Als Deutschland 1914 in den Dschihad zog

Seite 5: Zweiter Versuch: Nazi-Dschihad

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Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges fühlte sich der betagte Max von Oppenheim im Juli 1940 noch einmal bemüht, das Reichsaußenministerium zu einem zweiten Dschihad-Versuch in den britischen und französischen Kolonialgebieten zu ermuntern. Die Reichsregierung griff die Idee begierig auf, als Ergänzung zum Einsatz des Afrikakorps unter Generalleutnant Erwin Rommel in Libyen (1941-43). Im Mai 1942 rief der palästinensische Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husaini, der damals im Exil in Berlin lebte, den Dschihad aus.

Die Durchführung der Operation lag vor allem beim Auslandsgeheimdienst Amt Ausland/Abwehr unter der Führung von Admiral Wilhelm Canaris. Außerdem hatte Adolf Hitler selbst mit seiner Weisung Nr. 30 die Aufstellung eines speziellen Kommandos zur Vorbereitung von Sonderoperationen im Nahen Osten, insbesondere in Syrien und Irak, befohlen. Dieses Kommando erhielt zunächst die Bezeichnung "Sonderstab F" nach seinem Kommandeur Generalleutnant Hellmuth Felmy, im September 1942 wurde es umbenannt in "Generalkommando z.b.V." (zur besonderen Verwendung). Bei diesem zweiten Dschihad-Versuch konnten die Nazis auf die Unterstützung durch kollaborierende "Vichy-Franzosen" in den französisch-arabischen Gebieten setzen.

Ab 1941 wurde unter Führung von Major Andreas Mayer-Mader die Spezialeinheit "Tiger B" aus muslimischen Kriegsgefangenen aufgebaut, danach folgte das Sonderbataillon "Bergmann" und das "Erste Ostmuselmanische SS-Regiment". Später wurden zehntausende Muslime aus der Sowjetunion als Kriegsfreiwillige rekrutiert. Seit Juni 1944 bestand in Göttingen sogar eine Schule zur Fortbildung von Wehrmachtsimanen.

Ein Plan zur Besetzung der Türkei (Unternehmen Gertrude) wurde Ende 1942 aufgegeben. In Syrien leitete Rudolf Rahn die deutschen Aktionen. Im Irak führte der deutsch-freundliche Ministerpräsident Raschid Ali al-Gailani am 1. April 1941 einen Staatsstreich durch. Als die Briten mit einer Militärintervention reagierten, forderte der Staatssekretär im Reichsaußenministerium, Ernst von Weizsäcker, der Vater des späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, "den bewaffneten Widerstand gegen England aufzunehmen". Daraufhin entsandte das Reichsaußenministerium 1941 eine Sonderexpedition unter Leitung von Dr. Arthur Berg alias "Fritz Grobba" und vier Angehörigen der Division "Brandenburg" in den Irak.

Die Reichsluftwaffe setzte im Mai 1941 das Sonderkommando Junck (zwei Staffeln mit Me 110 und He 111) unter dem Kommando von Oberst Werner Junck ein. Nach dem Scheitern dieser Mission entsandte die Abwehr im Sommer 1943 ein zweites Sabotageteam unter Führung von Johann Gottlieb Müller, das u. a. die irakischen Ölanlagen sprengen sollte (Unternehmen Mammut). In Persien baute man ein Agentennetz mit mindestens 400 Spionen auf. Außerdem schickte man Angehörige der SS und der Organisation Todt nach Afghanistan, die als Bauingenieure getarnt die deutsche Kolonie vor Ort verstärken sollten. Nicht zuletzt planten die Achsenmächte Deutschland und Japan die gemeinsame Besetzung von Indien. Aber auch die deutschen Pläne für einen "Islamfaschismus" scheiterten.

Im Jahr 1957 arbeiteten die Wehrmachtsgeneräle Hellmuth Felmy, Walter Warlimont und Franz Halder für die Historical Division der US Army die Studie "MS P-207 - Die deutsche Ausnutzung der arabischen Eingeborenenbewegung im Zweiten Weltkrieg" aus. Darin bilanzierte General Warlimont:

Die militärischen Pläne und Maßnahmen haben besonders darunter gelitten, dass ihnen durchweg geeignet gelegene, feste Stützpunkt im arabisch besiedelten Gebiet fehlten. Wo deutsche Truppen diesen Räumen vorübergehend nahe kamen oder gar für kurze Zeit darin eindrangen, erwies es sich mit aller Klarheit, dass erst im Kriege gewonnene Stellungen oder gar schnelle Improvisationen wie im Irak der seit Jahrzehnten festgefügten englischen Militärherrschaft in diesen Gebieten nicht entfernt gewachsen waren. Fehlten überdies deutsche Seestreitkräfte im Mittelmeer fast gänzlich, so zeigt sich auch die deutsche Luftwaffe in jenen kontinentfernen Räumen selbst 1941 schon Mängeln der Bodenorganisation und der Reichweiten, der Verbindungen und des Nachschubs als stark unterlegen. Es kann aber schliesslich auch nicht verkannt werden dass sich, abgesehen vielleicht vom Iran, kein deutscher "Lawrence" gefunden hat, der aus eigener Kenntnis und Kraft der grossen Aufgabe gewachsen gewesen wäre.

MS P-207

Später hatten die Amerikaner mit ihrem "Heiligen Krieg" in Afghanistan gegen die Sowjetunion zunächst mehr Erfolg, aber auch dieser Dschihad mündete in einen "Blowback" und richtete sich schließlich gegen die USA selbst. Derweil träumt in Deutschland ein evangelikaler Altpastor immer noch von großen scheinheiligen Kriegen.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).