Machtkämpfe und Differenzen: AfD und Le-Pen-Partei vor der Europawahl
Zerreißprobe bei rechten Parteien. Machtkämpfe und inhaltliche Differenzen überschatten angepeilte Einigkeit der Rechtsaußen-Allianz. Ein Kommentar.
Es ist lange bekannt, dass auch die Rechtsaußenparteien sich oft streiten und spalten. Dabei geht es weniger um Inhalte als um Machtkämpfe und persönliche Animositäten. Doch meistens rückt man vor entscheidenden Wahlen zusammen.
Daher ist es erstaunlich, dass der AfD-Bundesvorstand wenige Wochen vor der Europawahl ein Auftrittsverbot für ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah verhängt hat. Zudem tritt Krah aus dem Bundesvorstand aus.
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Zuvor konnte man einen Streit zwischen der AfD und der französischen Rechtsaußenpartei Rassemblement National (RN) erleben, der es sogar gleich mehrmals in die Spitzennachrichten des Deutschlandfunks schaffte.
Die Nachfolgepartei des von Jean-Marie Le Pen gegründeten Front National verkündete, dass sie im nächsten EU-Parlament nicht mehr mit der AfD zusammenarbeiten will.
Die SS, die AfD und der nachholende Antifaschismus
Unmittelbarer Anlass soll ein Interview des AfD-Spitzenkandidaten Krah mit der italienischen Zeitung La Republicca gewesen sein, in dem er die SS verharmlost haben soll. In Deutschland allerdings war die Aussage, dass nicht jedes Mitglied der SS ein Verbrecher sei, bis in die 1980er-Jahre Common Sense in den Unionsparteien und bei weiten Teilen der FDP sowie auch in Teilen der SPD.
Schließlich hatten diese Parteien ehemalige SS-Mitglieder in ihren Reihen – und einige saßen sogar als Abgeordnete im Bundestag. Wenn alle diese Parteien nun, wo kein ehemaliges SS-Mitglied mehr politisch aktiv ist, alle SS-Mitglieder als Verbrecher ansehen, müssten sie eigentlich zugeben, einige dieser Verbrecher sogar für den Bundestag aufgestellt zu haben.
Wenn jetzt auch Politiker der CSU mit Empörung auf die Krah-Äußerung reagieren, aber gleichzeitig mit einer Partei koalieren, deren Vorsitzender Aiwanger als Jugendlicher antisemitische Flugblätter in der Schultasche mit sich herumtrug und sich als Opfer darstellte, als dies publik wurde, ist das Heuchelei.
In den 1950er- und 60er-Jahren wäre es ein antifaschistisches Zeichen gewesen, wenn alle Parteien in Deutschland das Urteil der Nürnberger Prozesse akzeptiert hätten, mit dem die SS als verbrecherische Organisation klassifiziert wurde.
Als in Bitburg Kohl und Reagan SS-Tote ehrten
Auch die außerparlamentarische Opposition in Deutschland hätte Grund zur Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte: Wo war der Protest der damals starken Friedensbewegung, als Bundeskanzler Kohl dafür sorgte, dass der damalige US-Präsident Reagan bei seinem Besuch 1985 auch einen Soldatenfriedhof in Bitburg besuchte, auf den auch Mitglieder der Waffen-SS bestattet sind?
Linke und liberale jüdische US-Bürger fragten damals in einem offenen Brief an die deutsche Friedensbewegung, warum sie massenhaft gegen US-Präsident Reagan demonstriere, aber den Besuch bei den SS-Gräbern in Bitburg ignoriere.
Machtkampf auch innerhalb der AfD
Wer darüber nicht reden will, aber sich jetzt in den Chor derer einreiht, die Krah vorwerfen, die SS zu verharmlosen, hat wenig mit Antifaschismus, aber viel mit Parteipolitik zu tun. Das trifft auch auf die AfD selbst zu. Die innerparteilichen Krah-Kritiker, die sich schon öfter zu Wort gemeldet hatten, wurden spätestens dann vehementer, als sich zeigte, dass der ehemalige CDU-Politiker durchaus Machtambitionen hat.
Ein mehrstündiges Interview, das die Youtuber von "Jung & Naiv" mit Krah geführt hatten, brachte ihm sogar bei seinen erklärten Gegnern Respekt ein. Denn dort zeigte sich Krah einerseits als erzreaktionärer Pius-Bruder, der aber zumindest argumentieren kann. Da dürften bei seinen innerparteilichen Gegnern die Alarmglocken geläutet haben. Man musste ihm Grenzen setzen.
Substanz der Vorwürfe gegen Krah und Bystron unklar
Zudem laufen gegen Krah und seinen Stellvertreter Petr Byston juristische Ermittlungen. Es ist noch unklar, ob die Vorwürfe Substanz haben, oder ob es sich um eine Inszenierung im Vorfeld der Wahlen handelt. Auch das wäre durchaus möglich und ist in der Vergangenheit schon zur Anwendung gekommen, beispielsweise in den 1950er-Jahren gegen die KPD oder auch gegen linke Sozialdemokraten und Gewerkschafter wie Viktor Agartz.
Auch damals richtete sich die staatliche Repression gegen Menschen, die nicht in die Rhetorik des Kalten Krieges der frühen BRD, die durchaus Ähnlichkeiten mit der heutigen hat, einstimmten. Bei den Justizaktionen gegen AfD-Politiker, die als prorussisch gelten, korrespondiert das Interesse der Staatsapparate mit dem der prowestlichen Teile der AfD.
Denn eine Rechte, die ja zu Nato und zur Unterstützung der deutschfreundlichen Fraktion in der Ukraine sagt, wäre auch für die Staatsapparate akzeptabel. Das würde durchaus Zustimmung in Teilen der AfD finden, die schließlich in der Ukraine neue rechte Bündnispartner finden würde.
