Alles für den Markt, nichts für die Menschen
Das Heiligtum "Markt"
"Der Markt regelt es schon" - Das Mantra der Marktwirtschaft und ihrer Vertreter. Es wird uns immer wieder und wieder erzählt und wir WISSEN, es ist richtig. Der Markt regelt es schon. Wir wissen ziemlich genau wie er funktioniert und was er ist. Das sollte niemand in Frage stellen. "Der Markt regelt es schon." Was "der Markt" ist, wissen wir genau. Nur was "es" ist, das er regelt, das hat uns niemand gesagt.
Dies ist kein Plädoyer dafür, eine Planwirtschaft nach Vorbild des ehemals real existierenden Sozialismus einzuführen. Allein die Pflicht, dies sagen zu müssen, um einen Diskussions-Krieg zu vermeiden zeigt bereits, dass der Markt als Heiligtum angesehen wird. Kritik am Markt ist Kritik am bestehenden System, welches seit Jahrzehnten existiert, den "Kommunismus" überlebt hat und allein deshalb bei vielen bereits einen Alleinstellungsanspruch besitzt. Doch selbst die Verlierer dieser Strategie gehören oft zu den Verteidigern des Althergebrachten.
Doch! Der Markt ist unfehlbar wenn es darum geht, "es" zu regeln. Offenbar ist nicht eine Diskussion über den Markt notwendig, sondern erstmal über "es": Was wollen wir denn, dass der Markt regelt? Ist "es" die Sorge dafür, dass es allen Menschen gut geht? Das Frieden, Sicherheit, Vernunft und Freude herrscht? Oder ist "es" z.B. die Ausgrenzung von Millionen, die sich überflüssig fühlen, seit das Heiligtum "Arbeitsmarkt" sie nicht mehr braucht? Und die Überstunden und der Druck, dem die Millionen ausgesetzt sind, die Arbeit haben? Die steigende soziale Unsicherheit und Armut - und das, obwohl wir Dank ständigem Wirtschaftswachstum MEHR produzieren als im Jahr davor! Merken wir das überhaupt noch? Wenn nein: Ja wo ist es denn hin, was wir mehr produzieren als letztes Jahr?
Arbeitslosigkeit vs. Geldlosigkeit
Arbeitslosigkeit ist doch nicht wirklich das Problem. Wie viele Leute gehen fröhlich und motiviert an ihre Arbeit? Die wenigsten wollen doch arbeiten. Arbeiten zu gehen ist heutzutage viel mehr gesellschaftliche Pflicht zum Überleben, als der Wunsch, etwas Sinnvolles mit seiner Zeit anzufangen. Arbeitslosigkeit ist nicht das Problem. Geldlosigkeit ist das Problem! Und das Fehlen von Alternativen, mit denen man seine Zeit verbringt.
Was der heutige Markt kann:
- Güter produzieren, die gebraucht werden
- Güter dorthin bringen, wo sie gebraucht werden und das nötige Geld dafür vorhanden ist
- Innovationen fördern, da derjenige belohnt wird, der die Nachfrage auf dem Markt befriedigt
Was der heutige Markt nicht kann:
- Güter produzieren, die gebraucht werden, aber keine kurzfristige, in Geld messbare Rendite abwerfen (Kindergärten! Freizeitmöglichkeiten! Bildung!)
- Güter dorthin bringen, wo sie gebraucht werden, aber wo kein Geld dafür da ist (Hunger in den Entwicklungsländern, Überproduktion in den Industrienationen)
- Innovationen fördern, die der Gesellschaft als Ganzes nutzen (Stichwort Umweltschutz)
Der Markt folgt Gesetzen.
Im Grunde unterscheiden sich diese Gesetze nicht von denen eines Computersystems. Einige kann man umgehen, andere kann man brechen. Verstehst du?
Morpheus zu Neo im Film "Matrix"
Der Markt folgt seinen eigenen Regeln, aber diese Regeln sind an Gesetzmäßigkeiten gebunden. Und viele dieser Gesetze werden vom Menschen gemacht. Ein deutliches Beispiel dafür ist die Änderung des Urheberrechts. In den USA wurde das Urheberrecht soeben auf bis zu 95 Jahre verlängert - damit z.B. Walt Disney weiterhin alleinig Anspruch auf die Nutzung der ursprünglichen Abbildung von Mickey Mouse hat. Die Urheberrechtsindustrie geht massiv gegen Tauschbörsen wie Kazaa vor.
Obwohl der Markt dafür sorgt, dass Informationen über diese Netze frei und schnell verfügbar sind, wird das Bestreben Einzelner (der Unternehmen) über das Wohl der Menschheit gestellt. Würde man den Markt an dieser Stelle frei agieren lassen, wie es von den harten Vertretern immer wieder gefordert wird, dann würde eindeutig die Variante "Tauschbörse" gewinnen - denn sie sorgt für eine schnelle, dezentrale, optimale Verteilung von Informationen - und die Nachfrage ist offenbar groß.
