Aleppo: Dschihadisten auf dem Vormarsch

Seite 2: Entscheidungsschlacht für die Islamisten, Desaster für die säkularen Oppositionskräfte

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Die Großoffensive der Opposition im Süden hat somit nicht nur das Ziel, die Belagerung Ost-Aleppos zu sprengen - zugleich soll der Westen der Stadt belagert werden. Mit dem Angriff soll eine Entscheidungsschlacht gesucht werden, da sich die militärischen Kräfteverhältnisse - aufgrund der russischen Intervention - zugunsten des Assad-Regimes verschoben haben. Es ist eine letzte Chance, einen strategischen Sieg zu erringen.

Zugleich wollen die Islamisten ihren Sponsoren in Ankara und Riad beweisen, dass die Investitionen in den syrischen Dschihadismus nicht umsonst waren. Die Ausrüstung der Islamisten bei der gegenwärtigen Aleppo-Offensive ist jedenfalls sehr modern, an avancierten Panzerabwehrsystemen scheint kein Mangel zu herrschen. Inzwischen kommen auch Drohnen zu Aufklärungszwecken zum Einsatz, sodass die Steinzeitislamisten zur modernsten Informationskriegsführung übergehen.

Sprengung eines Tunnels in Ost-Aleppo

Die abgeschlossene Belagerung Ost-Aleppos durch syrisches Militär und verbündete schiitische Milizen aus Libanon, dem Irak und Iran bildete gerade den konkreten Auslöser, der die Vereinigung der zerstrittenen oppositionellen Milizen ermöglichte, die bislang vor allem untereinander um Einfluss und schlichtes Raubgut konkurrierten. Die Grenzen zwischen Oppositionsgruppe, ausländisch finanzierter Miliz, Dschihadistentruppe, Terrornetzwerk und krimineller Bande sind in Syrien fließend. Mitunter betrieben die "Oppositionsgruppen" einfach eine Art kriegsbedingter Plünderungsökonomie. Der Krieg um Syrien schien mit der Belagerung Ost-Aleppos entschieden, sodass allen gegen das Assad-Regime operierenden Kräften klar wurde, dass ihnen die politische oder plünderungsökonomische Basis ihrer Tätigkeit abhanden zu kommen droht.

Bereits jetzt stellen die Erfolge der Islamisten ein Desaster für die verbliebenen säkularen Kräfte in Syrien dar. Die Speerspitze der Offensive bildet die jüngst umbenannte dschihadistische Nursa Front, also der syrische Ableger des Terrornetzwerkes Al Quaida. Die Terrorgruppe hat sich vor kurzem in Jabhat Fatah al-Sham umbenannt und offiziell alle Beziehungen zu Al-Qaida gekappt. Mit diesem oberflächlichen "Rebranding" soll die Verankerung der Islamisten innerhalb der Opposition gestärkt und eine koordinierte amerikanisch-russische Bombenkampagne verhindert werden, di derzeit im Gespräch ist.

Drohnenaufnahme vom Angriff auf den Stützpunkt

Die bisherigen Erfolge der Nusra-Front haben bereits zu einem gigantischen Prestigegewinn der Islamisten geführt. Die Gotteskrieger erscheinen der unter der Belagerung leidenden Bevölkerung Aleppos als die einzigen Retter in der Not, sodass die Stadt sich zu einem Zentrum des militanten Islamismus zu entwickeln droht. Die ehemalige syrische Al-Qaida-Dependance hat sehr wohl begriffen, dass sie die Aleppo-Offensive dazu nutzen kann, um den Dschihadismus tief in der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit Syriens zu verankern. Die ohnehin gegebene Dominanz islamistischer und dschihadistischer Kräfte innerhalb der syrischen Opposition dürfte sich infolge der Schlacht um Aleppo zu einer Hegemonie wandeln.

Verzweifelte Zukunftsperspektive

Das Regime kann sich eine Niederlage in Aleppo aber ebenfalls nicht leisten, da dadurch ein baldiger Sieg im Bürgerkrieg vollends illusorisch würde. Die internationalen Rufe nach einer Absetzung von Assad würden lauter werden. Für beide Seiten handelt es sich somit um eine Entscheidungsschlacht, bei der alles auf eine Karte gesetzt werden muss.

Jüngsten Berichten zufolge zieht die syrische Armee rasch Verstärkungen aus anderen Landesteilen in Aleppo zusammen, um die Aufständischen zurückzuwerfen. Dabei wird dieses Vorhaben aber durch die langen Nachschubwege ins nordsyrische Aleppo kompliziert, die Hunderte von Kilometern durch feindliches, von Islamisten kontrolliertes Gebiet führen - das ebenfalls vor Gegenangriffen mit Truppen mühsam gesichert werden muss. Die Versorgungslinien des Regimes sind somit prekär, eine Kappung auch südlich von Aleppo - etwa durch den Islamischen Staat - ist jederzeit möglich.

Auch geopolitisch könnte die Schlacht von Aleppo erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. Erfolge der Islamisten könnten etwa das islamische Regime in Ankara dazu veranlassen, die eingeleitete Normalisierung der Beziehungen mit Damaskus und Moskau aufzugeben und erneut auf Konfrontationskurs in Syrien zu gehen.

Und auch für die Bevölkerungsmehrheit in Syrien schafft die Offensive keine Erleichterung, im Gegenteil: Um die Versorgung Ost-Aleppos tatsächlich sicherzustellen, müssten die Islamisten nicht nur die Verteidigungslinie der syrischen Armee durchbrechen, sondern den Korridor auch absichern, was selbst mittelfristig unwahrscheinlich scheint. Bis auf weiteres scheint nun die gesamte Stadt in einem wechselseitigen Belagerungszustand gefangen. Zudem scheint sich nun eine verzweifelte Zukunftsperspektive in dem geschundenen Land zu zementieren: Jenseits vom kurdisch geprägten Nordsyrien besteht die Wahl zwischen einem korrupten und mörderischen Regime und einer "Opposition", die von barbarischen Kräften dominiert ist, die Assad als geradezu gemäßigt erscheinen lassen.