Agiles Arbeiten und Home-Office: Warum der Burnout droht
Digitaler Fortschritt oder Ausbeutung? Wie überlange Arbeitszeiten und ständige Erreichbarkeit zum Burnout führen. Worauf Sie achten sollten.
"Die Digitalisierung hat einen revolutionären Wandel ausgelöst", erklären Katja Koch und Katharina Vollus für die MHP Management- und IT-Beratung. Neue Marktchancen entstehen, während etablierte Geschäftsmodelle infrage stehen.
Dieser Megatrend verlangt mehr als eine oberflächliche Anpassung bestehender Unternehmen – er erfordert tiefgehende Transformationsprozesse.
Katja Koch und Katharina Vollus
Wie weit diese Veränderungen gehen, zeigt sich derzeit in vielen Betrieben am Beispiel "SAP HANA", bei den Produkten anderer Softwareanbieter ist die Situation ähnlich: Das Programm ist eine Datenbank und Software-Plattform.
SAP HANA (High-performance ANalytic Appliance) ist eine Multi-Model-Datenbank, die Daten in Ihrem Arbeitsspeicher statt auf einer Festplatte speichert. […]
Unternehmen können so riesige Datenmengen in nahezu Echtzeit verarbeiten, Daten unmittelbar abfragen und zu datengestützten Unternehmen werden.
SAP Produktwerbung
Bis 2027 müssen Unternehmen von ihrem alten SAP-System zum neuen System S/4HANA wechseln, denn ab diesem Zeitpunkt werden ältere Systeme vom Anbieter nicht mehr unterstützt.
Die Umstellung stellt für die Betriebe einen enormen Arbeitsaufwand dar. Die Veränderungen sind eine Herausforderung für Unternehmen und Belegschaften. Projektarbeit wird Standard, Neuerungen häufen sich.
"Fehlende oder ineffiziente Kommunikation führt zu Missverständnissen und Verzögerungen. Oftmals werden wichtige Informationen nicht rechtzeitig oder gar nicht weitergegeben, was zu erheblichen Problemen in der Projektumsetzung führt". Oft fehle es in den Unternehmen an "Ressourcen und Kompetenzen, um ein Digitalisierungsprojekt erfolgreich umzusetzen.
Dies betrifft sowohl die finanziellen Mittel als auch das Fachwissen der Mitarbeiter", erläutert Christian Bäcker im Focus. Er ist Geschäftsführer der Proven-Impact GmbH, die Unternehmen bei der Digitalisierung berät.
Moderne Methoden unterstützen jedoch den Faktor "Mensch": "Agile Projektmanagementmethoden wie Scrum oder Kanban können helfen, den Projektumfang besser zu kontrollieren", erläutert der Experte. Diese Methoden ermöglichen eine schrittweise Vorgehensweise, bei der der Projektumfang regelmäßig überprüft wird. Durch kontinuierliches Feedback können "Änderungen schneller erkannt und gesteuert werden". Denn Kommunikation sei "das Rückgrat jedes Projekts".
Schattenseiten der agilen Projektarbeit
Für viele Beschäftigte bei SAP, Siemens, T-Systems oder anderen Großunternehmen wurden die Schattenseiten der Projektarbeit immer sichtbarer. Der besondere Charakter dieses Ansatzes ist, Angestellte in Teams eigenverantwortlich nach ökonomischen Prinzipien arbeiten zu lassen.
Aufträge werden so vom einzelnen Beschäftigten fast nur noch nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip betrachtet.
Der Einzelne wird in eine Position gestellt, in der er nicht mehr vom Vorgesetzten angewiesen, sondern unmittelbar durch den Druck des Marktes gesteuert wird. Denn für viele Angestellte bedeutet die gewachsene Verantwortung eine Intensivierung der Arbeit und den Zwang zu überlangen Arbeitszeiten. Die Folgen sind verschwimmende Grenzen von Arbeits- und Privatsphäre.
Dazu existieren ausreichend wissenschaftliche Ausarbeitungen. Eine Studie der Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) zeigt eine im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung besonders hohe Verbreitung von Erschöpfungszuständen unter Beschäftigten, die in mehrere Projekte gleichzeitig involviert sind. Mehr als ein Drittel der befragten Personen unterliegen einem erhöhten Burnoutrisiko.
Fehlmanagement mit Folgen für die Beschäftigten
Am Beispiel SAP HANA lassen sich die Auswirkungen neuer Technik auch auf die Beschäftigten darstellen. Denn Unternehmensberater empfehlen bereits jetzt, umfassende Umstrukturierungen anzugehen, die sich auf Arbeitsabläufe, Tätigkeiten und Abteilungsstrukturen auswirken werden.
Obwohl 2027 noch einige Jahre entfernt ist, sollte der Aufwand, der mit der Migration verbunden ist, keinesfalls unterschätzt werden. Zudem bieten diese kommenden Jahre auch die einmalige Gelegenheit, andere wichtige Geschäftsprozesse, wie den elektronischen Datenaustausch (EDI), zu aktualisieren.
ecosio InterCom, Beratungsfirma aus München
Unternehmensberater Baecker beschreibt auch das Versagen der Manager. Ein häufiges Problem sei, dass "die tatsächlichen Bedürfnisse des Unternehmens nicht ausreichend analysiert werden". Denn ohne Bedarfsanalyse bestehe das Risiko, dass "Lösungen implementiert werden, die nicht den spezifischen Anforderungen des Unternehmens entsprechen", so Baecker, der sich als "Digital Transformation Strategist" bezeichnet, in der Süddeutschen Zeitung.
Bei schief laufenden Digitalisierungsprojekten stehen "viel Geld und eine Menge an Reputation auf dem Spiel", so Christian Bäcker.
Die Folgen für die Belegschaften spielen dabei keine Rolle. Das Nicht-abschalten-Können, ständige Erreichbarkeit oder häufige Videokonferenzen sind enorme Stressfaktoren, die auf agile Projektarbeit zurückzuführen sind. Seit Jahren fordert die IG Metall deshalb eine Anti-Stress-Verordnung.
Anders als bei Gefahrstoffen, Lärm oder mangelnder Beleuchtung fehlen ausgerechnet bei psychischer Belastung klare Anforderungen an die Arbeitgeber
IG Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban
Ziel des Arbeitsschutzes muss es sein, die Arbeitsbedingungen und den Arbeitsablauf so umzusetzen, dass der arbeitende Mensch die Tätigkeit ohne Schädigungen über ein Arbeitsleben hinweg ausüben kann.
Eine ausreichend präzise Anti-Stress-Verordnung könnte zur Bewältigung des Problemdrucks einen wichtigen Beitrag leisten. Die gesetzlichen Anforderungen müssen verbindlicher, konkreter und transparenter werden.
Die derzeitigen Diskussionen um die Vier-Tage-Woche verdeutlichen, dass die Arbeitszeitbegrenzung immer auch ein Instrument des Arbeitsschutzes war und ist. Der Technikeinsatz erfordert eher eine Begrenzung der Arbeitszeit, um den Stress nicht weiter auszuweiten. So wird auch Arbeitszeitverkürzung ein Thema in Tarifverhandlungen bleiben.