mandate im EU-Parlament dürfte sie vielfältig nutzen, auch wenn sie dort politisch isolierter ist als zuletzt.