Alles muss raus!

Flughafen Thessaloniki. Foto: HarryB83/gemeinfrei

Die Griechenland aufgenötigte Privatisierungswelle orientiert sich am fatalen historischen Vorbild der Treuhand - deutsche Konzerne dürften zu den Hauptprofiteuren gehören

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Der deutsche Flughafenbetreiber Fraport steht kurz davor, im geschundenen Griechenland einen besonders fetten Fisch an Land zu ziehen. Für einen Betrag von 1,2 Milliarden Euro will der deutsche Konzern 14 griechische Regionalflughäfen übernehmen, darunter befinden sich beliebte Ferienziele wie Rhodos, Korfu und Mykonos, sowie der Flughafen der Großstadt Thessaloniki.

Mitte August ist der Privatisierungsdeal in einem griechischen Amtsanzeiger veröffentlicht worden, doch sei der Verkauf noch nicht formell abgeschlossen, erklärte ein Konzernsprecher:

Die griechische Regierung hat einen Beschluss gefasst, der Grundlage für weitere Verhandlungen über den Betrieb von 14 Regionalflughäfen ist.

Dennoch gilt die Zustimmung Athens zu diesem Deal als sicher. Eigentlich haben die Betreiber des Frankfurter Airport bereits im November den Zuschlag für die heftig kritisierte Privatisierung erhalten, doch habe "die neue griechische Regierung viele Privatisierungsprojekte infrage" gestellt, was eine "unübersichtliche" Lage geschaffen hab, meldete Reuters.

Nachdem aber Athen auf dem berüchtigten Brüssler Krisengipfel vom 13. Juli von Schäuble und Merkel in eine demütigende Kapitulation genötigt wurde (Willkommen in der Postdemokratie), die den totalen Ausverkauf des Mittelmeerlandes umfasst, scheinen sich die Verhältnisse nun geklärt zu haben.

Der Konzern, der zuvor bei Übernahmeversuchen im Ausland "wenig Glück" hatte, bekomme nun ausgerechnet in Griechenland "grünes Licht", meldete, das Handelsblatt am 18. August befriedigt.

"Ein Modell, das sonst nirgendwo in Europa angewendet wurde"

Dabei gab es für die griechische Syriza-Regierung durchaus gute Gründe, diesen schlichtweg skandalösen Deal abzulehnen, bei dem die eherne Devise einer jeden Privatisierung - Profite privatisieren, Kosten sozialisieren - auf die Spitze getrieben wurde. Der griechische Infrastrukturminister Christos Spirtzis erklärte im vergangenen Juli gegenüber dem ARD-Magazin Monitor, wieso diese Veräußerung öffentlichen Eigentums für Griechenland dermaßen nachteilig sei:

Bei dieser Privatisierung soll der griechische Staat 14 gewinnbringende Flughäfen verkaufen, und die anderen 30 Flughäfen, die keinen Gewinn machen und subventioniert werden müssen, bleiben beim griechischen Staat. … Das ist ein Modell, das so noch nirgendwo in Europa angewandt wurde. Das passt eher zu einer Kolonie als zu einem EU-Mitgliedsland.

Dennoch stimmte Athen nun dem Verkauf nun zu. Der Hintergrund: Die Bundesregierung hat in neokolonialer Manier dafür gesorgt, dass die Fraport-Privatisierung mittels einer Sonderklausel im "Memorandum für das neue griechische Hilfsprogramm verankert wurde", wie die taz berichtete. Syriza musste sich ihm Rahmen des deutschen Diktats - das die taz in beeindruckender Borniertheit immer noch als "Hilfsprogramm" bezeichnet - verpflichten, "unwiderrufliche Schritte" zum Verkauf dieser verbliebenen "Sahnestücke" der griechischen Infrastruktur einzuleiten. "Bei anderen Privatisierungs-Vorhaben wurden keine so detaillierten Vorgaben gemacht", bemerkte die Zeitung.

Das passt doch: Nachdem Griechenlands von Berlin in eine informelle deutsche Wirtschaftskolonie verwandelt wurde, kann nun der große Ausverkauf beginnen, der selbstverständlich aus volkswirtschaftlicher Sicht blanken Unsinn darstellt - aber dies scheint eine Konstante der deutschen Krisenpolitik der letzten fünf Jahre in Europa zu sein. Die Defizite, die Athen bei den in öffentlichen Besitz verbleibenden 30 Flughäfen wird tragen müssen, nachdem die profitablen Airports an Fraport gehen sollen, werden selbstverständlich das griechische Staatsdefizit weiter anschwellen lassen.

Selbst Unternehmensberater wie der berüchtigte Ronald Berger, dessen Firma bei der Konzeption der Hartz-IV-Arbeitsgesetze mitwirkte, sehen den schnellen Notverkauf des griechischen Eigentums kritisch. Solche ökonomisch motivierten Einwände kommen in der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik, die Hellas leiden sehen will, kaum noch zur Geltung.

Die antigriechische Propagandakompanie, die hierzulande als "die Medien" bezeichnet wird, wird sicherlich eine fantasievolle Rationalisierung auch der kommenden privatisierungsbedingten Haushaltsdesaster in Hellas erfinden, bei der "griechischer Schlendrian" oder die hierzulande gerne halluzinierte "südeuropäische Faulheit" für die desaströsen Folgen der deutschen Privatisierungsbefehle verantwortlich gemacht würden.

