Alles streng geheim
Lebensmittelkontrolle in Deutschland
Deutschland ist durchorganisiert. Für alles und jedes gibt es Gesetze und Vorschriften, ein Amt, eine Zulassungsstelle, ein Prüfverfahren. So ist das auch im Lebensmittelbereich. Zudem gelten EU-weit strenge Vorschriften und einheitliche Standards. Soweit - so scheinbar schön. Warum werden trotzdem immer wieder Giftrückstände im Gemüse und Obst und Gammelfleisch in Kühlhäusern gefunden?
Alles unter Kontrolle?
Die Verantwortung für die Lebensmittelüberwachung liegt in Deutschland bei den Bundesländern. Die Länderministerien für Verbraucherschutz und Ernährung entwickeln Untersuchungsprogramme, die von den Lebensmittelüberwachungs- und Veterinärämtern in den Städten und Landkreisen ausgeführt werden. Alle Betriebe, die Lebensmittel herstellen, bearbeiten oder verkaufen, werden von der örtlichen Lebensmittelüberwachung "regelmäßig kontrolliert".
So steht es jedenfalls auf der Internetseite des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BvL). Nach Angaben des BvL entscheiden die jeweiligen Kontrollbehörden, wie häufig sie welchen Betrieb überprüfen. Dies geschehe, so das Bundesamt weiter, "nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern nach der Höhe des Risikos." Die Betriebe würden erfasst und in Risikokategorien eingestuft. Die Häufigkeit der Kontrollen richte sich nach Art und Produktionsumfang des Betriebes "den Erfahrungen mit der Eigenkontrolle in dem Betrieb, nach der Art und Herkunft der Erzeugnisse, insbesondere ihre Haltbarkeit, nach der Produkt-, Produktions- und Personalhygiene, nach der Qualifikation und Anzahl des Betriebspersonals, (...) und natürlich auch nach Art und Anzahl der Verstöße des Betriebes gegen Rechtsvorschriften in der Vergangenheit". Würden akute Probleme bekannt, so erfolgten "umgehend Kontrollen". Insgesamt, so das BVL "werden jährlich von den Laboren der Bundesländer rund 400.000 Proben untersucht".
Über die Kontrolldichte bestimmen Kommunalpolitiker
Also alles unter Kontrolle? Mitnichten. Denn wer, wie und vor allem wie oft wen kontrolliert, bestimmen in der Praxis Kommunalpolitiker, nämlich Bürgermeister und Landräte. Diese kommunale Zuständigkeit und Dienstaufsicht führt nicht selten zur politischen oder wirtschaftlich begründeten Rücksichtnahme.
In vielen Gemeinden erfolgen Lebensmittelkontrollen nur nach Vorankündigung, in manchen Betrieben kommen die Kontrolleure stets an einem bestimmten Tag. So wurden in einem bayerischen Hühnerhof über längere Zeit hin vergammelte Eier verarbeitet. Die Kontrolleure, die schön brav jeweils Dienstags oder Donnerstags den Betrieb besuchten und ihre Kontrollen stets nur tagsüber durchführten, merkten davon nichts. Wie auch? Die "Gammeleier" wurden nachts und an den kontrollfreien Tagen verarbeitet.
Angemeldete Kontrollen gehören nach Aussage mehrerer Praktiker zum Alltag. Andere wissen zu berichten, dass nachgewiesenes Fehlverhalten straffrei bleibt, weil ihre direkten Vorgesetzen oder der Bürgermeister oder Landrat Sanktionen verhindern. Schließlich, so die Argumentation, sei doch nichts Schlimmes passiert und soweit bekannt, auch niemand erkrankt, und der Unternehmer A sei ein wichtiger Arbeitgeber oder B ein bedeutender Steuerzahler, den man nicht vergraulen wolle. Angeblich werden bestimmte Betriebe jahrelang nicht wirklich kontrolliert.
Eigenkontrollen der Wirtschaft
Auch ohne persönliche Freunde in der jeweiligen Landesregierung oder Stadtverwaltung, brauchen sich Lebensmittelfabrikanten in Deutschland keine Sorgen über allzu rigorose Kontrolleure zu machen. Denn bei der Lebensmittelproduktion spielt in Deutschland die "Eigenkontrolle der Wirtschaft" eine zentrale Rolle. Die Behörden setzen voraus, dass Lebensmittelhersteller ein großes Eigeninteresse daran haben, nur sichere Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Dazu heißt es im bereits erwähnten Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BvL):
Unternehmen, die Lebensmittel herstellen, bearbeiten und verkaufen, sind dazu verpflichtet, durch eigene Kontrollen die Qualität der verwendeten Rohstoffe zu dokumentieren. Ferner führen alle Betriebe darüber Buch, von wem sie Lebensmittel und Zutaten gekauft haben und an wen sie diese weiter verkauft haben. Gehen von einem Lebensmittel Risiken aus, so kann innerhalb kurzer Zeit nachvollzogen werden, an welcher Stelle eine Verunreinigung stattgefunden hat. Über ihre Eigenkontrollen müssen die Betriebe Buch führen, so dass der amtlichen Lebensmittelüberwachung diese Unterlagen für eine `'Kontrolle der Kontrolle' zur Verfügung stehen
Nachfragen bei einzelnen Lebensmittelerzeugern bestätigten die zentrale Bedeutung der "Selbstkontrolle" im System der Lebensmittelüberwachung in Deutschland. So beantwortete etwa der Jogurt-Hersteller Bauer Fragen des Autors nach dem "wie" der Lebensmittelkontrolle in seinem Unternehmen so:
Die Firma J. Bauer GmbH & Co. KG verfügt über ein eigenes Qualitätssicherungslabor. In diesem Labor werden die Rohwaren, die Zwischen- und Endprodukte wie auch diverse Umfeldproben (Luft, Wasser, Personalhygiene etc.) durch regelmäßige Untersuchungen begleitet. Parallel dazu finden Untersuchungen durch Fremdlabors auf weitere, besonders aufwändige Parameter statt. Schließlich gibt es zusätzlich noch regelmäßige Planprobenuntersuchungen von amtlicher Seite innerhalb der Handelsketten.
In "regelmäßigen Abständen" würden die "Laborergebnisse und der hygienische Status des Betriebes durch das für uns zuständige Landratsamt überprüft."
Auch die Nestlé Deutschland AG kontrolliert ihre Produktion zunächst einmal selbst.
Nestlé-Produkte werden während der Herstellung laufend kontrolliert. Das geschieht direkt im Produktionsprozess und im Werk selbst. Auch einfache Analysen am Fertigprodukt führt das Werk selbst durch." Einige der Nestlé-Produktionsstätten hätten "große Laboratorien angegliedert, die nach DIN EN ISO/IEC 17025 akkreditiert sind.
Beim Akkreditierungsverfahren werde überprüft und belegt, dass das Labor nach denselben Standards arbeite wie ein amtliches Labor. Die Akkreditierung werde so - ähnlich wie der TÜV - regelmäßig überprüft und erneuert. Zusätzlich würden "auch externe Laboratorien beauftragt". Nestlé-Produkte würden aber auch von amtlichen Laboratorien überprüft. Dafür seien die Chemischen Untersuchungsämter der Bundesländer zuständig. "Diese entnehmen Proben, entweder nach Schwerpunkt des Labors oder aufgrund der Zuständigkeit für das Werk vor Ortn" So die Auskunft von Nestlé.