AfD will "volksfeindliche" Medien und Deutschland "rocken"

Seite 2: "Wir müssen die Medien unterwandern"

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Das kann man wohl auch anders sehen anhand des Treibens von AfD-Fans in den sozialen Medien und dank der nun geleakten Chat-Protokolle. AfD-Vertreter artikulieren heute wie selbstverständlich Gedanken, Parolen und Strategien, die man vor einiger Zeit meist nur bei der NPD antraf. Landeschef Poggenburg soll die NPD- und Neonazi-Parole "Deutschland den Deutschen" gepostet haben, gegenüber Medien rechtfertigt er das als völlig legitim und angebracht.

Erst im Februar erinnerte der Politologe Reiner Becker daran, dass sich durch die AfD und deren Aussagen "die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts verschieben". Sascha Lobo merkt an, dass die Dialoge im Chat, wo sich die AfD-Leute "unbeobachtet fühlen" zeigen, dass auch intern Klartext vorherrsche.

Besonders die "etablierten" Parteien, deren Vertreter, Journalisten und Medienhäuser sowie Migranten werden im AfD-Chat immer wieder verbal angegriffen. Im Chat denkt ein AfD-Funktionär auf Kreisebene sogar schon darüber nach, was nach der "Machtübernahme" zu geschehen habe: "Ohne die Medien zu kriegen, keine Macht. […] Das wusste schon der kleine Doktor und selbst die 68er-Arschlöcher haben das erkannt und geschafft. Wir müssen die Medien unterwandern […] Mit der Machtübernahme muss ein Gremium alle Journalisten und Redakteure überprüfen und sieben. Chefs sofort entlassen, volksfeindliche Medien verbieten."

Ist mit dem "kleinen Doktor" NS-Propagandaminister Goebbels gemeint? Selbst, wenn nicht: Diese Nachricht erinnert an NPD-Prosa und an die Machtübernahme durch Nazis und Stalinisten. Aber auch der Blick in Erdogans Türkei zeigt die Parallelität und das unbedingte Feindbild einer freien Presse auf. Will die AfD mit diesem autoritären und diktatorischen Konzepten "Deutschland rocken"? Das klänge dann aber eher nach der neonazistischen Umsturz-Phantasie "Wir sind wieder da" der Rechtsrock-Kultband "Division Germania".

Die stellvertretende Pressesprecherin des "Deutschen Journalisten-Verbandes" (DJV), Eva Werner, stellte fest: "Die Kommunikation der AfD Sachsen-Anhalt zeigt einmal mehr, dass es sich bei der AfD um eine verfassungsfeindliche Partei handelt, zumal es an den erwähnten Aussagen in der Gruppe so gut wie keine Kritik anderer Mitglieder gab."

Unterdessen prüft auch die Bundespolizei straf- und dienstrechtliche Konsequenzen gegen Mitglieder der Gruppe, die bei der Polizei angestellt sind, etwa auch jener Mann, der die Medien "sieben" will. Er soll ebenso Gewaltfantasien gegen Linksextreme und Ausländer geäußert und - man staune! - gegen den türkische Staatspräsident "Erdowahn" gewettert haben. Landesinnenminister Holger Stahlknecht sagte: "Aufgrund der heute öffentlich gewordenen internen Chatprotokolle von Teilen der AfD habe ich den Verfassungsschutz gebeten zu prüfen, ob Anhaltspunkte nach dem Verfassungsschutzgesetz Sachsen-Anhalt vorliegen, die eine Beobachtung der AfD in Gänze oder in Teilen erforderlich machen."

Im Chat selber hatten sich Nutzer noch dafür ausgesprochen, der Grünen-Politiker Sebastian Striegel und die Gewerkschaft ver.di müssten vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Dass die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" (IB) beobachtet wird, wird jedoch kritisiert. Ein Nutzer schrieb dazu, der "Verfassungsschutz arbeite auch nur im Auftrag der Altparteien und alle die dagegen sind werden 'beobachtet'". Ein Nutzer befand: "Vrrfassungschutz hat selbst genug Dreck anstecken" (Rechtschreibung wie Original; mik), ein anderer: "Verfassungsschutz kann mich mal. Was wollen die beobachten? Wie ich den ganzen Tag arbeite und meine Meinung sage."

