Aleppo: Der Aufschrei des französischen UN-Botschafters

Seite 2: Opferzahlen und Informationslage

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Solche konkret nicht genannten Berichte werden von François Delattre zum Anlass genommen, um das Reizwort "Massaker" erneut in die Debatte zu werfen. Dies erinnert etwas an die französische Rhetorik 2011 - "Ein Massaker in Bengasi droht" -, mit dem die Intervention in Libyen begründet wurde.

Nüchtern festzustellen ist, dass man über die genaue Zahl der Opfer der Angriffe der syrischen Armee und ihrer Verbündeten nichts weiß. Die Informationslage über die Folgen der von Russlands Luftwaffe unterstützten Offensive der syrischen Armee auf Aleppo, ist schwierig. Von russischer und syrischer Seite gibt es keine offiziellen Angaben über zivile Opfer.

Auch von der UN gibt es sie gegenwärtig nicht. Die Angaben von SOHR oder den White Helmets sind wegen ihrer Parteinahme für die bewaffneten Regierungsgegner von politischen Interessen geprägt, die Assad und seine russischen Verbündeten als Hauptverantwortliche für Massaker zeichnen. Daher sind sie wenig verlässlich.

SOHR berichtete kürzlich von 1.000 Toten "im Raum Aleppo" binnen zweier Monate. Über 500 Tote im Ostteil der Stadt, 300 Tote in der Umgebung und 200 im Westteil der Stadt. Für die beiden erstgenannten Opferzahlen wird die syrische Armee und die russische Luftwaffe verantwortlich gemacht. Die Toten in Westaleppo werden auf Angriffe der dschihadistischen Milizen zurückgeführt.

Die Zahl ist nicht überprüfbar. Erwähnt wird sie, um die Dimension anzudeuten, die den französischen Botschafter dazu veranlasst, Vergleiche mit Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg anzustellen und einen ungeheuren Assoziationsraum aufzumachen. Interessant wird ein näherer Vergleich: der zur Offensive in Mosul. Man darf gespannt sein, wie sich die Berichterstattung über die Kämpfe in Mosul gegen den IS hinsichtlich der zivilen Opfer entwickeln wird.

Die UN weist in ihrer aktuellen Mitteilung auch darauf hin, dass die Stadtviertel im Westen ständigem wahllosen Beschuss [durch die Dschihadisten - Einf. d. A.] ausgesetzt sind, was in den letzten Wochen zur Flucht von 20.000 Zivilisten geführt haben soll. Auch das ist eine nennenswerte Dimension. Erwähnt wird nun auch von einer UNHCR-Sprecherin, dass Zivilisten von den Regierungsgegnern von der Flucht aus West-Aleppo abgehalten wurden.

In einem anderen UN-Bericht spricht eine WHO-Vertreterin sogar an, dass Krankenhäuser als militärische Stellungen missbraucht wurden. Interessant ist der Bericht auch, weil de Mistura dort noch einmal auf einen Streitpunkt zwischen ihm und der syrischen Regierung zu sprechen kommt.

UN setzt auf autonome Verwaltung durch einen lokalen Rat

Zu den Hauptelementen des UN-Vorschlags zur humanitären Hilfe in Ost-Aleppo gehört eine "lokale Autonomie". Die Viertel sollen weiter von einem lokalen Rat verwaltet werden, nicht von der Regierung. Sicher ist, Frankreichs Außenminister steht in gutem Kontakt mit dem Präsidenten des lokalen Rates, Brita Hagi Hassan.

Wenig bekannt ist allerdings, wie sich der lokale Rat unter Brita Hagi Hassan zum Shura-Rat von al-Nusra und Co. verhalten hat, welche Nähen es gab oder gibt, wie das Verhältnis genau aussah. Auf UN-Informationen ist hier, angesichts der oben geschilderten Lücken kein Verlass. Die syrische Regierung ist strikt dagegen: Es ist ihr Staatsgebiet. Die Milizen des Viertels, in dem der lokale Rat sitzt, wollten die Regierung stürzen.

Während die UN auf einer Lösung besteht, die gegen die Interessen der Staatsregierung gerichtet ist, aber im Interesse westlicher Staaten liegt, beklagt die russische Regierung, dass die UN humanitäre Maßnahmen, die die syrische Regierung ergriffen habe, nicht unterstützt. Stattdessen gehe die "meiste humanitäre Hilfe der UN in Zonen, die von Widerständlern, einschließlich der Terroristen der al-Nusra-Front, kontrolliert wird, die die Hilfe zu ihrem Vorteil nutzen", so die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Zakharowa.