Alternative Fakten: Konträre Versionen über die Angriffe auf syrische Ziele
Während die westlichen Angreifer von drei Zielen berichten und Trump "Mission Accomplished" erklärt, behauptet Moskau, dass auch Flughäfen angegriffen und die meisten Raketen abgeschossen wurden
US-Präsident Donald Trump freut sich, natürlich öffentlich. Er habe in einer Rasmussen-Umfrage, wo er stets besser abschneidet als in anderen Umfragen, einen Popularitätswert von 50 Prozent erreicht: "Viel höher als Präsident Obama zur selben Zeit." Mitunter könnte die Entscheidung, Raketen Richtung Syrien zu schicken, nicht zuletzt damit zu tun haben, sich angesichts aller Probleme und Anfeindungen ("With all of the phony stories and Fake News") als starker Mann zu outen. Seltsamerweise werden US-Präsidenten - aber auch Regierende in anderen Ländern - als durchsetzungsfähiger und damit als besser betrachtet. Trump hat das schon verinnert: "Thank you America, we are doing Great Things."
Große Dinge also hat Trump stellvertretend für die USA durch den Angriff auf syrische Ziele wegen des angeblichen Chemiewaffenangriffs in Douma vollbracht. In anderen Umfragen schneidet Trump nicht so gut ab, eine Mehrheit der Amerikaner lehnt ihn weiterhin ab.
Der Angriff auf Syrien beweist sowieso nicht sonderlich die Größe der USA oder die Überlegenheit der amerikanischen Streitkräfte, ob es die Vernunft oder die Schwäche Moskaus offenbart, dürfte Ansichtssache sein. Das Pentagon hatte sich mit Moskau abgesichert, so dass keine größeren Risiken eingegangen wurden, überdies waren die Ziele vorab bekannt und bereits geräumt. Unklar bleibt, wie viele Raketen, die das amerikanische-britische-französische Trio abgeschossen haben - das unter Kanzlerin Merkel willige Deutschland wurde nicht gefragt, sagte Röttgens bei Anne Will -, ihr Ziel erreichten (Pentagon: Die Angriffe waren "präzis, überwältigend und effektiv").
Unfreiwillig hatte Trump nach dem Angriff erklärt: "Mission Accomplished". Dabei fällt natürlich der entsprechende Spruch von George W. Bush vom Mai 2003 ein, als er auf einem Flugzeugträger verkündet hatte, dass der Irak-Krieg erfolgreich beendet sei. Dabei fing er erst wirklich an, weil nun der Widerstand der Islamisten und der entmachteten Angehörigen des Hussein-Regimes erst begann. Die Erinnerung macht auch klar, dass der Irak-Krieg ebenfalls mit Massenvernichtungswaffen begründet wurde, deren Existenz aber nur von den USA und Großbritannien behauptet oder erschwindelt wurde, während man das Hussein-Regime der Lüge beschuldigte und massiv auf die UN-Waffeninspektoren Druck ausübte, die zudem das Regime ausspähen sollten. Letztlich wurde Hans Blix, der Leiter der UN-Waffeninspektoren abgelöst, weil er nicht die gewünschten Beweise lieferte, die es allerdings tatsächlich auch nicht gab. Auch diese Geschichte zeigt, dass die Unabhängigkeit der Waffeninspektoren nicht notwendig gewährleistet ist.
Wer war erfolgreich?
Aber die Diskussion über die Angriffe auf die syrischen Ziele, die nach Angaben der USA, Frankreichs und Großbritanniens dem weiter existierenden Chemiewaffenprogramm gedient haben und dieses nun für Jahre geschädigt haben sollen, geht weiter. Beide Seiten offerieren unterschiedliche Versionen. Das Angreifertrio meldet letztlich vollen Erfolg der Präzisionsangriffe, die praktisch ungehindert die Ziele zerstört hätten, ohne Menschenleben zu zerstören. Sie seien deswegen auch Nachts durchgeführt worden, eher aber wohl weniger, um Kollateralschaden zu vermeiden, als um zur Hauptsendezeit der Nachrichten am Abend in den USA stattzufinden und so höchst mögliche Aufmerksamkeit des amerikanischen Publikums zu finden. Allein dieses Timing bezeugt auch schon, wer in dem Trio das Sagen hat.
