Altruismus und Wille zur Umverteilung des Reichtums lassen sich antrainieren

US-Psychologen glauben, eine Methode gefunden zu haben, um das Mitgefühl in Menschen zu verstärken

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Nach den Versuchen des Neurochirurgen Delgado, Aggressivität mit implantierten Elektroden angreifende Stiere stoppen konnte, hat Stanly Kubrick den Roman Clockwork Orange von Anthony Burgess verfilmt, der den missglückten Versuch vorführen soll, einem Menschen durch Gehirnwäsche das Böse auszutreiben. Aber das Böse zu unterbinden, ist etwas anderes als den Mitmenschen zu achten und Mitleid oder Mitgefühl zu empfinden, wenn er leidet. Psychologen vom Center of Investigation of Healthy Minds und andere wollen nun eine Methode gefunden haben, wie man Menschen antrainieren kann, mehr Mitleid zu empfinden.

Das Mitgefühl oder das Mitleid leuchtet auf? Hat es im unteren Temporallappen seinen Sitz? Bild: Psychological Science

Psychologen und Neurowissenschaftler der University of Wisconsin-Madison und der Brown University schreiben in ihrem Artikel, der in der Zeitschrift Psychological Science veröffentlicht wurde, dass bei gesunden Erwachsenen auch ein kurzes Training dazu führe, dass die Menschen auch außerhalb des Experiments mehr Mitleid haben und stärker ein altruistisches Verhalten zeigen. Mitleid sei, so die Autoren, von großem philosophischem und wissenschaftlichem Interesse "wegen seiner zentrale Rolle in erfolgreichen Gesellschaften". Es sei aber bislang wenig darüber bekannt, ob es angelernt werden können und auf welchen Gehirnarealen es beruht.

Das zweiwöchige Training bestand in der systematischen Ausübung einer buddhistisch inspirierten Meditationstechnik, bei der die 20 Versuchspersonen sich vorstellen sollten, dass jemand gelitten hat, und sich dann wünschen sollten, dass sie vom Leiden erlöst worden seien. Dabei sollten sie Sätze wie "Mögest du frei vom Leiden sein" oder ähnlich wiederholen. Zunächst sollten sie an eine geliebte Person denken, dann an sich selbst und schließlich an einen Fremden. Und ganz zum Schluss sollten sie Mitgefühl für einen Menschen, eine "schwierige Person", entwickeln, mit dem sie derzeit in einem Konflikt stehen. 21 Versuchspersonen in einer Vergleichsgruppe lernten mit einer Technik der kognitiven Neubewertung, Stresssituationen anders zu sehen, um weniger negativ zu denken. Vor und nach dem Training wurde ein fMRT-Scan gemacht. Die Versuchspersonen waren dreimal im Labor, ansonsten übten sie jeweils eine halbe Stunde mit Audioanweisungen über das Internet.

Um zu prüfen, ob sich einer Veränderung der Einstellung durch diese Art der "Gehirnwäsche" ergeben hat, ließen sie die Versuchspersonen ein Umverteilungsspiel ausführen. Gespielt wurde online mit zwei anonymen Spielern, ein "Diktator", der über 10 Dollar verfügt, und ein "Opfer", das nichts hat. Sie beobachteten, wie der Diktator unfairerweise von 10 erhaltenen US-Dollar gerade einmal einen Dollar an das Opfer gab. Anschließend sollten sie entscheiden, wie viel sie von ihren 5 Dollar dem Opfer zum Ausgleich geben und damit den Diktator zwingen, noch einmal das Doppelte draufzulegen. Wenn sie also 2 Dollar geben, muss der Diktator 4 geben. Den zunächst 56 Versuchspersonen wurde gesagt, sie würden mit wirklichen Menschen spielen. Weil das 15 aber nicht recht glauben wollten, konnte der Versuch nur mit den 41 Personen bis zum Ende geführt werden.

Die auf Mitgefühl trainierten gaben durchschnittlich 1,84 Mal oder 1,1 Dollar mehr als die Mitglieder der Vergleichsgruppe, wodurch der Anteil, den der Diktator an das Opfer zahlte, um 57 Prozent größer, in der Vergleichsgruppe war er um 31 Prozent größer. Für die Wissenschaftler schon ein Beweis, dass Altruismus auch kurzfristig durch Training erhöht werden kann.

Bei den Gehirnscans wurden den Versuchspersonen neutrale Bilder von Menschen ohne emotionale Erregung und solche gezeigt, auf denen die Menschen Stress, körperlichem Schmerz oder Aggression ausgesetzt sind. Das Mitgefühltraining hat nach der Auswertung die Aktivität im unteren Temporallappen beim Betrachten von Bildern, auf denen Menschen leiden, erhöht, der nach den Wissenschaftler zum Netzwerk der Spiegelneuronen gehört. Das ist wieder korreliert mit dem Maß der Umverteilung im Spiel. Je altruistischer die Versuchspersonen nach dem Training waren, desto höher war die Aktivität in diesem Areal. In der Vergleichsgruppe wurde keine erhöhte Aktivität festgestellt, weswegen die Wissenschaftler davon ausgehen, dass der untere Temporallappen eine wichtige Rolle für das Mitgefühl/Mitleid mit anderen Menschen spielt. Dazu war die Aktivität im Nucleaus Accumbens im Vorderhirn und im dorsolateralen präfrontalen Kortex erhöht, die mit der Gefühlsregulierung und der Belohnung zu tun haben. Die positiven Gefühle gegenüber Mitmenschen würden gestärkt, der Stress vermindert.

Statt Religion tägliche Einübung in Altruismus

Für Richard Davidson, dem leitenden Wissenschaftler der Studie, ist es bemerkenswert, dass schon nach insgesamt wenigen Stunden des Trainings das Mitgefühl ähnlich wie körperliche oder kognitive Leistungen verstärkt werden kann. Man könne als Mitgefühl und Menschenfreundlichkeit in Schulen trainieren, um die Schüler vom Mobben abzuhalten. Auch Menschen, die Angst vor Anderen haben oder antisoziales Verhalten zeigen, könnte das Training seiner Ansicht nach nützen. Die Meditationsanweisungen bietet das Center auch zum Herunterladen an.

Werden unsere Kinder jetzt also Mitgefühl geimpft? Wird so die Gesellschaft freundlicher und besser werden? Wird die Umverteilung zwischen Arm und Reich nun auch von den Reichen, die ihr Mitgefühl trainieren, vorangetrieben? Wird bald Geben schöner sein als Nehmen? Die Wissenschaftler haben allerdings nur einen Kurzzeiteffekt in einer Spielsituation beobachtet. Ob der Altruismus anhält mit der Dauer des Trainings ist natürlich fraglich, unklar ist auch, ob er im wirklichen Leben realisiert wird., wo man nicht gegen einen Bösen mit geringem Einsatz in einer sehr künstlichen Situation spielt, sondern mit konkreten eigenen Interessen, Ängsten, Störungen, Stimmungen bei den Mitmenschen etc. zu tun hat. Und Clockwork Orange behandelt die Situation, wie es denen ergehen kann, die nicht mehr aggressiv sein und sich damit wehren können, wenn sie auf andere stoßen, die das ausnützen.

Erst einmal scheint es nur eine Spielerei zu sein, aber natürlich schließen sich Fragen an. Schon 1961 hat etwa Stanislaw Lem die Folgen einer solchen "Verbesserung" der Menschen in seinem Science-Fiction-Roman "Transfer" behandelt. Noch von Aggressionen getriebene Astronauten kehren auf eine Erde zurück, in der alle Menschen friedlich, nett und altruistisch sind.