Als Deutschland 1914 in den Dschihad zog

Seite 3: Islamischer "Heiliger Krieg Made in Germany"

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Der Hohenzollernspross Kaiser Wilhelm II hielt sich seit seiner Orientreise von 1898 selbst für einen großen Freund der Muslime und bewunderte gar ihren (Pan-)Islamismus. Am 3. September 1908 notierte der Kaiser in einem Brief an seinen Reichskanzler Bernhard von Bülow bezüglich der Revolution der so genannten Jungtürken:

Ich habe jahrelang davor gewarnt den Islamismus so mit Füßen zu treten und herauszufordern, und ich bin in ganz Europa verlacht und als Türkenbold verhöhnt worden. (…) Sie alle (gemeint sich die englischen und russischen Politiker, G. P.) haben in ihrer hirnverbrannten Dummheit, Verbohrtheit und unerhörten Selbstüberhebung trotz aller meiner Warnungen den Islam verachtet, mißhandelt, beleidigt, und auf ihm jahrelang herumgetrampelt, bis er endlich nicht mehr ausgehalten hat. (…) Jetzt noch einmal Eingriff von außen, durch 'Reformvorschläge' pp., (...) dann muß, ob er will oder nicht, der Sultan des Propheten grüne Fahne entrollen, dann wird es 'Allah' in allen Ecken Asiens und Afrikas ertönen, und mit den Christen ist es dann zu Ende.

Kaiser Wilhelm II

So blieb es nicht nur bei Ankündigung eines christlichen "Heiligen Krieges", stattdessen wurde er in die Praxis umgesetzt, allerdings anders als es die christlichen Pfaffen erwartet hätten: Die deutschen Geheimdienste initiierten im Ersten Weltkrieg eine Operation, um die Moslems in den britischen, französischen und italienischen Kolonialgebieten zu einem islamischen "Heiligen Krieg" aufzustacheln. Im Gegensatz zum christlichen Begriff handelt es sich bei diesem "Kleinen Dschihad" nicht nur um eine religiös aufgeblähte Propagandaformel, sondern um eine theologische Konzeption, die ein integrierter Bestandteil der Glaubenslehre ist.

Die Planung schien einfach: Um die deutsche Front zu entlasten, sollten in den britischen Kolonialgebieten Volksaufstände der islamischen Bevölkerung provoziert werden, zu deren Niederschlagung britische Truppen vom Kriegsschauplatz in Europa abgezogen und in den Nahen und Mittleren Osten verlegt werden müssten. Geplant war ein Flächenbrand von Marokko bis Indien durch hundert Millionen aufgeputschter Dschihadisten. So erklärte Kaiser Wilhelm II bei Kriegsbeginn:

Unsere Consuln in Türkei und Indien, Agenten etc. müssen die ganze Mohammed Welt gegen dieses verhaßte, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden Aufstande entflammen; denn wenn wir uns verbluten sollten, dann soll England wenigstens Indien verlieren.

Kaiser Wilhelm II

"Möglichst viele kleine Putsche, Attentate etc. sind zu veranlassen"

Protagonist der deutschen Dschihad-Planung war Baron Max Adrian Simon Freiherr von Oppenheim, der Sproß einer jüdischen Bankiersfamilie ("Sal. Oppenheim", heute: "Sal. Oppenheim jr. & Cie. AG & Co. KGaA"). Natürlich verschweigt das Kölner Bankhaus diese terroristische Vergangenheit. In seiner offiziellen Geschichtsschreibung heißt es zur Biographie Max von Oppenheims lediglich:

Er fand seine Berufung in der Beschäftigung mit dem Orient, die er in zahlreichen Facetten lebte: als Forschungsreisender, als Archäologe, als Ethnologe, als Sammler, als politischer Berater. Dabei hoben ihn die Offenheit und Toleranz, mit denen er orientalischer Lebensart und Kultur begegnete, von den meisten seiner Zeitgenossen ab.