Syrien und Russland streichen dagegen den Erfolg der Flugabwehr heraus. Dass die syrische Luftabwehr 71 Raketen abgeschossen hat, darf dem Bereich der Propaganda zugeordnet werden auch wenn Bouthaina Shaaban, Beraterin von Syriens Präsident Baschar al-Assad, prahlte, dass Trumps Raketen "nicht so klug und präzise sind, und dass die syrischen Flugabwehrsysteme gezeigt haben, dass sie viel klüger und präziser als seine Raketen sind".
Das russische Verteidigungsministerium hatte am 14. April auch davon gesprochen, dass über die drei vom Pentagon angegebenen Ziele noch weitere angegriffen worden seien. Dort hätte man alle Raketen abgeschossen, sagte Generalleutnant Sergei Rudskoy. Die Rede war von 6 Flughäfen, darunter den Internationalen Flughafen Damaskus, die von 71 Raketen angegriffen worden seien, bis auf 7 Raketen alle seien von der Luftabwehr abgeschossen worden, 4 von 9 hätten den ungenutzten Flughafen von Mazzeh und 3 von 16 den Flughafen von Homs getroffen. 30 Raketen seien nach russischer Darstellung auf angeblich schon länger ungenutzte Gebäude in Barsah und Jaramana. Davon sollen wieder 7 abgeschossen worden sein.
Interessant ist das auch deswegen, weil von amerikanischen Medien berichtet wurde, dass Trump eigentlich auch weitere Ziele, selbst russische und iranische, hatte angreifen wollen, aber von Verteidigungsminister Jim Mattis zurückgehalten worden wäre. In Frankreich behauptet Macron, Trump darin bestärkt zu haben, nur Präzisionsschläge gegen Zentren des Chemiewaffenprogramms auszuführen. Nach den russischen Angaben habe nicht das angebliche Chemiewaffenprogramm im Ziel gestanden, sondern die militärische Infrastruktur, vor allem die Flughäfen, die den syrischen Streitkräften die Luftüberlegenheit sichern.
Dass das Syrische Wissenschafts- und Forschungszentrum (SSRC) am Rande von Damaskus nicht so ungenutzt war, wie es der russische Generalleutnant erklärte, dokumentiert selbst die syrische Nachrichtenagentur. Hier werde nach Krebsmedikamenten geforscht und Materialien für pharmazeutische Betriebe und die Lebensmittelindustrie analysiert, die importiert werden. Hier sollen nach Angaben des Angreifertrios Chemiewaffen, aber auch biologische Waffen entwickelt, produziert und getestet worden sein. Die drei Gebäude des Wissenschaftszentrums wurden jedenfalls weitgehend zerstört, was auch Bilder der syrischen Nachrichtenagentur belegen.
Nach Angaben der OPCW soll das Zentrum allerdings nicht mehr dem Chemiewaffenprogramm gedient zu haben. Nach einem Bericht vom März 2018 wurden hier im vergangenen November zuletzt Inspektionen - "ungehindert" - ausgeführt und nichts Verdächtiges gefunden. Dass hier zumindest keine Chemiewaffen lagerten, scheint auch daraus hervorzugehen, dass Reporter nach der Bombardierung unbedenklich die Trümmer aufsuchten.
Auffällig ist der starke Kontrast zur amerikanischen Darstellung, die Unterschiede sind so groß, dass eine Seite wohl gelogen haben muss. Während Russland die syrische Luftabwehr russischer Herstellung anpreist, erklärte das Pentagon, es seien praktisch keine Raketen von dieser abgeschossen worden. Die habe gerade einmal 40 Raketen abgefeuert, in der Regel, nachdem die Raketen schon ihr Ziel erreicht hatten. Das Pentagon erklärt, auf das Zentrum in Barsah seien 76 Raketen, 57 Tomahawk und 19 JASSM abgeschossen worden, also die Mehrzahl der Raketen, so dass hier eben das "Herz des Chemiewaffenprogramms" ausgelöscht werden sollte. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums sollen es aber weniger als 30 gewesen sein. Dazu kommt, dass das Pentagon nur von drei Zielen spricht, dem Wissenschaftszentrum und zwei angeblichen Lagern bei Homs. Bei letzteren habe man darauf geachtet, dass die Bombardierung die angeblich vorhandenen Chemiewaffen so zerstören, dass davon keine Gefahr ausgehe.
