All along the Camera-Tower
Die Electronic Frontier Foundation hat für Freitag zu einem weltweiten Aktionstag gegen die Videoüberwachung des öffentlichen Raums aufgerufen
Die Überwachung des Bürgers durch Kameras in öffentlichen Gebäuden wie auf Straßen und Plätzen nimmt ständig zu. Durch das Treiben von Unternehmen und staatlichen Behörden beginnen in Ländern wie Großbritannien "1984"-Szenarios außerhalb der eigenen vier Wände tatsächlich langsam Realität zu werden. Die amerikanische Bürgerrechtsorganisation EFF will daher am 07.09.01 mit globalen Aktionen via Internet auf die Bedrohung der Rechte des Einzelnen aufmerksam machen.
Der Unsichtbare Dritte ist immer dabei. Wer seinen Kaugummi auf die geschmackvolle Täfelung in der Bankschalterhalle pappt, seine mäßig erfreute Angebetete auf der Parkbank abzuknutschen versucht oder beim Warten auf eine mal wieder stark verspätete S-Bahn missmutig in der Nase bohrt - jeder muss heute damit rechnen, dass sich jemand gerade live vor irgendwelchen Monitorwänden über die da gefilmte Person amüsiert - im besten Falle. Hat man nicht so viel Glück und wittern die neugierigen Augen von Polizeibeamten oder Angehörigen privater Sicherheitsdienste Unheil, kann auch die Speicherung des eigenen Konterfeis und die Abfrage in anderen Datenbanken zwecks Ermittlung der Identität die Folge sein. Und allein die harmlose alltägliche Bewegung im eigenen Viertel reicht bei ständiger und umfassender Überwachung durch einen Verbund hochauflösender (Vgl.Neues Video-Überwachungssystem) Kameralinsen schon aus, um nach einer gewissen Dauer individuelle Verhaltensmuster erstellen zu können.
In welche Kneipen geht Person X, welche Zeitungen kauft sie, mit wem trifft sie sich bevorzugt undsoweiter. Nichts bleibt verborgen. In vielen Vierteln britischer Städte ist dies bereits ständige Praxis (Vgl.CCTV-Manie in Großbritannien) der Polizei. Denn allein im britischen Königreich als Vorreiter der Entwicklung stehen geschätzt mehr als 300.000 Überwachungskameras. Weltweit dürften mittlerweile mehr als hundert Millionen solcher Kameras im Einsatz sein, die oft in rechtlichen Grauzonen operieren.
Die ersten Videokameras hatten sich ab Anfang der 70er Jahre noch auf Bankschalter und Straßenkreuzungen beschränkt. In den 80ern breitete sich die öffentliche Überwachung rasch auf U-Bahnen, Plätze vor öffentlichen Gebäuden, Parks und Geschäfte aus. Anfang der 90er Jahre begann man schließlich damit, Überwachungskameras auch in Sportstadien, an Autobahnen und Stadtstraßen aufzustellen.
Die Überschreitung der rechtlichen Zulässigkeit wird dabei von Behörden und Unternehmen oft in Kauf genommen. Unbedenklich sind nur reine Übersichtsaufnahmen, also Aufnahmen, die keiner bestimmten Person zugeordnet werden können. Das Recht auf Unbeobachtetheit wird aber schon dann bedroht, wenn eine Person an ihrem Gesicht, Gang oder anderen Merkmalen erkannt werden kann. Zwar erfolgt bei nicht zielgerichteter Erfassung normalerweise keine Identifizierung. Beispielsweise ein Abgleich mit Bilddatenbanken über spezielle Erkennungsprogramme ist jedoch grundsätzlich möglich. Und einem vom stundenlangen Alltag-Glotzen gelangweilten Beamten mag dafür schon das Tragen auffälliger Kleidung mal reichen. Schon ist man als unbescholtener Passant unzulässigerweise polizeilich identifiziert.
Da man bei verdeckter, nicht erkennbarer Videoüberwachung gar nicht ahnt, dass Aufnahmen erstellt und eventuell weiterverwertet werden, ist jedenfalls dann ein Eingriff in den Datenschutz gegeben. Denn längst nicht immer wird der Bürger per Hinweisschild ausreichend darüber informiert, dass er bei Betreten einer Örtlichkeit überwacht wird. Grundlage für den Betrieb von Überwachungsanlagen ist das Hausrecht. Im öffentlichen Raum von Bahnhöfen oder Einkaufspassagen ist aber für den Bürger oft nicht erkennbar, wo die Grenze zwischen besonders geschützter privater Sphäre und öffentlicher Sphäre liegt. Bei öffentlicher Zugänglichkeit müßte man darauf vertrauen können, dass man sich dort frei, d.h. unbeobachtet, bewegen kann. Die Realität sieht anders aus.
Außerdem werden Aufnahmen im öffentlichen Raum nicht nur aus (rechtens oder nicht) behaupteten Sicherheitsinteressen gemacht, sondern eindeutig rechtswidrig zu kommerziellen Zwecken, zur Werbung, Unterhaltung und Belustigung. Wer schaulustig einen Monitor betrachtet, auf dem andere Menschen zu sehen sind, die nicht wissen, dass sie gerade gefilmt werden, macht sich meist nicht bewusst, dass er selbst im gleichen Moment auch beobachtet werden kann. Das von staatlicher Seite oft gebrauchte Argument der besseren Verbrechensprävention greift nur teilweise. Potenzielle Gesetzesbrecher weichen oft einfach in weniger beobachtete Bereiche aus. Höchste Zeit also, dass der ausufernden und teilweise rechtswidrigen Praxis bei Videoüberwachung Einhalt geboten wird.
Zu den Organisationen, die gegen diese unheilvolle Entwicklung Aufklärungsarbeit leisten, gehört neben der Surveillance Camera Players (SCP) auch die EFF. Sie hat jetzt zu einem internationalen Aktionstag aufgerufen, um die Bürger über die Bedrohung ihrer persönlichen Rechte zu informieren und zu sensibilisieren. Einzelpersonen oder organisierte Gruppen, die sich daran beteiligen, werden nach Vorstellung der EFF am Freitag autonom und dezentral gestaltete Aktionen auf lokaler Ebene durchführen. Um die Kommunikationswege im Internet zu nutzen, sollen möglichst viele Aktionen direkt vor im öffentlichen Raum postierten Webcams stattfinden, die von Privatunternehmen installiert worden sind. Damit soll den Firmen ihr zwielichtiges Geschäft etwas vermiest und außerdem Interessierten weltweit ermöglicht werden, über das Netz die Anti-Überwachung-Aktionen, die die Form von Sketchen und kurzen Info-Beiträgen haben sollen, live mitzuverfolgen. Deutsche Aktivisten in Städten wie Berlin und Bielefeld wollen dabei über die jeweilige lokale Überwachungspraxis berichten.
Die teilnehmenden Organisationen und Einzelkämpfer sollten sich laut EFF zahlreich untereinander vernetzen, des Weiteren möglichst viele Websites Bilder der Webcams verbreiten oder zumindest Links zu den Internet-Kameras bereitstellen.
Eine Liste der teilnehmenden Organisationen ist hier zu finden. Wer noch teilnehmen möchte, kann sich bei notbored.org informieren bzw. an notbored@panix.com eine mail schicken.