"Afrikaner sind schwer zu unterscheiden"

Skandal um illegalen Datenabgleich in Österreich. Durch einen Neujahrsgruß geriet ein unbescholtener Ex-Nigerianer ins Visier der Polizei

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Für ein großangelegte Anti-Drogenaktion nahm die österreichische Polizei einen elektronischen Datenabgleich vor. Eine richterlicher Genehmigung wurde dafür nicht eingeholt. Durch einen peinlichen Irrtum geriet ein völlig unbescholtener Geschäftsmann daraufhin ins Visier der Sicherheitsbehörden. Das hätte ihn beinahe seinen österreichischen Pass gekostet. Jetzt deckte eine Tageszeitung diesen Fall auf. Besonders brisant: Journalisten befürchten, dass sie in Zukunft über solche Pleiten nicht mehr berichten dürfen.

So schnell kann es gehen! Herr A., ein unbescholtener Geschäftsmann, hat einen flüchtigen Bekannten, der ihm zu Neujahr 1999 alles Gute wünscht. Im Zuge einer Anti-Drogenaktion der österreichischen Polizei wird gegen diesen Bekannten ermittelt. Flux gerät auch Herr A., ein Ex-Nigerianer, ins Visier der Sicherheitsbehörden. Voruntersuchungen beginnen, Herr A. wird zur Fahndung ausgeschrieben. Die Suchaktion stellt man zwar nach wenigen Tagen wieder ein, der Eintrag in den Polizeicomputer Ekis ist aber bis heute ungelöscht. Von alledem ahnt Herr A. nichts. Als ihm jedoch sein österreichischer Pass abhanden kommt und er aus unerklärlichen Gründen kein neues Dokument erhält, fliegt die Sache auf. Herr A. hätte ein Naheverhältnis zur Operation Spring. Bei dieser Anti-Drogenaktion wäre er in den Verdacht geraten, mit Rauschgift zu dealen. Der Geschäftsmann traut seinen Ohren nicht und beantragt jetzt eine Löschung des Ekis-Eintrags.

Ermittlungen über Unbeteiligte

Der Fall wurde vergangenes Wochenende von der österreichischen Tageszeitung Der Standard aufgedeckt. Dass der Mann in die Fänge der Sicherheitsbehörden geriet, verdankt er einigen Pannen, die der Polizei bei der elektronischen Fahndung unterliefen. So gerieten falsche Namen und alte Daten in die elektronischen Akten. Der Standard-Journalist wandte sich an österreichische Datenschützer und erfuhr, dass es sich in diesem Fall um eine Rasterfahndung handle. Der Grund: Mehrere Datenbanken wären elektronisch verknüpft worden. Nach den gesetzlichen Bestimmungen hätte Herr A. aber über die Ermittlungen informiert werden müssen. Die Irrtümer - die Namensverwechslung sowie die Falschdaten - wären rasch aufgeklärt gewesen. Der Betroffene wurde aber weder einvernommen noch sonst irgendwie aufgeklärt. Datenschützer sehen wieder einmal ihre Befürchtungen über die Rasterfahndung bestätigt. Sie warnen bereits seit langem davor, dass mit dem elektronischen Datenabgleich über völlig Unbeteiligte Ermittlungen geführt werden. Außerdem bestünde die Gefahr, dass Uraltdaten Verwendung fänden.

Die Polizei sieht das allerdings anders. Die umstrittene "Operation Spring", bei der die Wiener Sicherheitsbehörden nach dem ersten großen Lauschangriff in Österreich an die hundert Drogendealer verhafteten, wäre keine "Rasterfahndung" gewesen und unterliege demnach auch nicht den strengen gesetzlichen Bestimmungen. Dazu schreibt der Standard:

"Offiziell hat es in Österreich noch nie eine Rasterfahndung gegeben. Doch wie der Standard berichtete, legte die Wiener Polizei 1999 bei ihrer großen Anti-Drogen-Aktion 'Operation Spring' eine Datenbank an, in der über sämtliche Verdächtige Informationen aus verschiedenen Datenbanken zusammengeführt wurde (Melde- und Kfz-Daten, kriminalpolizeiliche Datenregister). Und das ist ein 'automationsunterstützter Datenabgleich', vulgo Rasterfahndung, wie Heinz Drobesch namens des Innenministeriums bestätigte."

