Aleppo: Der Aufschrei des französischen UN-Botschafters
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Delattre befürchtet ein "Massaker wie im Zweiten Weltkrieg". Die UN zeigt sich schlecht informiert. Ihr humanitäres Hilfsangebot knüpft sie an die Bedingung einer autonomen Verwaltung Ost-Aleppos
Der UN-Sicherheitsrat hält heute eine Dringlichkeitssitzung zur Situation in Aleppo ab. Dazu aufgerufen haben die UN-Botschafter Großbritanniens und Frankreichs. Sie wollen laut eines Statements des britischen UN-Botschafter Rycroft eine Resolution vorlegen, die sicherstellt, dass Mitglieder der syrischen Regierung, die in Giftgas-Angriffe verwickelt sind, zur Verantwortung gezogen werden.
Darüber hinaus werde ein anderer Resolutionsentwurf vorgelegt, der von Spanien, Ägypten und Neuseeland zusammengestellt wurde. Darin wird eine zehntägige Waffenpause für Aleppo gefordert. "Wir unterstützen das mit aller Kraft", schreibt Rycroft.
Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin bezeichnete das Vorgehen des britischen und des französischen Vertreters als "Propaganda-Kampagne", wie ihn Voice of America zitiert.
Von al-Qaida und eigener Verantwortung ist nicht die Rede
Diplomatisch zurückhaltend sind die begleitenden Aussagen der beiden UN-Botschafter Großbritanniens und Frankreichs gegenüber den Medien jedenfalls nicht, sie sind im Gegenteil sehr offensiv. Der französische UN-Botschafter François Delattre skizzierte die Dimensionen mit expressivem Pathos:
Unter diesen tragischen Umständen können Frankreich und seine Verbündeten nicht schweigen - da wir uns etwas gegenübersehen, das eins der größten Massaker der Zivilbevölkerung seit dem Zweiten Weltkrieg sein könnte.
François Delattre
Der britische UN-Botschafter konzentrierte sich auf die Schuldfrage:
Der einzige Weg, damit Aleppo gerettet werden und der Konflikt in Syrien enden kann, besteht darin, dass das Regime und seine Unterstützer - damit meine ich vor allem Russland und Iran - ihre Politik ändern. Die Zukunft Aleppos liegt in den Händen des Regimes und Russlands. Wir fordern das Regime und Russland auf, mit den Bombardierungen aufzuhören und Hilfe hereinzulassen, eine Feuerpause auszurufen und allmählich wieder die politischen Verhandlungen in Gang zu bringen.
Matthew Rycroft
Angesichts der tragischen Umstände in Aleppo, Bilder ganzer Reihen von Häuserruinen, Schuttbergen, Verletzten, Toten, Weinenden, Jubelnden, Fliehenden, stellen sich eine ganze Menge von Fragen. Eine davon lautet, warum Rycroft noch immer nur auf eine Seite schauen will? Ausgeblendet wird die jahrelange Unterstützung der Gruppen, die die Regierung in Damaskus stürzen wollen. Die Unterstützung der Milizen durch den Westen und durch Saudi-Arabien, Katar und die Türkei haben den Konflikt mehrere Eskalationsstufen hochgetrieben. Das ist nicht zu übersehen.
Seit spätestens 2012 kann von einer auf Politik ausgerichteten "Opposition" nicht mehr die Rede sein. Die Gruppen waren hauptsächlich mit westlicher Unterstützung darauf aus, den Umsturz militärisch herbeizuführen. Wenn Rycroft beklagt, dass der politische Prozess in Genf ausgesetzt wurde, so wäre die erste Adresse der in Saudi-Arabien zusammengestellte Hohe Verhandlungsrat, der aus den Verhandlungen ausstieg.
Unabhängige Volkskomitees?
Zuletzt machte die Eroberung der Trinkwasserpumpstation in Suleiman al-Halabi durch Regierungstruppen darauf aufmerksam, wie groß die Kontrolle von al-Nusra über die Trinkwasser-Versorgung der Stadt war.
Wie in einem Bericht der libanesischen Zeitung al-Akhbar aus dem Jahr 2014 zu erfahren ist, hatte die Sharia Authority die vollständige Kontrolle. Die für die Wasserversorgung zuständige Behörde wie auch Regierungsbehörden und die Hilfsorganisation Roter Halbmond waren auf deren Willkür angewiesen - und 2 Millionen Einwohner hingen davon ab.
Die Volkskomitees ("Popular Committees") hatten Privilegien, geht aus dem Artikel hervor, dazu brauchte man Rückendeckung der herrschenden Milizen. Das Sagen hatte Al-Nusra. Die al-Qaida-Miliz machte aus allen Bedürfnissen und Nöten lukrative Geschäfte und aus der Wasserversorgung ein politisches Druckmittel.
Syrien-Beobachter behaupten, dass die bewaffneten Gruppen die Wasserpumpstation schon seit vier Jahren unter Kontrolle hatten, dass aber nichts darüber berichtet wurde.
Tatsächlich machte der französische Reporter Régis Le Sommier Anfang Oktober in einer Fernsehsendung darauf aufmerksam, dass die Wasserversorgung auch für Westaleppo in den Händen der Dschihadisten lag. Er war eine Ausnahme. Telepolis berichtete anlässlich der Anordnung einer Feuerpause durch Putin darüber.
Es ist eine eigene Geschichte und ein eigener Skandal, warum solche Informationen über die Herrschaft, die die bewaffneten Milizen in Aleppo ausübten, nicht an die Öffentlichkeit gerieten. Weil es zu wenig wussten?
Wie gut ist die UN über die Lage in Ost-Aleppo informiert?
Dann stellt sich aber die Frage, wie gut die UN-Funktionäre über die Situation in West- und Ostaleppo Bescheid wissen oder ob sie bestimmte Hintergrundinformationen von der Öffentlichkeit fernhalten. Feststeht, dass die UN seit mehreren Monaten schon die schlechte Trinkwasserversorgung bei ihren Forderungen nach einer dringend gebotenen Hilfe ganz nach oben stellte.
Zu ihren Forderungen nach einer Waffenpause gehörte immer, dass Zeit genug eingeräumt werde, um die Wasserleitungen zu reparieren. Die Dauer der Waffenruhe war ein Streitpunkt zwischen der UN und Russland. Was aber, wenn die schlechte Versorgung nicht unbedingt an den beschädigten Wasserleitungen lag, sondern an der Willkür von al-Nusra und Co., den wahren Freunden des syrischen Volkes?
An der Einschätzung der UN liegt viel. Gegenwärtig werden erneut dringende Appelle veröffentlicht: Hilfe für die "eingeschlossenen Hunderttausend in Aleppo" sei unbedingt erforderlich.
Er sei über das Schicksal der Zivilbevölkerung extrem besorgt, so der UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien. Er fügte hinzu, dass intensive Straßenkämpfe und wahllose Bombardierung des Ostteils von Aleppo in den letzten Tagen laut Berichten "eine Menge Zivilisten getötet und verletzt" hätten.