Al-Qaida-Ausbilder im Wilden Westen Chinas?

Mutmaßliches Terroristen-Ausbildungslager ausgehoben

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Jetzt ist auch China in den „Global War on Terror“-Schlagzeilen. Zwar gibt es zum dem Vorfall vom Freitag noch kaum deutschsprachige Meldungen, aber in englischen Medien misst man der Aushebung eines mutmaßlichen islamistischen Terrorcamps in der Nähe zur pakistanischen Grenze einige Bedeutung bei. Die Fragen, die im Zusammenhang mit dem Angriff von chinesischen Sicherheitskräften auf das Lager einer „terroristischen Organisation mit internationalen Verbindungen“ aufgeworfen werden, kennt man bereits von anderen Fronten des GWOT: Ist das große Land in Gefahr ebenfalls von der islamistischen Welle erfasst zu werden? Handelt es sich um ein größeres Terrornetzwerk? Steckt al-Qaida dahinter? Oder: Tarnt die chinesische Regierung ein rigides Vorgehen gegen Separatisten und unzufriedene ethnische Minderheiten mit dem Label „Anti-Terror-Kampf“?

Am Montag berichtete die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua von einer Polizeiaktion am vergangenen Freitag gegen ein Terroristen-Ausbildungslager in in der nordwestlichen Region Xinjiang, die an Pakistan grenzt. Es soll zu einer Schießerei gekommen sein, bei der 18 verdächtige Terroristen und ein Polizist getötet wurden. Im Lager, das in den Bergen des Pamirs Plateau ausgemacht wurde, sollen nach Informationen der Nachrichtenagentur 17 Terroristen gefangen genommen und 22 Handgranten gefunden worden sein, sowie 1.500 andere unfertige Handgranaten, Gewehre und „home-made explosives“.

Das eigentlich Bemerkenswerte an der Meldung steckt in dem Verdacht, der an zentraler Stelle geäußert wird. Das Camp soll vom East Turkestan Islamic Movement (ETIM) geleitet worden sein, das mit Al-Qaida zusammenarbeiten soll:

It is believed that more than 1,000 ETIM members have been trained by al-Qaeda

Nun, so das englische Nachrichtenportal Monsters and Critics, sei es für die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua „ziemlich ungewöhnlich“, spekulative Wendungen („it is believed..“) zu benutzen und zitiert einen Experten zu den politischen Verhältnissen in der Region Xinjiang, einem Autonomiegebiet, das vor allem von türkischstämmigen Uiguren bewohnt wird: Prof. Dru Gladney, der sehr in Frage stellt, ob tatsächlich echte Terroristen in dem Vorfall involviert sind.

Beweise dafür lägen nicht vor, die Geständnisse, welche die Gefangenen liefern könnten, könnten erzwungen werden. Da die chinesische Polizei erwähnt habe, dass die „Terroristen“ Minen betrieben hätten, sei es ebenso wahrscheinlich, dass es sich um eine Bande von Schmugglern und Kriminellen handele, deren Aktivitäten für die Region, genannt der Wilde Westen Chinas, nicht untypisch seien.

Der Organisation „East Turkestan Islamic Movement (ETIM)“ würde nach seiner Meinung aus politischen Gründen zuviel Bedeutung beigemessen. Ihre Aufnahme in der Liste der terroristischen Organisationen durch die USA im Jahr 2002 sei möglicherweise ein politisches Entgegenkommen der amerikanischen Regierung gewesen, das sich mit eigenen Interessen decke. Die Organisation, „sollte sie überhaupt existiert haben“, sei nie sehr groß gewesen und nach dem Tod ihres mutmaßlichen Führers Hassan Mahsun, der 2003 von pakistanischen Truppen getötet wurde, völlig aus dem Blickfeld geraten.

Nun würden die chinesischen Behörden alles, was Eastern Turkestan oder islamische Bewegung im Namen führe, unter ETIM subsummieren, selbst wenn sich die Vereinten Nationen und auch die USA geweigert hätten, andere uigurische Organisationen als terroristische Vereinigungen anzuerkennen.

Deutliche Beweise für eine Zusammenarbeit der ETIM oder anderen uigurischen Gruppen mit der Qaida habe es „nie gegeben“, der Name Osama Bin Laden sei bislang noch nicht in Berichten im Zusammenhang mit East Turkestani-Bewegungen aufgetaucht. In separatistischen Stimmungslagen und in der politischen Unzufriedenheit der türkisch-stämmigen Bewohner in West-China argwöhnt Gladney auch den wahren, politischen Hintergrund für den chinesischen „Antiterror-Kampf“ in der Region:

Es geht nicht um islamische Radikalisierung, sondern um öffentliche Unzufriedenheit.

Dass es im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die obskure ETIM vor allem um eine politische Niederzwingung der Interessen der Uiguren handelt, haben auch schon andere als Gladney mit guten Gründen gemutmaßt. Doch muss das andere mögliche Blickwinkel nicht auschließen. Wie man von anderen Schauplätzen weiß, ist es theoretisch nicht undenkbar, dass Islamisten lokalpolitische Unterdrückungsgefühle in ein größeres Motivbündel mit aufnehmen. Und da die sich Region in der Nachbarschaft zu Pakistan befindet, wäre das Einsickern von terroristischen Gruppen mit islamistischer Prägung auch nicht völlig unwahrscheinlich.

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Interessen der Uiguren in Xinjiang, (Ost Turkestan von den Uiguren genannt und „Neues Territorium“ im chinesischen), das 1949 von der Volksrepublik China besetzt wurde, vor allem auf Unabhängigkeit zielen und nicht etwa auf die Errichtung eines islamischen Staates. Für China bot der 11.September und der nachfolgend ausgerufene „War on Terror“ eine willkommene Gelegenheit, um mit diesem Cover gegen die muslimischen Uiguren härter vorzugehen.

So überwiegt auch eher die Skepis gegenüber der offiziellen chinesischen Darstellung. Der „Kampf gegen den globalen Terror“ ist schon zu oft – und nicht nur von den USA, sondern auch von arabischen Regierungen wie etwa in Ägypten, in Saudi-Arabien, in Tunesien – als Vorwand gebraucht worden, um innenpolitisch aufzuräumen und rabiat gegen oppositionelle Kräfte vorzugehen. Vielleicht aber finden die USA und China, Rivalen auf vielen Gebieten, im chinesischen Anti-Terror-Kampf gegen Islamisten eine Konvergenz von gegenseitigen Interessen. Die amerikanische Anerkennung der ETIM als Terrororganisation gegen die Interessen der Uiguren war bereits ein Weg dahin, wie manche meinen.