Grenzenlose Arbeit: Wenn Homeoffice und Flexibilität zu Burnout führen
Homeoffice versprach Freiheit, endete aber oft in Überlastung. Flexibilität wird zur Falle, Burn-out zum Begleiter. Ein Blick hinter die Kulissen.
Neue Arbeitsmodelle wie "New Work" können "für Beschäftigte mit Vorteilen verbunden sein. Doch die Übertragung von Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollaufgaben sowie weitreichender Ergebnisverantwortung hat im Regelfall auch psychische Arbeitsbelastung zur Folge", erläutert Moriz-Boje Tiedemann, politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall. (Zeitschrift Gute Arbeit 2/2024, Seite 20 f.).
New Work: Segen oder Fluch für Beschäftigte?
Negative Folgen dieser Personalführung spitzen sich dabei zu: Bei "digitalisierter, orts- und zeitflexibler Arbeit sind potenziell gesundheitsbeeinträchtigende Stressoren" wie Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit, Überstunden oder fehlende Pausen deutlich weiter verbreitet, so der Gewerkschafter.
Die Folgen arbeitsbedingter Stressbelastungen können für die Betroffenen gravierend sein. Burn-out, Depressionen gehen teils mit Berufsunfähigkeit einher. "Zum anderen zieht das Erkrankungsgeschehen bekanntlich reduzierbare volkswirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe nach sich", betont Tiedemann.
Personalmangel: Ein Teufelskreis mit weitreichenden Folgen
Eigenverantwortung der Beschäftigten bedeutet dabei oft auch, dass Teams oder Projekte mit zu wenig Personal ausgestattet sind. Die Personalplanung der Manager kritisieren Krankenkassen.
"Ständiger Personalmangel ist schon heute für fast die Hälfte der Beschäftigten Realität – mit gravierenden Gesundheitsrisiken. Die Zusammenhänge zwischen Personalmangel und Krankenstand sind größer als bisher vermutet. Wir brauchen deshalb mehr Aufmerksamkeit für dieses Problem, das sich leicht potenzieren und zu einem Teufelskreis führen kann", sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit.
Gesundheit am Arbeitsplatz: Was Unternehmen tun können
"Wir unterstützen Unternehmen dabei, die Arbeit so zu organisieren, dass sie für die Führung und die Beschäftigten möglichst gut zu bewältigen ist. Es geht u. a. um die Stressreduktion und um eine gute Balance von Arbeit, Erholung und privaten wie gesellschaftlichen Aufgaben", so der DAK-Vorstand.
In der Praxis stößt das Angebot bisher nur auf geringe Resonanz der Betriebe. Von den Beschäftigten, die regelmäßig Personalmangel erleben, sagen lediglich 31 Prozent: "Mein Betrieb engagiert sich für das Wohlergehen seiner Mitarbeiter". Kaum mehr als ein Fünftel gibt im "DAK-Gesundheitsreport" an, dass in der täglichen Arbeit die Gesundheit eine Rolle spiele.
Die Rolle der Bundesregierung bei der Arbeitsgesundheit
Die Bundesregierung hat Initiativen zur Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung gestartet. Damit sollen Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) verbessert werden. "Die Ausrichtung der aufgelegten BGF-Projekte selbst ist hingegen durchaus problematisch", so Tiedemann.
"Sie zielt nach wie vor oft einseitig auf individuelle Verhaltensprävention: Kurse zu Themen wie Stressbewältigung sollen gesundheitsförderliche Verhaltensänderungen anstoßen". Die arbeitsbedingten Ursachen des zunehmenden Stresses am Arbeitsplatz werden kaum thematisiert: "Für Arbeitgeber ist dies ein bequemer Weg, um nach außen und nach innen Aktivität zu signalisieren, ohne ernsthafte Aufwände zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu betreiben", kritisiert der IG Metaller.
Homeoffice und die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben
Beschäftigte gerade in agilen und digitalisierten Unternehmen benötigen regelmäßige Phasen der Ruhe und Erholung. Doch Abschalten fällt schwer: "Dafür sorgen die fließenden Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben im Homeoffice oder das Gefühl ständige Erreichbarkeit, um Erwartungen zu erfüllen", erläutert Michaela Paefgen-Laß, Lehrbeauftragte an der Hochschule Rhein Main.
"Die Arbeitsgestaltung sowie die Umsetzung von Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz ist primäre Aufgabe von Arbeitgebern", betont Paefgen-Laß.
Die Beurteilung von Gefahren durch psychische Belastung ist seit 2013 im Arbeitsschutzgesetz geregelt. Dass es daran in der Praxis häufig mangelt, zeigt eine Befragung von Betriebs- und Personalräten, berichtet Paefgen-Laß.
Die Herausforderung der psychischen Belastungen im Arbeitsschutzgesetz
Danach wird die Gefährdungsbeurteilung zu psychischen Belastungen nur von rund 63 Prozent der Betriebe vorgenommen. Ermittelt werden dabei wachsende Stressfaktoren. Diese werden auch Stressoren genannt und sind etwa ständige Unterbrechungen, Multitasking, Arbeiten unter großem Zeitdruck oder Lärm.
Erfolgreich können die gesetzlichen Schutz-Vorgaben nur sein, "wenn ihre Einhaltung konsequent durch die Aufsicht durchgesetzt werden kann", ergänzt Gewerkschafter Tiedemann. Hierzu braucht es mehr Personal in den zuständigen Landesbehörden.
Aber auch die Vorgaben, wie psychische Belastungen zu analysieren sind, müssen klarer formuliert werden. Dafür zuständig ist der neu gegründete staatliche Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (ASGA), dem auch Unternehmens- und Gewerkschaftsvertreter angehören.
Dieser definiert Anforderungen, die dann mit einem "aufwendigen Weg der Rechtsanordnung durchgesetzt werden" kritisiert der IG Metaller: "Lösen könnte dieses Problem eine eigenständige Anti-Stress-Verordnung", die von der IG Metall schon vor Jahren vorgeschlagen wurde.
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