Alle Jahre wieder kommt die Grippe

Und wenn sie von einem Vogel kommt, wird es schlimm

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Winter steht vor der Tür und in Deutschland beginnt das große Schniefen. Ärzte raten zu einer Grippe-Impfung. In den USA ist allerdings der Impfstoff zurzeit Mangelware, in Asien flammt die Vogelgrippe immer wieder auf und die Experten befürchten, dass ein Influenza-Virus jederzeit wieder als weltweite Pandemie um sich greifen könnte.

Nicht jede Erkältung ist eine Grippe, auch wenn umgangsprachlich fiebrige Infekte so bezeichnet werden. Die Influenza ist eine schwere Atemwegsinfektion, die durch Viren übertragen wird. Starke Kopf- und Gliederschmerzen setzen plötzlich ein, Atemwegsbeschwerden und hohes Fieber folgen. Der Erkrankte fühlt sich völlig abgeschlagen und sehr elend. Die Symptome sind ähnlich wie bei den grippalen Infekten Schnupfen oder Husten, aber die Krankheit ist sehr viel schwerwiegender und gefährlicher. Grippe ist sehr ansteckend, sie tritt in Wellen auf, viele infizieren sich durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch innerhalb von sechs bis acht Wochen, dann verschwindet die Influenza genau so schnell wieder wie sie gekommen ist.

Grippekranke in einem Notfall-Krankenhaus im Armeelager Funston während der Pandemie 1918 in den USA. (Bild: Otis Archives of the National Museum of Health and Medicine in Washington, D.C.)

In jedem Winter fordert die Grippe ihre Opfer. In Deutschland starben in der Saison 2002/2003 alleine 16.000 Erkrankte. Selbst bei durchschnittlichen Grippewellen sind hierzulande 5.000 bis 8.000 Todesfälle zu beklagen – weltweit rechnen Experten mit ungefähr einer Million Toten jährlich.

Ungefähr 40 Prozent der Bevölkerung gelten als besonders gefährdet. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt Personen über 60 Jahren, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens wie z. B. chronische Krankheiten, Diabetes oder Immundefizienz sowie Personen, die in Bereichen mit umfangreichem Publikumsverkehr arbeiten, sich impfen zu lassen (vgl. Influenzaimpfstoffe für die Saison 2004/2005). Die Impfung muss jedes Jahr wiederholt werden, da sich die Viren ständig graduell verändern. Gespritzt wird ein so genannter Totimpfstoff aus Influenza-Viren, die in der vergangenen Saison im Umlauf waren und die Krankheit nicht mehr auslösen können (vgl. Recommendations for influenza vaccines).

Geimpft werden konkret abgetötete Influenza-Virenbestandteile, so genannte Antigene. Dadurch wird das Immunsystem angeregt und es bildet spezifische Antikörper gegen die Viren. "Die heute verfügbaren Grippeimpfstoffe sind gut verträglich. Zudem kontrolliert das Paul-Ehrlich-Institut jede Impfstoff-Charge und gibt sie erst dann zur Anwendung frei", erklärt Johannes Löwer, der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts.

Während der Grippeepidemie 1918 trugen Polizisten in Seattle Atemmasken, um sich gegen das Influenza-Virus zu schützen

Da die Grippeviren ständig durch Mutationen ihre Oberfläche verändern, erkennt das Abwehrsystem des Körpers im Zweifelsfall die Krankheitserreger nicht wieder und sie können sich ungestört vermehren. Deswegen gibt es immer wieder Grippeepidemien, die aber meist auf bestimmte Gebiete oder Länder begrenzt bleiben. Wenn zwei Virusarten allerdings ihr Erbgut vermischen, kommt es regelmäßig zu länderübergreifenden Pandemien mit vielen Toten, durchschnittlich geschieht das alle 11 bis 40 Jahre. Die schlimmste internationale Grippewelle begann 1918/19 und forderte mindestens 30 Millionen Menschenleben, in Deutschland verstarben 800.000 Patienten, in ganz Europa etwa zwei Millionen (vgl. Die Rückkehr der Spanischen Grippe). Der Asiatischen Grippe 1957 und der Hongkong-Grippe 1968 fielen ungefähr jeweils rund eine Million Menschen weltweit zum Opfer.

Vogelgrippe und Mutationen

Zum Auftakt einer Fachkonferenz in Genf hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor einigen Tagen die Pharmaindustrie zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen eine mögliche weltweite Grippe-Pandemie aufgerufen. Die Experten hegen Befürchtungen, dass die Vogelgrippe mutieren könnte und dann eine Ansteckung von Mensch zu Mensch eine globale, tödliche Grippewelle auslösen würde. Sollte sich der Virus H5N1, der bisher unter Geflügel in Asien grassiert, mit einem menschlichen Grippevirus vermischen, könnte das sehr schnell geschehen.

"Eine Gefahren-Konstellation wie jetzt hat es bisher noch nie gegeben. Alle Bedingungen für eine solche Pandemie sind vorhanden", erläuterte Klaus Stöhr, der Leiter des WHO-Influenzaprogramms, in einem dpa-Gespräch (vgl. Main conclusions from the Informal Meeting of WHO, Influenza Vaccine Manufacturers, National Licensing Agencies, and Governmental Representatives on Influenza Pandemic Vaccines).