Biographie
Bild: Max von Oppenheim

Zwar war Max von Oppenheim selbst katholisch, aber weil sein Vater ursprünglich jüdischen Glaubens war, hatte er bei der Aufnahme in den deutschen Diplomatischen Dienst mit antisemitischen Vorurteilen zu kämpfen. Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck hatte dies am 25. September 1887 erst abgelehnt:

Ich bin einmal dagegen, weil Juden, selbst wenn sie Begabung haben, doch immer taktlos und aufdringlich werden, sobald sie in bevorzugte Stellungen kommen. Ferner ist der Name als gar zu semitisch bekannt und fordert Spott und Gelächter heraus. Außerdem würden die übrigen Mitglieder unseres diplomatischen Korps, auf dessen ausgesuchte Beschaffenheit ich stets große Mühe verwende, es peinlich empfinden, wenn man ihnen einen Judenbengel bloß deshalb zugesellt, weil sein Vater Geld zusammengejobbert hat. Wäre der Vater arm, so würde der Sohn niemals daran gedacht haben, sich in die Diplomatie einzudrängen.

Bismarck

Schließlich gelang Oppenheim am 2. Juni 1896 doch die zunächst noch "kommissarische" Aufnahme, allerdings ohne Diplomatenstatus. Danach lebte und arbeitete er am deutschen Generalkonsulat in Kairo. Dort assimilierte er sich mit der arabischen Bevölkerung und galt bald als einer der führenden deutschen Orientexperten. Die Briten wähnten in ihm schon damals einen aufrührerischen Spion und sorgten für seine Ausweisung. Im Jahr 1910 musste Oppenheim Ägypten verlassen und ging nach Syrien, wo er als (Hobby-)Archäologe die antiken Stätten von Tell Halaf entdeckte und ausgrub.

Schon damals entwickelte Oppenheim die Idee, sich die Muslime gegebenenfalls durch Ausrufung eines Dschihad sich nutzbar zu machen. In seinem Bericht "Die Panislamische Bewegung" an das Auswärtige Amt vom 5. Juli 1898 heißt es:

Nach den neuesten Berechnungen bilden die Muhammedaner mit 260 Millionen Menschen ungefähr den sechsten Theil der Erdbevölkerung. Dabei macht der Islam in Asien und vorzüglich in Afrika stetig große Fortschritte und wiewohl oder gerade weil die europäische Kolonialpolitik in diesem Jahrhundert in Afrika immer energischer und zielbewußter für das Christenthum und die abendländische Kultur erobernd aufgetreten ist, ist besonders hier eine muhammedanische Reaktion entstanden, die mit allen Mitteln den europäischen Bestrebungen sich entgegenstemmend mit dem mehr oder weniger offenen ausgesprochenen Endzweck die christliche Herrschaft über die muhamedanischen Länder zu beseitigen. (…)

Der Djehad, der heilige Krieg gegen die Ungläubigen, hat im Laufe der Zeiten seine Gestalt verändert, es wird ihm gegenwärtig statt seines früheren rein aggressiveren ein mehr defensiver Charakter beigemessen. Auch heute noch würden seine Folgen unberechenbar sein, wenn er ausgerufen würde, nachdem die muhammedanischen Völker in gehöriger Weise vorbereitet worden wären. Der Sultan von Konstantinopel erhielt, ohne den Djehad proklamiert zu haben, bereits in dem letzten Kriege gegen Rußland aus allen Ländern des Islam Geldbeiträge und Freiwillige, (...).

