Als Paul Nkamani Jakob die Show stahl

Aus "Als Paul über das Meer kam". Bild: Weydemann/Bros/Juan Sarmiento

Der kürzlich angelaufene Film "Als Paul über das Meer kam" thematisiert nicht nur das EU-Grenzregime, sondern auch die Selbsttäuschungen mancher wohlmeinender Helfer

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"Wir schaffen das", dieser kurze Satz von Bundeskanzlerin Merkel vom Herbst 2015 erregt noch immer die Gemüter. Ein Teil des grünen Milieus sah nun endgültig keinen Grund mehr, ihre Zuneigung zur CDU zu verbergen und outete sich nun offen als die Merkel-Fans, die sie auch vorher schon waren. Sie, die schon vorher vom zivilisierten Deutschland geschwärmt haben, bekennen nun ganz offen, nach diesen Satz stolz auf das Land zu sein.

Die Rechten hingegen, die beim Stolz auf Deutschland immer die Klassenstreber waren, steht dieser kurze Satz hingegen für Verrat am Vaterland. Sie halluzinieren in diesen Worten offene Grenzen herbei, die es weder im Herbst 2015 noch später gegeben hat. Derweil wird Deutschland noch mehr zur Festung ausgebaut und Merkel behält weiter ihre Ex-Grünen-Fans. Das zumindest hat sie geschafft. Paul Nkamani war mit diesen "Wir" nie gemeint, dass sich ja immer nur an die deutschen Wähler richtet.

Dabei könnte der kurze Satz "Wir schaffen das" das Leitmotto sein, von dem er sich vielen Jahren leiten ließ, als er den Entschluss fasste, für sich ein besseres Leben in Europa zu finden. In Kamerun gehörte er zum Mittelstand, studierte an der Universität Politik und bereitete sich auf eine Stellung als Diplomat vor. Als Oppositioneller sah er sich nicht, doch weil er an der Universität in Gremien aktiv war und auch Demonstrationen für die Verbesserung der studentischen Lebensbedingungen besuchte, wurde er von dem autoritären Regime von der Hochschule geschmissen. Das bedeutete nicht nur das Ende seiner Berufswünsche, sondern auch eine persönliche Schmach. Nun galt Nkamani in seiner Umgebung als Versager. Der Tod seines Vaters war dann der Punkt, wo er endgültig beschloss, den Sprung nach Europa zu wagen. Er starb an eigentlich therapierbaren Krankheiten, weil die Medikamente selbst für eine Mittelstandsfamilie unerschwinglich sind.

Auf seinem langen und schwierigen Weg von Kamerun nach Deutschland lief er dem Juristen und Dokumentarfilmer Jacob Preuss über den Weg. Der wollte eigentlich einen Film über das Grenzregime der EU drehen. Auf der marokkanischen Seite der Grenze zur spanischen Kolonie auf afrikanischen Boden. In Melilla lernte er Nkamani kennen, dem seine Diplomatenausbildung wahrscheinlich auch hier von Nutzen war. Er erkannte die Chance, mit dem Filmprojekt seine Chancen zu steigern, nach Europa zu kommen.

Nicht alle Migranten waren davon überzeugt. Im Film "Als Paul über das Meer kam", der seit einigen Tagen in den Kinos angelaufen ist, sieht man, wie der Mann Überzeugungsarbeit leisten musste.

Aus "Als Paul über das Meer kam". Bild: Weydemann/Bros/Juan Sarmiento

Eine Spur von Paternalismus

Nur kurz werden im Film weitere, sehr selbstbewusste Migranten auf den Weg nach Europa vorgestellt, die auch an ihren Warteplätzen ihre Würde nicht verloren haben. "Nein, ich bin nicht vergewaltigt wurden. Ich habe für die Reise bezahlt und hier bin ich nun", erklärt eine Frau, die gerade auf einer improvisierten Kochstelle Essen zubereitet. Und sie ist sich sicher, dass sie Wege finden wird, nach Europa zu kommen. Sie werden im Laufe des Films nicht mehr auftauchen. Schließlich ist Nkamani nicht nur der Titelheld im Film.

Bald wird er nur noch Paul genannt, was auch Ausdruck jenes weißen Paternalismus ist, der auch der Szene der Flüchtlingshelfer nicht fremd ist. Dieser Eindruck verstärkt sich im Laufe des Films noch, wenn Preuss über Nkamani redet wie über sein Kind, das er nun wohl oder übel beschützen muss. Da ist wieder die Choreographie, wie wir sie aus vielen wohlmeinenden Filmen zur Migrationsthematik kennen. Ein weißer Man, der zögerlich zum Beschützer und Retter von Migranten wird, die dann auch nur mit ihren Vornamen genannt werden. Solche Filme mögen die Liberalen, weil sie sich doch nun mit dem edlen Helfer mitfühlen und sich in ihm wieder erkennen.

Doch im Film "Als Paul über das Meer kam" geht das Kalkül nicht auf und das macht den Film sehenswert. Denn der weiße Helfer bleibt in der Nebenrolle, Paul Nkamani bleibt die Hauptfigur und das liegt vor allem an ihm und seiner Taktik, seine Einreise nach Europa möglichst unter Vermeidung von Risiken durchzuführen. Doch diese Taktik hat ihre Grenzen. Der undurchdringliche gefährliche Zaun, der die Kolonie Melilla von Marokko trennt, zwingt Nkamani, die Überfahrt mit einem nicht minder gefährlichen Boot zu wagen. Das kenterte tatsächlich und viele Stunden waren die Migranten der Sonne und dem Meerwasser ausgesetzt. Ein Teil der Besatzung stirbt, Nkamani gehört zu den wenigen Überlebenden.

Im Internet erfährt Preuss davon, als er Videos über die Rettung sieht. Er versucht so schnell wie möglich, Kontakt aufzunehmen, was aber zunächst durch das EU-Grenzregime verunmöglicht wird. Denn Nkamani wird mit den anderen Überlebenden sofort in Abschiebehaft genommen. Später leben sie in Südspanien in einer offenen Unterkunft, wo sie Preuss den Horror der Überfahrt schildern. In dem Augenblick ist Preuss dann nicht mehr nur der Regisseur, sondern er wird auch zum Helfer, der Kontakte beim Transit von Südspanien nach Europa vermittelt, beispielsweise Übernachtungsmöglichkeiten in Paris und Frankfurt/Main.

Am Ende wird Nkamani dann von den Eltern des Regisseurs aufgenommen und hier wird im Film eindeutig zu stark das Kapitel vom "edlen Helfer" abgerufen. Wenn Preuss dann bekundet, wie froh er war, dass er nicht mit Nkamani im Auto einer Mitfahrgelegenheit von Paris nach Berlin fahren musste, sondern, weil dort kein Platz mehr war, sondern allein im Zug fahren konnte, betont er einmal mehr die feinen Unterschiede. Der liberale Bürger macht sich nicht mit "seinem Schützling" gemein und kann so rausstellen, dass er sozial über ihm steht.