Hier wird also offenbar an den Gesetzmäßigkeiten des Marktes eingegriffen, um den Markt so zu formen, dass er "es" regelt.
Markt-Gesetze werden gebrochen
Bereits mit dem Aufbau eines Kartells oder gar eines Monopols sind viele Gesetze des Marktes nicht mehr gültig - sie werden umgangen und die daraus entstehenden Möglichkeiten werden ebenfalls selten dazu genutzt, der Menschheit im Ganzen zu nutzen. "Kartellwächter" sind diejenigen, die aufpassen sollen, dass der Markt an diesen Stellen nicht "aus dem Ruder" läuft.
Doch je nachdem, welches Ziel "es" ist, dem wir hinterherlaufen, sollte man diese Begrenzung gleich ganz abschaffen. Wenn es also Ziel ist, den freien Markt zum obersten und wichtigsten Ziel zu erheben, dann muss man konsequenterweise auch diese künstlichen Barrieren fällen - koste es, was es wolle.
Der deutsche Bundeskanzler Schröder hat jetzt sein "Reformpaket" (vgl. Der milde Mut zur Besserung) vorgelegt. Die Opposition kritisiert es natürlich. Ihre besseren Vorschläge wären vermutlich noch größere Kürzungen im Sozialbereich, als sich die "sozialdemokratische" Regierung vorgenommen hat. Was vergessen alle? Dass "der Markt" eine Symbiose zwischen Anbietern und Nachfragern ist. Die Anbieter können produzieren, so lange sie wollen - wenn die Nachfrager nicht am Produktionsprozess beteiligt sind und keinen Teil des entstehenden "Mehrwerts" abbekommen, dann haben sie kein Geld, die Produkte zu kaufen. Eine Fixierung der Rationalisierung nur dahingehend, dass allein die "Bedingungen für die Unternehmen besser werden" und die Nachfrager zu Arbeitssklaven verkommen muss mittel- bis langfristig in eine Situation führen, dessen Folgen nicht wünschenswert sein können.
"Der Markt spielt verrückt"
Eine Aussage, die man immer wieder hört - speziell wenn es um Reaktionen der Aktienmärkte geht. Inzwischen hat sich rumgesprochen, dass der Markt aus mehr als Mathematik und Nutzenfunktionen besteht. Aber bei der Geschwindigkeit, mit der Erkenntnisse heutzutage in Handlungen umgesetzt werden, muss man befürchten, eine Änderung nicht mehr erleben zu dürfen. Die Aussage "Die Märkte spielen verrückt" zeigt doch auch, dass man Märkten allein nicht die gesellschaftliche Steuerung übertragen darf. Die Zeiten, in denen uns Verrückte regieren, sollten langsam vorbei sein.
Was dem Markt fehlt, ist die gesellschaftliche Komponente
Marktregulation muss sein, wenn "es" das Ziel sein soll, der Menschheit zu nutzen. Der heutige Markt ist nur darauf ausgelegt, individuelle Probleme zu lösen. Dabei wird völlig übersehen, dass jedes Individuum Teil der Gesellschaft ist - und nur wenn es der Gesellschaft gut geht, kann auch das Individuum unbeschwert leben. Der heutige Markt versagt zum Beispiel nahezu vollständig, wenn es um Umweltbelange geht. Umweltzerstörung ist seit Jahrzehnten ein bekanntes Problem. Der Markt allein regelt da gar nichts zum Besseren, da er nur belohnt, was finanziell messbar ist. Da müssen erst Gesetze geschaffen werden, wie die zur Erhebung einer Mineralölsteuer, um die Industrie zur Produktion abgasärmerer Fahrzeuge und die Verbraucher zu bewussterem Umgang mit dem Auto als Verkehrsmittel zu erziehen.
Dabei bietet das Beispiel Auto gesellschaftliche Rationalisierungsmöglichkeiten zuhauf. In Deutschland hat ca. jeder zweite ein Auto. Die meisten davon stehen mindestens 22 Stunden am Tag gammelnd in der Gegend herum, nehmen Platz weg, beanspruchen Ressourcen und sind nicht selten mehr Statussymbol als Gebrauchsmittel.