Baron Max Adrian Simon Freiherr von Oppenheim

Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurde der pensionierte Ex-Legationsrat wieder in den diplomatischen Dienst zurückbeordert und mit der Führung der Dschihad-Operation betraut. Bereits im Oktober 1914 legte er ein entsprechendes Strategiepapier "Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde" (136 Seiten) für den Dschihad-Guerillakrieg vor:

In dem uns aufgedrängten Kampfe gegen England, den dieses bis aufs Messer führen will, wird der Islam eine unserer wichtigsten Waffen werden. Egypten und Indien sind die Achilles-Ferse des seegewaltigen britischen Kolosses. (…) Das Eingreifen des Islam in den gegenwärtigen Krieg ist besonders für England ein furchtbarer Schlag. Tun wir alles, arbeiten wir vereint mit allen Kräften, damit derselbe ein tödlicher werde!"

Baron Max Adrian Simon Freiherr von Oppenheim

Das Papier forderte u. a. Sabotageaktionen gegen die Ölfelder von Baku am Schwarzen Meer, die Blockade des Suezkanals sowie Flugblatt-Aktionen. In einer zweiten Phase sollte dieser Guerillakrieg um konventionelle Militäroperationen der türkischen Streitkräfte mit Unterstützung deutscher Expeditionskorps erweitert werden. In seiner Denkschrift heißt es:

Möglichst viele kleine Putsche, Attentate etc. sind zu veranlassen, ganz gleichgültig, ob diese gelingen oder nicht. In jedem Falle werden sie dazu beitragen, die Engländer in Egypten noch kopfloser zu machen, wie sie augenscheinlich schon sind. (…) Die zu erwartenden Repressalien werden, je grausamer sie einsetzen und je mehr sie, wie vorauszusehen, Unschuldige treffen, die Wut und den Fanatismus des Volkes vermehren und die schwerfälligen, manchmal mit Unrecht als überfeige bezeichneten Stadtbewohner und Fellachen für den Kampf bis aufs Messer zur Herauswerfung der Engländer bereitwilliger machen.

Baron Max Adrian Simon Freiherr von Oppenheim

Politische Ausgangsbasis der deutschen Überlegungen war das Bündnis des Kaiserreiches mit dem türkischen Pascha. Es war ein Verhältnis zum gegenseitigen Nutzen. Deutschland versprach sich davon, dass seine Kriegsgegner geschwächt würden. Dafür sicherte das Kaiserreich den Türken zu, für den Fall eines russischen Angriffs militärischen Beistand zu leisten. Mit dem Ausruf des Dschihad wollten die Türkei auch sezessionistische Tendenzen innerhalb des osmanischen Herrschaftsraumes eindämmen. Außerdem wollte die Regierung in Istanbul von der deutschen Militärhilfe profitieren.

Nachrichtenstelle für den Orient

Die Führung des "deutschen" Dschihad lag beim kaiserlichen Großen Hauptquartier (GHQ) und der Obersten Heeresleitung (OHL). Insbesondere der deutsche Militärgeheimdienst, die OHL-Nachrichtenabteilung IIIb unter Leitung von Oberstleutnant Walter Nicolai, war mit der Organisierung des "Heiligen Krieges" betraut. Führungsfunktionen übernahm auch die neugegründete Sektion Politik des Generalstabs des Feldheeres. Die Sektion wurde zunächst von Rudolf Nadolny Sein Nachfolger wurde im Juli 1916 Hauptmann Dietrich von Hülsen. Die Führung der Militäroperationen lag bei der deutschen Militärmission in der Türkei. Außerdem wurde eine spezielle Nachrichtenstelle für den Orient (NfO) am 1. November 1914 errichtet.

Bei der Nachrichtenstelle für den Orient handelte sich dabei um eine halbstaatliche Organisation, die zwischen Auswärtigen Amt und der Sektion Politik des Heeresgeneralstabs angesiedelt war. NfO-Leiter war zunächst Baron Max von Oppenheim, ab März 1915 Karl Emil Schabinger Freiherr von Schowingen und schließlich Prof. Dr. Eugen Mittwoch.