Wem soll man glauben?
Schwer vorstellbar, dass das Pentagon - und Frankreich und Großbritannien - derart schwindeln und verschweigen, dass über die drei Ziele hinaus auch andere angegriffen wurden, wie das russische Verteidigungsministerium erklärt. Aber Russland legt keine Bilder vor, die Einschläge auf den beiden Flughäfen zeigen die angeblich von ein paar nicht abgewehrten Raketen getroffen wurden.
Gestern wiederholte Igor Konashenkov die Behauptung, dass die USA, Frankreich und Großbritannien versucht hätten, auch andere Ziele anzugreifen, darunter auch Flughäfen, so Tass. Es treffe nicht zu, dass nur drei Orte angegriffen wurden. Zerstört worden seien durch die Angriffe auf Barsah und Jaramani - letzteres wahrscheinlich die angeblichen Chemiewaffenlager bei Homs? - lediglich Gebäude, keine Bunker: "Nach jeder Berechnungsmethode hätten zehn Raketen pro Objekt für dessen garantierte Zerstörung gereicht, wenn man sich dreifach absichern wollte." Die Bilder von Barsah würden aber zeigen, dass die Zerstörungen, die gefundenen Raketenteile und die Zahl der Krater nicht dem Einsatz von drei Dutzend Raketen entsprechen.
Der Generalmajor bleibt dabei, dass die syrische Flugabwehr russischer Herkunft erfolgreich gewesen sei. Nicht 40, sondern 112 Abwehrraketen seien abgeschossen wurden, darunter 25 Pansir-Raketen, von denen 23 ihre Ziele getroffen hätten. Auch die anderen russischen Syteme hätten sich nach ihm bewährt. Von den 29 Buk-Raketen hätten 24 getroffen, von den 11 Osa-Raketen 5, von den 5 Strale-Raketen 3 und von den 21 Kvadrat-Raketen 11. Eingeräumt wird, dass von den 8 Raketen, die von dem Flugabwehrsystem S-200 abgefeuert wurden, keine ein Ziel getroffen habe, aber das System würde auch nicht gegen Raketen, sondern gegen Flugzeuge gerichtet sein.
Ansonsten wiederholte er, dass die militärischen Anlagen, die von Luftabwehrsystemen geschützt worden seien, praktisch keine Schäden erlitten hätten. Und er wiederholte detailliert, wie viele Raketen auf Luftwaffenstützpunkte gerichtet gewesen und wie viele abgeschossen worden seien. Dagegen seien nur 5 der 30 Raketen, die auf das Wissenschaftszentrum und Jaramani gezielt waren, abgeschossen worden. So wird also bestätigt, dass an den drei vom Pentagon genannten Zielen Schaden angerichtet wurde, während sich dies bei den Luftwaffenstützpunkten nicht zeigen lässt, weil hier die Raketen abgeschossen wurden. Allerdings wurden zum Beleg auch keine Bilder von den angeblichen Zerstörungen der Flughäfen in Mezze und Homs gezeigt, wo ein paar Raketen eingeschlagen seien.
Und welcher Seite sollen die entfernten Beobachter nun Glauben schenken? Hat das westliche Trio den Erfolg der Bombardements auf die drei Ziele eingeschränkt, die tatsächlich getroffen wurden und die anderen Ziele aufgrund des Scheiterns lieber verschwiegen? Oder will Moskau, das sich weggeduckt hat, trotzdem durch alternative Fakten Erfolge melden, indem Angriffe auf andere Ziele erfunden werden?
Interesssant ist der Bericht von Robert Fisk über Douma. Er scheint zu bestätigen, dass es keinen Chemiewaffenanschlag gegeben hat.