Man stelle sich Innenstädte vor, die nur von Taxen und öffentliche Verkehrsmitteln befahrbaren werden dürfen - natürlich von so vielen, dass man nie länger als 3 Minuten irgendwo in der Stadt wartet, um mitgenommen zu werden. Autos dafür sind bereits jetzt genug da, Arbeitslose, die als oft gebrauchte Taxifahrer gutes Geld verdienen könnten, ebenso. Per Handy könnte eine Anforderung eines Taxis auf Knopfdruck geschehen, Dank GPS könnte der Taxifahrer sofort wissen, wo er hin muss. Entwicklungen wie Paybox könnten dafür sorgen, dass mit dem Handy gleich noch bezahlt werden kann. Auf diesem Wege würden sich Hunderte Menschen ein Auto und die damit verbundenen Kosten teilen. Der Markt macht "es" möglich - wenn man bereit ist, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen und sich jemand findet, der so etwas mal koordiniert.
Gesellschaftliche Vorteile:
- fehlende Staus sorgen für Zeitersparnis, geringere Umweltbelastung, bessere Straßenverhältnisse
- der Einzelne bezahlt nur noch, was er nutzt (die gefahrene Zeit bzw. Kilometer) anstatt viel Geld in einen Wagen zu investieren, der zu 90% seiner Zeit herumsteht. Die Kosten für Anschaffung, Haltung und Betrieb des Wagens dürften um ein Vielfaches höher liegen, als die Kosten für die täglichen Taxi-Fahrten bei guter Auslastung der vorhandenen Taxi-Ressourcen. Die heutigen Taxipreise sind auch deshalb so hoch, weil zu wenige Leute Taxi fahren. Hier könnte der Markt gute Arbeit verrichten.
- dadurch finanzielle Ersparnis der bisherigen Auto-Fahrer - dies könnte z.B. durch geringere Arbeitszeiten kompensiert werden
- wir bräuchten weniger Autos, hätten aber - gesellschaftlich gesehen - den selben Nutzen. Das heißt, dass die Arbeit tausender Arbeiter in Autofabriken gesellschaftlich nicht mehr benötigt wird. Sie könnten, anstatt überflüssige Automobile herzustellen und damit die Umweltzerstörung voranzutreiben, zum Beispiel als Taxifahrer agieren oder sich weiterbilden - es muss nur dafür gesorgt werden, dass die gesellschaftliche Ersparnis auch ihnen zugute kommt und sie nicht Opfer dieser Rationalisierung sind. Ja, das Schreckenswort "Umverteilung" muss an dieser Stelle fallen!
Erweitert werden kann dieses Transportsystem durch große Mietwagenparks, die für Urlaubsreisen und andere Fahrten, bei denen echter Individualverkehr unabkömmlich ist, genutzt werden können. Das sind nur gedankliche Stichpunkte, die beliebig erweitert, verändert oder verhindert werden können! Je nachdem, was "es" ist, was die Menschheit will.
Die Diskussionen zu solch einem Vorschlag dürften heiß hergehen: Natürlich will niemand auf seinen individuellen Vorteil verzichten. Das Auto ist DAS Symbol für Individualität. Aber wir werden es irgendwann müssen! Oder wer erklärt den 1 Milliarden Chinesen, dass bei uns zwar jeder ein Auto haben kann, in China jedoch nicht - da die Erde nichtmal genug Ressourcen bietet, um so viele Autos herzustellen. Vom Öl zum Betrieb der Wagen und vom Platz, sie abzustellen, ganz zu schweigen.
Dies ist EIN Beispiel für die mögliche Optimierung gesellschaftlicher Vorgänge. Es gibt viele mehr (Millionen Arbeitslose aber Millionen Überstunden; Subventionierung des Steinkohleabbaus anstatt Förderung regenerativer Energien; Agrarsubventionen in Europa anstatt Zusammenarbeit mit Agrarländern anderer Kontinente; Fortschreitende Umverteilung von Arm zu Reich;...). Um diese zu erkennen und Lösungsmöglichkeiten zu finden, muss man aber ein wenig langfristiger denken und handeln als nur bis zum Ende eines Jahres. Der Markt kann sehr gut dabei helfen, aber allein ist er nicht in der Lage, solche Probleme anzugehen. Falls überhaupt jemand die herrschenden gesellschaftlichen Probleme angehen will...
Der Markt regelt es schon!
Der Markt sollte wieder als das begriffen werden, was er ist: Ein Werkzeug. Die aktuelle politische und wirtschaftliche Diskussion lässt ihn jedoch immer mehr zum Selbstzweck werden. Alles für den Markt, nichts für die Menschen. Wie lange geht das noch gut? Um Änderungen herbeizuführen ist es wichtig, dass das Denken mit der Globalisierung des Marktes Schritt hält: Globales Denken in globalen Zeiträumen und nicht jammerndes Festhalten an überalterten Dogmen. Und man sollte bereit sein, einmal getroffene Entscheidungen in regelmäßigen Zeiträumen erneut zu überdenken - vor Fehlern und sich ändernden Rahmenbedingungen ist schließlich niemand sicher.