Die Nachrichtenstelle hatte bis zu 59 Mitarbeiter (Wissenschaftler, Diplomaten oder Journalisten). Zu diesem "think tank" deutscher Orient-Kriegspropaganda gehörten seinerzeit bekannte Orientalisten, Indologen und Religionswissenschaftler: Prof. Dr. C. H. Becker, Prof. Dr. Helmuth von Glasenapp, Prof. Dr. Martin Hartmann, Prof. Dr. Oskar Mann, Prof. Dr. Eugen Mittwoch, Prof. Dr. Willy Spatz, Dr. Ruth Buka, Dr. H. Müller, Dr. Pröbster, etc.. Allerdings konnten die wissenschaftlichen Freigeister nur schwer an einen routinemäßigen Arbeitsalltag gewöhnt werden. Außerdem setzten sie ihre akademischen Auseinandersetzungen und Diskurse innerhalb der NfO fort. So prägten Eifersüchteleien und Neid das Arbeitsklima. Viele arbeiteten eher für ihren Eigennutz als für die Interessen der Nachrichtenstelle; andere waren sich der politischen Folgen ihrer Tätigkeit nicht wirklich bewusst oder verstießen gegen die Grundregeln der Konspiration.

Die NfO-Nachrichtenstelle befand sich in Berlin-Mitte (Wilhelmstraße 62, später Tauentzienstraße 19a). Sie gliederte sich in neun Länder- und Sachabteilungen für arabische, indische, persische, russische oder türkische Angelegenheiten. Der Nachrichtenstelle standen pro Monat lediglich 5.000 Reichsmark zur Verfügung, so dass Max von Oppenheim die Finanzierung weitgehend aus seinem Privatvermögen bestritt. Nach dem Krieg weigerte sich das Auswärtige Amt, die Auslagen von Oppenheim zu erstatten, da diese angeblich zu hoch berechnet waren.

Die Aufgabe der Nachrichtenstelle bestand vor allem in der Informationsbeschaffung aus offenen oder anderen Quellen und der Verbreitung pro-deutscher Propagandaarbeit an der Front, in den deutschen Kriegsgefangenenlagern und im moslemischen Raum. Während des Krieges gab die NfO insgesamt 1.012 verschiedene Publikationen (Flugblätter, Broschüren, Bücher, Zeitungen und Filme etc.) in 24 Sprachen mit einer Auflage von 3 Millionen Exemplaren heraus. Seit Februar 1915 erschien die Zeitschrift "Al-Dschihad" für die moslemischen Insassen einschlägiger deutscher Kriegsgefangenenlager (Cottbus, Limburg, Sennelager, Wünsdorf bzw. Zossen, etc.). Allerdings bleib ihre Reichweite eher begrenzt. Dazu erklärte Herbert Landolin Müller, der heute die Islamismusabteilung beim Landesamt für Verfassungsschutz in Stuttgart leitet, in seiner Dissertation "Islam, gihad ("Heiliger Krieg") und Deutsches Reich)" (1991):

Obwohl es sich bei den Mitarbeitern der NfO um Fachleute handelte, die ihr Metier, die Theorie, hervorragend beherrschten, erwiesen sie sich als schlechte Werbefachleute. Ganz auf die sie beherrschenden europäischen Fragen der Zeit fixiert, waren sie borniert genug, um erst allmählich und widerwillig zu erkennen, daß ihre Themen, die sie für die Leserschaft in der islamischen Welt aufbereiteten, für die Masse der Menschen in diesem Kulturkreis nicht einmal von marginaler Bedeutung und somit auch nicht vermittelbar waren.

Herbert Landolin Müller

Noch im Herbst 1915 musste der damalige NfO-Chef Schabinger den Generalstab in mehreren Schreiben auf die Existenz seiner halbstaatlichen Kolonialbehörde aufmerksam machen. Die NfO konnten die an sie gestellten Erwartungen nur z. T. erfüllen. Daher spielte sie in der deutschen Dschihad-Kriegführung eher eine untergeordnete Rolle.