Amri-Ausschuss: "Im Zweifel für den Ausschluss der Öffentlichkeit"

Seite 2: Öffentlich "Flop", nicht-öffentlich "top" also?

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Journalistenfrage: "Die nicht-öffentliche Sitzung hat länger gedauert als die öffentliche. Würden Sie denn sagen, dass die nicht-öffentliche Sitzung ergiebiger war, und was würde das denn bedeuten für das Prinzip Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen? Ist das dann ein Auslaufmodell?"

Es ist immer schwierig, über nicht-öffentliche Sitzungen öffentlich zu sprechen. Aber es hätte nicht so lange gedauert, wenn es nichts zu fragen und zu besprechen gegeben hätte, soweit kann man es schon sagen. Wir sind ja in einem sensiblen Bereich, insofern haben Geheimhaltungsvorschriften ihren Sinn und auch der Ausschluss der Öffentlichkeit.

Wir wollen bei allem Aufklärungsinteresse natürlich nicht alles offenlegen, was die Tätigkeit der Polizei angeht. Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. Einerseits wollen wir natürlich die Öffentlichkeit im Rahmen unserer Aufklärung informieren, andererseits wollen wir natürlich aber auch den Sicherheitsinteressen Rechnung tragen. Und insofern entscheiden wir im Moment im Zweifel eher für die Nicht-Öffentlichkeit. Und ich denke auch, dass wir da alle gemeinsam dieser Auffassung sind, dass wir das auch so beibehalten.

Stephan Lenz, CDU, Ausschussvorsitzender

Benedikt Lux, Bündnis 90/Die Grünen antwortete darauf:

Ich teile diese Auffassung so nicht. Auch mit Blick auf viele andere nicht-öffentliche Sitzungen gab es hier eine Reihe von Informationen, die unter keinerlei Gesichtspunkten zwingend nicht-öffentlich gewesen wären. Deswegen ist aus Transparenz- und Öffentlichkeitsgesichtspunkten das Verfahren, das wir hier haben, kein optimales. Nur, wenn ein Zeuge sagt, er würde die Frage gerne im nicht-öffentlichen Teil beantworten, dann machen wir auch einen nicht-öffentlichen Teil. Ich glaube auch, dass das ein Erkenntnisinteresse ist, das nicht nur wir Abgeordnete haben, da möchte ich sogar die Auffassung des Ausschussvorsitzenden noch stärker unterstützen, sondern das auch die Öffentlichkeit haben sollte. Und deswegen nehmen wir für uns in Anspruch, auch das öffentliche Interesse an der Aufklärung im nicht-öffentlichen Teil zu verfolgen, auch wenn das erst einmal widersprüchlich ist.

Benedikt Lux, Bündnis 90/Die Grünen

Die Reaktion von Frank Zimmermann, SPD:

Es ist wichtig festzustellen, dass wir einen verfassungsgemäßen Auftrag haben, für das Parlament alle relevanten Sachverhalte aufzuhellen, so gut es eben geht. Und wenn wir dadurch daran gehindert würden, dass aus nicht-öffentlichen oder geheimen oder "Nur für den Dienstgebrauch" gestempelten Unterlagen nicht berichtet werden kann, weil die Sitzung öffentlich ist, dann könnten wir unseren Auftrag nicht erfüllen. Und deswegen brauchen wir den nicht-öffentlichen Teil.

Frank Zimmermann, SPD

Robbin Juhnke von der CDU:

Ich wollte nur noch ergänzen, dass es ja nicht in unserer Verantwortung liegt, zu bestimmen, wo ist der nicht-öffentliche Teil, wo ist der öffentliche Teil, sondern das erfolgt in der Regel auf Wunsch des Anzuhörenden.

Robbin Juhnke, CDU

Und Hakan Tas von der Linken:

Selbstverständlich brauchen wir einen nicht-öffentlichen Teil, aber viele der Fragen, die heute im nicht-öffentlichen Teil gestellt worden sind, konnten durchaus auch im öffentlichen Teil beantwortet werden. Wir müssen gemeinsam darauf achten, dass die Öffentlichkeit, die Presse, selbstverständlich ein Recht hat, zumindest bei Fragen mit dabei sein zu können, die auch öffentlich beantwortet werden können.