Tatsächlich dürfte der sich abzeichnende Fraport-Deal nur einen bitteren Vorgeschmack auf den nun anstehenden großen Ausverkauf in Hellas liefern, da unter Zeitdruck verscherbeltes öffentliches Eigentum zumeist auch unter Wert verkauft werden muss, wie Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gegenüber dem Fernsehmagazin Monitor erläuterte:

Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass diese staatlichen Unternehmen schnell verhökert werden, wird man sich darüber ärgern. Derzeit sind sie nicht zu ihrem wirklichen Wert verkaufbar. Die nächste Regierung wird sich darüber ärgern, dass sie konzeptionslos in die Privatisierung reingegangen ist.

Schäubles großer Privatisierungsplan

Rund 50 Milliarden Euro soll der große Privatisierungsplan einbringen, den Finanzminister Schäuble der griechischen Regierung oktroyierte. Mittels der Privatisierungseinnahmen sollen theoretisch der Schuldendienst Griechenlands garantiert (deswegen spricht Merkel von einem "Garantiefonds"), die Rekapitalisierung der griechischen Banken vollzogen und die griechische Wirtschaft angekurbelt werden.

Hellas wurde von Berlin genötigt, "wertvolle griechische Vermögenswerte" an einen Treuhandfond zu übertragen, der diese dann an "private Investoren" veräußern solle. Der Fond soll zwar von Griechenland aufgebaut werden, aber unter der Aufsicht der "relevanten europäischen Institutionen" stehen - also der EU-Bürokratie.

Parallelen zur Treuhand - und Unterschiede

Ursprünglich hatte Schäuble sogar vor, den Treuhandfonds direkt seiner Kontrolle zu unterstellen, indem er das griechische Vermögen an eine luxemburger Dependance der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) transferieren wollte. Diese direkte Kontrolle durch den deutschen Finanzminister konnte noch abgewendet werden. "Den Griechen muss dieser Vorschlag wie eine deutsche Enteignung vorgekommen sein", bemerkte hierzu n-tv. Der Nachrichtensender zog auf seiner Internetpräsenz auch die entsprechenden historischen Parallelen zum aktuellen Vorgehen Schäubles:

Der Mechanismus erinnert an die Treuhandanstalt, die nach der Wende mit fragwürdigen Methoden DDR-Eigentum privatisiert hat.

Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat schon Ende Juli eine scharfsichtige Generalabrechnung mit diesen deutschen Privatisierungsplänen in Griechenland veröffentlicht.

Auch Varoufakis zog Parallelen zu dem verhängnisvollen Ausverkauf der Ostdeutschen Wirtschaft durch die Treuhand kurz nach der Wiedervereinigung, bei dem öffentlicher Besitz "weit unter Wert" verscherbelt wurde, was einen "verehrenden Effekt auf die Beschäftigung" in Ostdeutschland hatte. Letztendlich haben sich die ostdeutschen Bundesländer - die nun in weiten Teilen eine verödete postindustrielle Brachlandschaft darstellen - nie mehr von dem extremen Deindustialisieurngsschock erholt, den die Treuhand exekutierte.

Der fundamentale Unterschied zwischen dem Ausverkauf in Ostdeutschland und Griechenland bestehe aber darin, dass die Tätigkeit der Treuhand in den neuen Bundesländern durch "massive westdeutsche Investitionen" in die Infrastruktur und "groß angelegte Sozialtransfers" begleitet wurde, während die Bevölkerung Griechenlands auf solche Unterstützung nicht hoffen kann.

Die Durchsetzung dieses verhängnisvollen schäublerischen Privatisierungsmodells war nicht von ökonomischen Erwägungen motiviert, sie stellte vielmehr eine reine Machtfrage dar, erläuterte Yanis Varoufakis:

Nachdem die bestimmenden Mächte realisiert hatten, dass die griechische Regierung davorstand, vor den Forderungen der Troika zu kapitulieren, sahen sie den Zeitpunkt gekommen, Griechenland ihr erniedrigendes, fantasieloses und zerstörerisches Treuhandmodell aufzuwingen.

Schäuble habe dieses Modell aus purer Rachsucht ausgeheckt, so Varoufakis.

Neben den - profitablen - Flugplätzen stehen auf der neu zusammengestellten Verkaufsliste Athens viele verbliebene Teile der öffentlichen Infrastruktur. Die griechische Eisenbahn soll ebenso privatisiert werden wie die Elektrizitätsgesellschaft Dei mitsamt ihres Stromnetzes. Dem bereits erfolgten Verkauf eines Terminals im Hafens von Piräus sollen weitere Veräußerungen von öffentlichen Besitz in den Häfen von Piräus und Thessaloniki folgen. Zudem steht eine staatliche Raffinerie auf der Verkaufsliste. Über 1000 staatliche Immobilien sollen nun schnellstmöglich einen neuen Besitzer finden - wie auch dutzende von griechischen Inseln.

Erste Warnstreiks, die sich gegen die deutschen Privatisierungsvorhaben richten, führte bereits die griechische Bahngewerkschaft Anfang August durch. Heftige Auseinandersetzungen werden auch bei der Privatisierung des Energiesektors erwartet, da dieser durch einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad gekennzeichnet ist.

Dabei ist es eigentlich klar, dass die hoch gesteckten Privatisierungsvorgaben Schäubles nicht erreicht werden können und die Privatisierungswelle, die nun "endlich angelaufen" ist (Bayernkurier ), mittelfristig die Finanzmisere des griechischen Staates verfestigen wird. Die Verkaufspläne seinen "höchst umstritten", da viele Experte die "Ziele für völlig unrealistisch" hielten, meldete etwa die Schweizer Handelszeitung.

Selbst in der konservativen Zeitung Die Welt hieß es, dass der "Nutzen der Privatisierungen durchaus umstritten" sei. Dennoch muss privatisiert werden - es ist eine Machtfrage.

Vom Autor erscheint zu diesem Thema bald im Unrast Verlag das Buch Aufstieg und Zerfall des deutschen Europa