Die Vogelgrippe oder Geflügelpest befällt vor allem Hühner und Puten, verursacht wird sie durch den in 15 Unterarten (sog. H-Subtypen) vorkommenden Influenza-A-Virus. Bekannt ist die Erkrankung, mit der sich auch Zugvögel infizieren, seit mehr als 100 Jahren. In den letzten Jahren kam es in Asien immer wieder zu massiven Ausbrüchen, besonders betroffen waren Thailand und Vietnam. In insgesamt zehn Staaten Südostasiens wütete die Geflügelpest immer wieder und um sie einzudämmen wurden viele Millionen Hühner getötet.

Der Vogelgrippevirus infiziert auch Säugetiere wie Schweine, Pferde oder Katzen. Seit 1997 ist auch bekannt, dass Menschen durch den Kontakt mit krankem Geflügel erkranken können. Die Übertragung auf den Menschen findet vermutlich hauptsächlich durch Inhalation virushaltiger Staubteilchen, bzw. durch Kontakt unter mangelnden Hygienebedingungen statt – im Kot der Tiere finden sich besonders viele Viren. Allein in Thailand und Vietnam erkrankten von Ende letzten Jahres bis inklusive Oktober insgesamt 44 Menschen, mehr als 30 davon starben (vgl. Confirmed Human Cases of Avian Influenza A(H5N1)).

Eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist bisher nicht einwandfrei nachgewiesen, es gab aber einige Verdachtsfälle (vgl. Die Vogelgrippe und das Influenza-Virus). Eine gleichzeitige Infektion mit Vogel- und menschlichen Influenza-A-Viren könnte im Menschen oder im Schwein zu einer Mischung des Erbmaterials der Viren führen – ein Schreckenszenario, das in einer Pandemie enden könnte.

Die Grippe-Jäger

Das New York Times Magazine widmete kürzlich den Grippe-Jägern Kejiji Fukuda vom Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta (CDC) und seinem Mitarbeiter Tim Uyeki einen umfassenden Artikel. Die beiden arbeiten unter dem Schirm der internationalen Kooperation der Weltgesundheitsorganisation und versuchen immer wieder – auch direkt vor Ort – zu ermitteln, wenn ein Mensch an der Vogelgrippe erkrankt.

Wie alle Epidemiologie-Experten beunruhigt sie die Möglichkeit einer Pandemie, zumal immer mehr verschiedene Spezies an dieser Form der Influenza verenden. In diesem Herbst starben 20 Tiger in einem Zoo im Osten Thailands an einer Infektion mit dem Virus H5N1.

Berichte über Fälle von Geflügelpest an die WHO sind freiwillig. Und es geht um viel Geld. Bricht die Epidemie unter den Tieren aus, müssen flächendeckend Hühner, Enten und Puten getötet werden. Für Thailand, den bis Anfang des Jahres viertgrößten Geflügelexporteur der Welt war der Ausbruch der Vogelgrippe ein wirtschaftliches Disaster. Andere Länder wie China haben politische Probleme, der internationalen Gemeinschaft ihre Schwachstellen zu enthüllen.

Experten wie Fukuda untersuchen die Umstände des Sterbens der menschlichen Opfer der Vogelgrippe. Ende September berichtete Thailand, dass eine 26jährige Frau aus einer Vorstadt Bangkoks sich durch den Kontakt mit ihrer Tochter mit der Geflügelpest infiziert hatte. Das Kind, das bei einer Verwandten auf dem Land lebte, hatte direkten Kontakt zu Hühnern und sich bei ihnen angesteckt. Die Mutter eilte ins Krankenhaus, in dem das kleine Mädchen lag und pflegte es bis zu seinem Tod. Danach erkrankte sie selbst und erlag dann ebenfalls der Vogelgrippe. Alles schien auf den ersten klaren Fall einer direkten Mensch-zu-Mensch hinzuweisen, aber die Ermittlungen der Grippe-Jäger ergaben, dass die Frau vor ihrem Krankenhausbesuch doch noch ganz kurz im Dorf vorbei geschaut hatte. Nicht mehr als eine Stunde hatte sie dort verbracht – aber es ist denkbar, dass sie Kontakt zu infiziertem Geflügel hatte.

Also kein eindeutiger Fall, der steht zum Glück noch aus. Aber wenn dieser Fall eintritt, ist es wichtig, alle Umstände genau zu kennen und den neuen Virus möglichst rasch zu isolieren und zu analysieren. Die politischen Rahmenbedingungen und der Willen zur völligen Transparenz wird dann eine große Rolle spielen. Fukuda findet diese Erkenntnis beunruhigend:

Wenn politische Erwägungen die Interessen der Epidemiologie zu überwiegen beginnen, beeinflusst das die Schnelligkeit, mir der wir reagieren können und unser Reaktionsvermögen insgesamt.

Zugvögel halten sich nicht an politische Vorgaben und in einer globalisierten Welt ist auch die völlige Kontrolle des internationalen Warenverkehrs eine Illusion. Im Oktober wurde in Belgien ein Thailänder verhaftet, der zwei geschmuggelte Adler in seinem Gepäck versteckt hatte – beide Tiere waren mit der Vogelgrippe infiziert. Der Schmuggler selbst war nicht krank, aber Ereignisse dieser Art bereiten den Grippe-Jägern schlaflose Nächte.

Der Virus mutiert, das ist sicher. Erste Fälle der Übertragung von Katze zu Katze konnten inzwischen nachgewiesen werden. Wenn das erste Mal ein neuer Typ des Geflügelpest-Erregers im Menschen auftaucht, der sich durch Niesen und Husten von Mensch zu Mensch ausbreitet, sollten die Experten möglichst schnell einen Impfstoff zur Hand haben, um Millionen von Toten zu verhindern.