Hakan Tas, Die Linke

Nach diesen Stellungnahmen meldete sich Andreas Schwartz zu Wort, der bei dem Anschlag verletzt worden war. Er verfolgt zusammen mit anderen Betroffenen die Sitzungen der Untersuchungsausschüsse im Bundestag und im Abgeordnetenhaus von Berlin. Wörtlich sagte er:

Wie Sie wissen, bin ich ein Opfer vom Breitscheidplatz und einer der Sprecher der Opfer und Angehörigen. Wir möchten noch einmal den Untersuchungsausschuss auffordern zu einer lückenlosen Aufklärung von allen Seiten her. Wir möchten wissen, warum dieser schreckliche Anschlag passiert ist, wer dafür verantwortlich ist, wer da versagt hat, ob jemand versagt hat. Uns ist aufgefallen, dass die Akten, die die Untersuchungsausschüsse bekommen, teilweise geschwärzt sind. Wie wollen Sie sich auf Befragungen vorbereiten, wenn Sie nicht die volle Akte haben?

Teilweise liegen noch nicht einmal Akten vor. Wir sind nur noch wenige der Angehörigen, die die Kraft aufbringen, hierher zu kommen. Unsere Bitte an Sie als Abgeordnete ist, dafür zu sorgen, dass Sie die Akten ungeschwärzt bekommen und notfalls der Bundesregierung und dem Senat auf die Füße zu treten und zu sagen: "So geht das nicht." Ich sehe ja, wie schwer Sie es haben, Antworten zu bekommen. Aber es muss doch ein Weg gefunden werden, dass die Sache lückenlos aufgeklärt wird.

Andreas Schwartz, Anschlagopfer

Dem folgte eine weitere Erklärung des Ausschussvorsitzenden Lenz:

Ich glaube, ich kann im Namen aller Kollegen sagen, dass wir diesen Auftrag sehr sehr ernst nehmen und dass wir alle, egal welcher Fraktion wir zugehörig sind, eine lückenlose Aufklärung, ohne Ansehen der Person anstreben und im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen zu erreichen. Natürlich führt das auch zu den Konflikten, die Sie angesprochen haben: geschwärzte Akten, wir haben auch noch nicht alle Akten, wir sind da aber dabei. Das ist ein schwieriger Prozess, und wir werden, wenn es nötig ist, sicherlich in Konflikte gehen. Das ist unser Auftrag.

Ob es am Ende Schuldige geben wird, das wissen wir nicht. Wir müssen aber aufklären und das ist auch für Sie wichtig, damit Sie das besser verarbeiten können. Sie können darauf vertrauen, dass uns das sehr wichtig ist und dass wir da auch nicht nachlassen werden. Aber es ist trotzdem wichtig, dass Sie präsent sind und uns auch immer wieder daran erinnern. Es ist eine wichtige Rolle, die Sie spielen. Ich weiß, dass Sie das Kraft kostet. Ich denke, im Namen aller kann ich Ihnen danken, dass Sie das machen. Das ist in der Form auch für uns eine Unterstützung.

Stephan Lenz, CDU, Ausschussvorsitzender

Worte, wie man sie in der Zeit nach dem Anschlag gehört hat. Dass man sie mehr als eineinhalb Jahre später immer noch genauso vernimmt, zeigt nur, wie wenig die Aufklärung vorangekommen ist.

Das ist das Beschämende und das Dramatische zugleich: Ein Verhinderungsapparat, der Opfer und Öffentlichkeit in der Stunde Null nach dem Anschlag gefangen hält. Und ein Beschwichtigungsapparat, der die wachsende Lücke zwischen Anspruch und Realität immer weniger zu kaschieren weiß. Der Fall Amri entwickelt sich zu einer Art "NSU 2.0".

Hat das Geheimhaltungsinteresse der Sicherheitsbehörden die Abgeordneten einer Lösung näher gebracht? Oder ist das doch nur Ausdruck einer Dominanz dieser Behörden? Was in den nicht-öffentlichen Sitzungen geschieht, welche Fragen beantwortet werden oder eben auch dort nicht, das erfährt man in der Regel nie. Der Ausschluss der Öffentlichkeit schützt vor allem die Vertuscher.