In den Chat-Protokollen wird manchmal deutlich, dass Teile der AfD nach außen hin bürgerlich erscheinen wollen, doch intern scheut man eine gewisse Nähe zur extremen und militanten Szene nicht. Unter anderem gab es einen Spendenaufruf zur Begleichung einer Geldstrafe des Machers der fremdenfeindlichen und rechtsextremen Seite "Halle Leaks". Dazu heißt es, der Mann "kämpft als Patriot für uns alle!" Offenbar ist im Kampf für ein Deutschland nach Façon der AfD einiges vonnöten an Kompromissen und Bündnisarbeit, denn einer der Nutzer schreibt auch:

"Pegida, IB, Dritter Weg und und und. Dass diese Leute zu 90 Prozent die AfD waehlen, viel Zuarbeit leisten und den Grundgedanken, den wir alle in uns tragen, seit Jahren auf die Strasse bringen und zu den Buergern, da denkt anscheinend niemand dran. […] Man muss auch nicht zusammenarbeiten, aber es kann doch nicht sein, dass man sich gerade von denen distanziert, die eigentlich das sinkende Schiff seit Jahren ueber Wasser halten, mit einem enormen ehrenamtlichen Einsatz. Fuer die meisten von denen ist die AfD die letzte Hoffnung und dann sollen wir uns auch noch gerade von denen distanzieren? Wer rennt denn Nachts durch das ganze Land Sachsen-Anhalt und beschuetzt unsere Plakate und Plakataufsteller vor dem linken Mob? Ein wenig mehr Anerkennung haben diese Leute schon verdient, wenn auch nicht offiziell"

Gemeint sind hier unter anderem die vom Verfassungsschutz beobachtete Organisation "Identitäre Bewegung" (IB) sowie die offen neonazistisch agierende, unter anderem aus militanten Vertretern aus der "Kameradschafts"-Szene bestehende Minipartei "Der III. Weg". Schon die NPD hatte sich seinerzeit die "Kameradschaften" als Straßenschläger und Ordnerdienst warm gehalten (Lasst uns SA und NSDAP sein!), wenn derlei Ideenspiele mit Bezug zu militanten Kräften in der AfD sicherlich auch eher eine Randerscheinung sind und keineswegs mehrheitsfähig.

Die geleakten Nachrichten dürften den innerparteilichen Streit zwischen den Flügeln der Partei anfeuern

NRW-Landeschef Pretzell forderte schon angesichts des Chats, dass das "Spitzenteam" in Sachsen-Anhalt "endlich aufräumt". Während sich Pretzell und Petry als bürgerlicher Flügel präsentieren, der wiewohl eine Nähe zur FPÖ und zum Front National hat, gehört Poggenburg zum noch radikaler auftretenden völkisch-nationalistischen Höcke-Flügel.

Im Chat heißt es dazu unter anderem: "Patriotische Äußerungen sind anscheinend in der AfD inzwischen der politischen Korrektheit geopfert. Mir kommt es persönlich so vor, als wolle die Führung um Pretzell und Petry die Patrioten in der Partei ruhig stellen, weil sie insgeheim schon mit einer CDU-Koalition liebäugeln."

Andere loben die Parteivorsitzende Petry indes ebenso und bringen solide auf den Punkt, wie die AfD mediale Reichweite generiert: "Ich frage mich, wie ein weichgespülter, mit politisch korrekter Rhetorik ohne provokante Spitzen geführter Wahlkampf zum Erfolg führen soll?! Einheitsbrei hören die Wähler schon von den Etablierten genug. Im übrigen sollten wir Frauke Petry und Beatrix von Storch danken, denn nach der Presseschlammschlacht auf Schießbefehl und Mausrutscher sind unsere Umfragewerte gestiegen, ohne dass die übrige Parteispitze sofortige Ordnungsmaßnahmen gefordert, sondern sich geschlossen vor die verbalen Provokateure gestellt hat."

Da das geleakte Protokoll Ende Mai endet, erfährt man nicht, wie die Nutzer über die neuen Ermittlungen gegen Petry denken. Vor wenigen Tagen hat die Staatsanwaltschaft Dresden beantragt, ihre Immunität aufheben zu lassen. Sie soll vor dem Wahlprüfungsausschuss des Sächsischen Landtages im November 2015, entweder bewusst oder mangels guter Vorbereitung falsche Angaben gemacht haben. Ermittelt werden soll wegen des Verdachts auf Meineid und uneidliche Falschaussage.

Für die Partei, die "Deutschland rocken" will, eher ein rebellischer oder muffiger Vorwurf ganz ohne Rock'n'Roll-Habitus? Poggenburg wurde nun immerhin nun wegen Volksverhetzung angezeigt, weil er getwittert hatte, der "Islam steht [generell; mik] eben für Terror, Gewalt und Co." Immerhin klingt das etwas provokant.