Am Tropf der Medien
Der Medienkonsum amerikanischer Kinder und Jugendlicher entspricht einem Full-time-Job
Nach einer umfassenden Untersuchung des Medienkonsums amerikanischer Kinder und Jugendlicher wird deutlich, dass Medien wahrscheinlich schon vor der Familie, der Schule und vielleicht auch ihren Freunden zur primären Sozialisationsinstanz geworden sind. Mit durchschnittlich über 38 Stunden wöchentlich und fünfeinhalb Stunden täglich setzen sich die Kinder in der Freizeit den Medien aus, wodurch ihre Nahumgebung abgeschattet oder in den Hintergrund gedrängt wird, wobei sie meist und schon von frühem Alter an alleine sind oder alleingelassen werden. Zum Medienkonsum gehören auch durchschnittlich 44 Minuten des nicht mit der Schule verbundenen Lesens, Computer oder gar Internet fallen weit hinter Fernsehen, Musikhören und Lesen zurück. Noch also scheint es die viel beschworene Computer- oder @-Generation noch nicht wirklich zu geben.
Die repräsentative Studie Kids & Media@ The New Millennium, erstellt für die Kaiser Family Foundation (KFF), basiert auf Auskünften, Befragungen und Mediennutzungstagebüchern von 3155 Kindern im Alter von 2 bis 18 Jahren sowie den Eltern der Zwei- bis Siebenjährigen zwischen November 1998 und April 1999. Drew Altman, Präsident der KFF, kommentiert wohl zurecht, dass Fernsehen, Computerspiele, Musik und Internet zu einem "Full-time Job" des typischen amerikanischen Kindes geworden seien. Und so ähnlich wird dies auch anderswo in den westlichen Ländern aussehen.
Im ausgehenden Jahrtausend ist das Fernsehen noch immer das primäre Medium. 53 Prozent der Kinder haben schon einen eigenen Fernsehapparat in ihrem Zimmer. Bei den 2-7jährigen Kindern können fast unglaubliche 32 Prozent schon weitgehend ohne Anwesenheit der Eltern in ihrem Zimmer den Fernseher einschalten, bei den über 8-jährigen sind dies schon 65 Prozent. Ein Drittel der Eltern der 2-7jährigen gibt überdies zu, dass der Fernseher die meiste Zeit eingeschaltet ist, bei fast 50 Prozent läuft er auch während der Mahlzeiten, womit die oft einzige Gelegenheit zu zwangslosen Gesprächen zumindest behindert wird. Hat man sich angesichts der permanenten Medienaussetzung und der stetig wachsenden Möglichkeiten an Telekommunikation also immer weniger zu sagen? Regeln dafür, was Kinder anschauen, gibt es nahezu nicht mehr. Die fünf Prozent der Zeit, in der sich Eltern gemeinsam mit ihren über 8 Jahren alten Kindern etwas anschauen, findet wahrscheinlich während des Essens statt, das man noch gemeinsam einnimmt. Über ein Fünftel dieser Altersgruppe sitzt bereits über fünf Stunden allein vor der Glotze, was vermutlich auch von Einsamkeit und Einfallslosigkeit Zeugnis ablegt. Aus den Tagebüchern über den Mediengebrauch geht hervor, dass die über achtjährigen Kinder 95 Prozent der Zeit vor der Glotze alleine verbringen, bei den 2-7jährigen liegt der Anteil aber auch schon bei 81 Prozent.
"Während eine Generation von Amerikanern in ihrer Kindheit einen einzigen Fernseher mit drei Programmen gemeinsam mit ihren Eltern hatten, wächst die nächste mit einem Walkman an ihren Ohren, 100 Kanälen in ihrem Zimmer und einem World Wide Web voller Informationen auf. Hatte die eine Generation möglicherweise ein Schreck bei einer Schießerei in einem Western durchzuckt, so spielt die nächste Generation Computerspiele mit einer so realistischen Gewaltdarstellung, dass sie sich ducken, um nicht aufgeschlitzt zu werden."
Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen Radio und Fernseher noch eine Art Ersatz für das Lagerfeuer waren, um das sich die Familie versammelt, um gemeinsam etwas anzuschauen. Möglicherweise werden die alten Geräte ins Kinderzimmer geschoben, vielleicht will man sich nicht darum streiten, was man ansieht, oder ganz einfach die Kinder beschäftigen oder sie im Haus halten. Das schon länger zu beobachtende Auseinanderdriften der Sehgewohnheiten verdankt sich natürlich auch der Vielzahl der Programme, die wiederum auf ganze bestimmte Interessen zugeschnitten sind, schließlich sind auch Kinder in jeder Hinsicht ein Markt.