Der zitierte Herr Drobesch muss es wohl am besten wissen, schließlich ist er Mitautor des Gesetzesparagrafen zum "automationsunterstütztem Datenabgleich". Der österreichischen Polizei konnte nach Erscheinen des Artikels immerhin ein Geständnis abgerungen werden. Es hätte sich um eine Großaktion gehandelt, bei der sicher Fehler passiert wären, hieß es aus dem zuständigen Sicherheitsbüro. Die Entschuldigung im Originalton: "Afrikaner sind schwer zu unterscheiden."

Verbot der Berichterstattung

Im Normalfall hätte sich die mediale Berichterstattung auf das Aufdecken der Causa beschränkt. Doch seit der umstrittene österreichische Justizminister mit einem Gesetzesentwurf, der Medien- und Strafrecht verknüpft, heftige Debatten um die Lage der Pressefreiheit im Alpenland auslöste, sieht der Normalfall ein wenig anderes aus. Vorsorglich erkundigte sich der Aufdeckungsjournalist, Robert Schlesinger, ob er in Hinkunft solche Geschichten überhaupt noch veröffentlichen könnte. Schließlich wurden ihm diesbezügliche Akten zugespielt auf die sich sein Bericht stützt.

Zwei befragte Juristen bestätigten seine schlimmsten Vermutungen: Wäre der "Journalistenparagraf" bereits Gesetz, hätte er sich durch diesen Artikel mit ziemlicher Sicherheit strafbar gemacht, schließlich wolle sich niemand "öffentlich Schlampigkeit vorwerfen lassen". Der Tatbestand der "Verletzung schutzwürdiger Interessen von Dritten" könnte damit bereits erfüllt sein. Und schnell wäre dann der österreichische Journalist nach dem Strafgesetzbuch straffällig geworden. Mit einem derartigen Verbot des journalistischen Aufdeckens mangelhafter Ermittlungen würde ein Grundpfeiler der Demokratie, nämlich die Medienfreiheit, nachhaltig angesägt, meinen Kritiker (Österreichs Journalisten mobilisieren für Wahrung der Pressefreiheit).

Mangelndes Datenschutzbewusstsein bei Behörden

Dass es vieles aufzudecken gibt, gerade im Umgang mit Daten, zeigt auch eine jüngst in Österreich aufgeflogene Groteske um einen Laptop, auf dem Geheiminfos inklusive eines Protokolls einer Hausdurchsuchung zu finden waren. Berichten zufolge hatte ein Beamter eines Gendarmeriepostens (Anm. d. Red.: Gendarmerie ist die Bezeichnung für Einheiten der österreichischen Sicherheitsbehörden, die im ländlichen Bereich operieren) in einem österreichischen Bundesland, ein privates Notebook auch dienstlich verwendet. Er speicherte vertrauliche Daten darauf. Als der Laptop plötzlich nicht mehr funktionierte, tauschte er ihn gegen ein neues Gerät ein. Ein Arzt kaufte sich ein angeblich neues Notebook und staunte nicht schlecht, als er darauf Gendarmerie-Daten fand.

So skurrile, gleichzeitig aber auch für das allgemein mangelnde Datenschutzbewusstsein bezeichnende Vorfälle könnten künftig aus den österreichischen Medien verschwinden. Wer aber, wenn nicht eine informierte Öffentlichkeit, soll sich dann noch eine Meinung über Sinn und Unsinn diverser Überwachungsverordnungen bilden?