Allergien gegen Krebs

In Wien gelang weltweit die erste aktive IgE-stimulierende Tumorimpfung

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Unter Leitung von Professor Erika Jensen-Jarolim gelang es einer Gruppe von Wissenschaftlern am Institut für Pathophysiologie der Medizinischen Universität Wien erstmals in einem kontrollieren Prozess, Mäuse speziell auf Tumore zugeschnittene IgE-Antikörper produzieren zu lassen.

Bild: Erika Jensen-Jarolim

Die Ergebnisse wurden jetzt in der Zeitschrift Cancer Research publiziert1 und auf dem derzeit in Wien stattfindenen Internationalen AllergoOncology Symposium diskutiert. Das Neue und Interessante daran ist, dass die Bildung des Antikörpers in einem kontrollierten Prozess gelangt. Dass Mäuse ein speziell auf ein B16-Melanom zugeschneidertes IgE produzieren konnten, hatten Bartholomaeus und Keast bereits 1972 beobachtet.2

Allergiker sterben weniger häufig an Krebs

IgE-Antikörper spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Allergien und bei der Regelung allergischer Reaktionen, unter anderem bei der Ausschüttung von Histamin. Das Serum von Allergikern weist einen deutlich höheren IgE-Wert auf als das von Menschen ohne Allergien. Bei gesunden Menschen beträgt die Konzentration von IgE im Serum etwa 30 Nanogramm pro Milliliter. Auch bei einem Parasitenbefall steigt der IgE-Wert signifikant an.

Dass IgE-Antikörper auch sehr effektiv gegen Tumore wirken können, war seit längerem bekannt: Bereits 1957 hatte Frank Macfarlane Burnet die These aufgestellt, dass das Immunsystem kontinuierlich nach Tumorzellen sucht und sie zerstört.3 Seit den 1990er Jahren ist nachgewiesen, dass Menschen, deren Immunreaktionen künstlich verringert wurden - etwa bei Organverpflanzungen - ein höheres Krebsrisiko entwickelten.4 2005 erschien in der Zeitschrift Allergy ein Aufsatz, der die Ergebnisse der Studien nach 1985 zusammenfasste und zu dem Ergebnis kam, dass Atopie mit einem verminderten Krebsrisiko einhergeht.5 Im gleichen Jahr veröffentlichte M. C. Turner zwei Schriften, die zu ähnlichen Ergebnissen kamen: In einer über 18 Jahre laufenden Studie mit über einer Million Teilnehmern zu Atopie und der Sterblichkeit bei Krebserkrankungen wies er nach, dass Menschen, die Heuschnupfen und Asthma entwickelten, ein um 10% verringertes Risiko hatten, an Krebs zu sterben. Das Sterberisiko bei Darmkrebs lag sogar um 20% niedriger.6 Mit einer unter Zuhilfenahme der MEDLINE-Datenbank angefertigten zweiten Studie der Fälle seit 1966 kam Turner zu ähnlichen Ergebnissen. Eine Ausnahme macht lediglich der Lungenkrebs, weil sich die ständigen entzündlichen Reaktionen in der Lunge von Asthmatikern krebsbegünstigend auswirken.7

Die relativ hohe Wirksamkeit der IgE-Antikörper gegen Krebs ist insofern verblüffend, weil sich das in Folge einer Allergie gebildete IgE nicht gegen den Tumor richtet, sondern gegen Stoffe wie Pollen oder Proteine von Katzenhaaren. Ziel der Wiener Wissenschaftler war es deshalb, diese für Allergien typische Klasse von Antikörpern so zu verändern, dass sie gegen Tumore direkt wirken. Diese Veränderung wollten sie mit einer aktiven Immunisierung des Körpers verbinden, der so dauerhaft IgE-Antikörper gegen Krebs produzieren sollte.

Immunisierung geht durch den Magen

Mit einer Injektion unter die Bauchdecke von Mäusen gelang zwar eine aktive Immunisierung gegen bestimmte Tumore, aber die Tiere produzierten lediglich Antikörper der IgG-Klasse, die sich gegen die Geschwüre als weit weniger wirksam erwiesen. Damit die Tiere statt dessen die IgE-Antikörper produzierten, musste die Immunisierung über die Nahrungsaufnahme erfolgen.

Eine frühere Studie von Professor Jensen-Jarolim zu Lebensmittelallergien hatte belegt, dass Nahrungsmittel-Peptide, die den Weg durch die Magensäure unbeschadet überstehen, IgE-abhängige Immunreaktionen auslösen können.8 Den Mäusen wurde deshalb ein Peptid gefüttert, das den Tumor-Peptiden sehr ähnlich war. Gleichzeitig behandelte man die Mäuse wie Gastritis-Patienten und neutralisierte die Säure im Magen der Tiere medikamentös. Daraufhin produzierten sie tumorspezifische IgE-Antikörper, was sich in einer Art allergischen Reaktion zeigte.