Die Privatisierung des Medienkonsums ist allerdings nur ein Ausdruck für die Individualisierung der Gesellschaft und den Zerfall jeder Art von "Schicksalsgemeinschaften" von Kindesalter an. Die neuen Communities, zu denen natürlich auch die Internetgemeinschaften gehören, haben zu ihrer Grundlage die Optionsvielfalt und damit Entscheidungsfreiheit oder -zwang. Diese Optionen aber führen gewissermaßen zur "Ausfällung" immer homogenerer Nischengemeinschaften, die immer weniger lokal eingebettet sind und deren gemeinsamer Erfahrungsraum immer stärker medial strukturiert ist. Telemedien verstärken diese Tendenz nur, gleich ob es sich um Kommunikation in Newsgroups oder um Aktivitäten wie Telearbeit oder Teleausbildung handelt. Erfahren wird mit dieser neuen Freiheit durch Emanzipation aus den Schicksalsgemeinschaften allerdings immer weniger das Leben in heterogenen sozialen Verbänden, worunter auch Toleranz und ein nicht durch Apathie, Ablehnung oder Gewalt bestimmter Umgang mit sozialen Konflikten leiden könnte.
Die Autoren der Studie haben auch einen Zufriedenheitsindex geschaffen, um zu messen, wie zufrieden die Medienkinder mit ihrem Leben sind. Die Zufriedenheit fiel bei diesen Selbsteinschätzungen allgemein relativ hoch aus (viele Freunde, zufrieden mit der Schule, Zurechtkommen mit den Eltern, nicht viele Probleme, wenig gelangweilt, unglücklich oder traurig), doch die starken Mediennutzer unter den Kindern aus allen gesellschaftlichen Schichten, die mehr als 10 Stunden täglich mit den Medien verbringen, rangieren auf dem Zufriedenheitsindex, was eigentlich wenig erstaunlich ist, am weitesten unten. Probleme mit den Eltern und in der Schule sind mit hoher Mediennutzung korreliert. Ob das von der hohen Mediennutzung verursacht wird oder dieser Ausdruck der Probleme ist, könne aus der Studie, wie die Autoren sagen, nicht abgeleitet werden. Allerdings läuft der Fernseher am längsten bei Kindern, die Minoritäten angehören. Der Fernsehkonsum ist auch in den Familien von Alleinerziehenden höher.
Überraschend ist, wie wenig die Kinder noch Computer und Internet in ihrer Freizeit nutzen. Zwar gibt es in 69 Prozent der Familien bereits einen Computer und 45 Prozent haben einen Internetzugang, doch erst 16 Prozent der Kinder haben einen eigenen in ihrem Zimmer (2-7jährige 6 Prozent, 8 Jahre und älter 21 Prozent). Natürlich sind Kinder auch in der Schule am Computer, durchschnittlich 30 Prozent aller Schüler aus allen sozialen Schichten benutzen an einem gewöhnlichen Schultag bereits einen Computer. Zuhause ist das freilich noch anders. Während hier 23 Prozent der Kinder aus der unteren Schicht (weniger als 25000 Dollar jährlich) normalerweise täglich den Computer benutzen, ist der Anteil bei den Kindern aus Familien mit höheren Einkommen (40000 Dollar und mehr) mit 48 Prozent mehr als doppelt so groß.
Doch die Kinder und Jugendlichen benutzen durchschnittlich nur 21 Minuten täglich einen Computer zum Spielen und sind gerade einmal 8 Minuten im Internet. Diese Zahlen allerdings können täuschen. Bei den 42 Prozent der Kinder, die am Tag vor der Befragung einen Computer zum Spielen benutzt haben, liegt der Durchschnitt schon bei täglich 52 Minuten, wobei die 8-13jährigen am längsten vor dem Computer sitzen. Nur neun Prozent von allen nutzen den Computer zur Freizeitbeschäftigung mehr als eine Stunde täglich und gar nur 2 Prozent spielen Computerspiele länger als eine Stunde täglich, wogegen 64 Prozent täglich mehr als eine Stunde und 17 Prozent mehr als fünf Stunden fernsehen und alle durchschnittlich anderthalb Stunden täglich Musik im Radio, von CDs oder Kassetten hören. Vielleicht also müssen die Inhalte von Computer und Internet erst einmal fernsehähnlicher werden, wobei dann allerdings die Unterschiede zwischen den Medien verschwinden.
Aber die absoluten Zahlen können natürlich ein schiefes Bild von der Gesamtdauer der Mediennutzung geben. Immerhin erfolgt ein Anteil von 16 Prozent der Mediennutzung gleichzeitig. Da läuft also beispielsweise der Fernseher im Hintergrund, während man am Computer sitze, oder man liest, während man gleichzeitig Musik hört. Donald Roberts, Mitautor der Studie, meint, die über die Mediennutzung geführten Tagebücher würden darauf hinweisen, dass die Kinder Multitasking gut beherrschen. Allerdings hatte dies die vorhergehende Generation auch schon ganz gut beherrscht, zumindest was das Hören von Musik gleichzeitig mit anderen Beschäftigungen wie dem Hausarbeiten machen anbelangt.