Ultrarechte als Teil der westlichen Wertegemeinschaft
Wie schnell Ultrarechte in die westliche Wertegemeinschaft eingemeindet werden, wenn sie ja zur Nato sagt, zeigt das Beispiel der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
Die führenden EU-Politiker ließen keine Gelegenheit aus, um sich mit Meloni zu zeigen, die vor der Gründung ihrer heutigen Partei Fratelli d’Italia aus einer anderen Rechtspartei ausgetreten ist, weil die sich ihrer Meinung nach zu stark vom italienischen Faschismus distanziert hatte.
Heute kann Meloni ziemlich unbemerkt von der Kritik der EU-Institutionen den italienischen Staatsapparat autoritär umbauen – und in Sachen Migrationsabwehr ist man sich sowie einig. Eine solche Aufnahme in die westliche Wertegemeinschaft schwebt auch dem RN vor.
Dabei war die französische Rechtspartei bis zum Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine eng mit der Putin-Partei Einiges Russland verbunden und unterhielt gute Beziehungen.
Konkurrenz unter Rechtsparteien im Nachbarland
Die Animositäten zwischen RN und AfD sind aber schon älter – und auch damals war schon Krah Stein des Anstoßes. Einerseits wurde ihm finanzielle Unregelmäßigkeiten unterstellt. Gravierender aber war, dass Krah den rechten Konkurrenten des RN, die Partei Reconquete unterstützt hat. Sie wurde von dem ehemaligen Journalisten Eric Zemmour gegründet.
Zu ihren Abgeordneten gehört eine Enkelin von Jean-Marie Le Pen und Nichte der späteren RN-Chefin Marine Le Pen, aber auch einflussreiche Wirtschaftskreise in Frankreich stehen hinter ihr. Innenpolitisch positionierte sich die neue Partei eindeutig rechts vom RN und warf der Tochter und Nachfolgerin des Parteigründers vor, zu weit in die Mitte gerückt zu sein.
Ein Sammelbecken für westliche Werte-Rechte
Zugleich gilt die neue Partei aber für Teile des Bürgertums als akzeptabler: Im Europaparlament ist sie Teil der Fraktion Konservative und Reformer der auch die polnische PIS, die Partei der italienischen Ministerpräsidentin Meloni und andere Rechtsaußenparteien angehören.
Sie ist das Sammelbecken der Rechtsaußenparteien, die gerne Teil der westlichen Wertegemeinschaft werden wollen. Es gibt Überlegungen von Teilen der Frakton EVP, in der auch die CDU/CSU führendes Mitglied ist, nach den EU-Wahlen mit dieser Rechtsaußen-Fraktion zumindest in Teilen zu kooperieren, wenn es die Wahlergebnisse hergeben.
Dagegen mobilisieren die Linksliberalen, vor allen die Grünen, denn sie wollen selber mitregieren, auch wenn sie dabei auch nur an der Mauer zur Festung Europas bauen.
Die Option, doch einen Zipfel der Macht auch in den EU-Gremien zu bekommen, fördert natürlich den Machtkampf unter den Rechten, der im Vorfeld der EU-Wahlen auch in Frankreich mit harten Bandagen ausgefochten wird.
Einigkeit in vielen Punkten, aber nicht in allen Propagandaformeln
Das übt auch einen Sog auf die Fraktion Demokratie und Identität aus, eine weitere Rechtsaußenfraktion im EU-Parlament, in der noch AfD und RN sowie die künftige niederländische Regierungspartei Die Freiheit sitzen. Letztendlich ist man sich in vielen Punkten doch einig. So rief Zemmour bei den letzten Präsidentschaftswahlen auch dazu auf, in der Stichwahl für Le Pen zu stimmen.
Doch vor den Wahlen kommt eine solche Unterstützung nicht gut an – und der Bruch zwischen AfD und RN dürfte vor allem hier zu suchen sein. Auch nach Bekanntwerden des Potsdamer Treffens von extremen Rechten, darunter Mitgliedern der CDU und der AfD, ging die RN schon auf Distanz zur AfD.
Es ging vor allem um das Konzept der Remigration, dass die RN zumindest aktuell nicht mehr so offensiv vertritt. Dabei gehört die Parole "Frankreich zuerst" zu den Grundsätzen des RN. Auch wenn Le Pen die rechte Propagandaformel vom "großen Austausch" heute vermeidet, so gehört sie weiterhin zum Vokabular führender RN-Politiker.
Bei Großtreffen der globalen Rechten wie am Wochenende in Spanien lassen sich auch Politiker der RN zuschalten.
RN und zerstrittene AfD-Flügel: Nach der Wahl wird abgerechnet
Welche Konsequenzen der jüngste Streit in der AfD sowie zwischen AfD und RN hat, wird sich erst nach den EU-Wahlen klären. Sollten die für diese Rechten gut ausfallen, könnte der Streit schnell machtpolitischen Überlegungen weichen.
Schließlich haben auch die anderen Parteien in den jeweiligen Bündnissen ein Wörtchen mitzureden. Bleiben die Ergebnisse der Wahlen aber hinter den Erwartungen zurück, könnten die Konflikte zunehmen.
Dann könnte auch in der AfD wieder der Flügel lauter werden, der eine "Melonisierung" anstrebt, ein Begriff, der in rechten Kreisen offen vertreten wird. Das Konzept der Anpassung an die westliche Wertegemeinschaft wird aber von Krah und seinem Anhang bekämpft.
Eine AfD, die Teil der globalen westlichen Wertewelt wird, wäre aber eine größere Gefahr. Denn sie könnte eine Option für größere Kapitalfraktionen sein und damit Machtoptionen bekommen, die die AfD aktuell zum Glück nicht hat.