Amtseinführung von Puigdemont zunächst ausgesetzt
"Panik" in der spanischen Regierung, die Druck auf das Verfassungsgericht ausübte, das heute wahrscheinlich über die Beschwerde entscheidet
Gespannt hat man in Katalonien darauf gewartet, was heute um 15 Uhr im Parlament in Barcelona geschieht. Denn dort sollte der im Dezember aus Spanien geschasste Präsident Carles Puigdemont erneut ins Amt eingeführt werden. Theoretisch möglich ist das, hatte am Samstag auch das spanische Verfassungsgericht erklärt. Die aufgestellten Bedingungen sind aber nicht erfüllt, deshalb konnte auch erwartet werden, dass der neue Parlamentspräsident Roger Torrent die Sitzung vertagt, wie er es letztlich auch getan hat.
Das hat auch damit zu tun, dass hochrangige Juristen und Richter den Beschluss der Verfassungsrichter als "sehr merkwürdig" eingestuft haben. Schließlich hatte die rechte Zentralregierung beim höchsten Gericht beantragt, Puigdemont als Kandidaten auszuschließen, der im vergangenen Oktober nach Belgien "geflüchtet" sei. Das Gericht sollte über die Annahme der Beschwerde entscheiden. Hätte es sie angenommen, wäre die Sitzung zur Amtseiführung automatisch "vorläufig" bis zum definitiven Urteil ausgesetzt. Puigdemont wäre praktisch in den laufenden Fristen auch als Kandidat ausgeschlossen.
Damit ist Regierungschef Mariano Rajoy aber zweifach gescheitert, da der Staatsrat keine Basis für die Beschwerde sah. Trotz allem zog Rajoy, erstmals gegen die Weisung des Staatsrats, vor das Verfassungsgericht. Das entschied, dass Puigdemont Kandidat sein kann, legte aber fast unmöglich zu erfüllende Bedingungen fest. Damit haben sich, so stellte auch die Richterin Garbiñe Biurrun fest, die Verfassungsrichter aber um den eigentlichen Beschluss gedrückt. "Es wurde nicht entschieden, ob die Beschwerde der Regierung angenommen wird oder nicht." Die Richterin am Obersten Gerichtshofs im Baskenland fügte an, es seien aber "vorsorgliche Maßnahmen bestimmt worden, die in dieser Art niemand beim Verfassungsgericht beantragt hat".
Mit "außerordentlicher Dringlichkeit" hatten die Richter ihr Vorgehen begründet, die man Rechtsumgehung oder Rechtsbeugung nennen kann. Warum wurden vorsorgliche Maßnahmen beschlossen, die niemand beantragt hat? Über die eigentliche Frage wurde dagegen bis heute nicht entschieden. Man fragt sich auch, wo die Dringlichkeit lag. Denn die hat die Regierung selbst erzeugt. Sie hatte zwei Monate Zeit gehabt, eine präventive Beschwerde einzureichen, tat das aber erst kurz vor der Amtseinführung. Korrekt wäre ohnehin, wie Verfassungsrechtler sagen, erst eine Handlung abzuwarten und dann zu handeln. Eine Annahme der Beschwerde sei "Gesetzesumgehung", meinen diverse Verfassungsrechtler.
Die große Zeitung El País lieferte eine andere Begründung für das merkwürdige Verhalten der Verfassungsrichter. Es habe "Panik" in Madrid geherrscht, nachdem auch der Referent der Richter empfohlen hatte, die Beschwerde der Regierung abzulehnen. "Minister und Rajoy in der vordersten Reihe" hätten dann den Richtern die "schwerwiegende Lage für den Staat" vermittelt, würde die Beschwerde abgelehnt, schreibt die Zeitung mit Bezug auf Quellen in der Regierung. Das ist eine plausible Erklärung für ein Gericht, das bisher alles andere als mit Unabhängigkeit von der Regierung geglänzt hat. Unabhängigkeit und Gewaltenteilung sieht anders aus.
Doch seit dem absurden Beschluss vom Samstag wurde trotz allem spekuliert, ob Puigdemont beim zuständigen Richter Llarena nun die Teilnahme an der Sitzung zur Investitur beantragt, da sie ja grundsätzlich auch von den höchsten Richtern erlaubt wurde. Doch das hat er letztlich nicht getan. Es war zu vermuten, dass dieser den Antrag ablehnen würde. So hatte er schon zuvor gewählten inhaftierten Parlamentariern die Teilnahme an der konstituierenden Sitzung verweigert. Da er Jordi Sànchez, Joaquin Forn und Oriol Junqueras erneut nicht die Teilnahme an der heutigen Sitzung erlaubt hat, hat sich Puigdemont auf dieses aussichtslose Abenteuer nicht eingelassen. Dabei wies auch Biurrun auf Präzedenzfälle hin, da sogar in den harten Zeiten des bewaffneten Kampfs mutmaßliche Mitglieder der ETA aus der Untersuchungshaft an Parlamentssitzungen teilnehmen durften.
Weil das Verfassungsgericht noch immer nicht darüber entschieden hat, ob die Beschwerde der Regierung überhaupt angenommen wird, hat Parlamentspräsident Torrent die Sitzung zur Amtseinführung logischerweise zunächst ausgesetzt. Er stellte fest, dass er keinen anderen Kandidaten als Puigdemont vorschlagen werde, da ohnehin nach den von Spanien verordneten Zwangswahlen niemand sonst eine Mehrheit erhalten kann und die Unabhängigkeitsparteien mit ihrer Mehrheit an Puigdemont festhalten.
Torrent hat darüber informiert, dass "die Amtseinführung von Carles Puigdemont ausgesetzt, aber nicht annulliert ist und sie mit allen Garantien durchgeführt werden wird". Er hat vom Verfassungsgericht gefordert, endlich zu entscheiden, ob die Beschwerde angenommen wird oder nicht. Er nennt den bisherigen Beschluss "Pfusch, um der Regierung nicht zu widersprechen".
Er kritisiert, dass das Gericht, "ohne dass das jemand zuvor gefordert hat, dem Präsidium eines demokratisch gewählten Parlaments anordnet, wie es die Statuten zu interpretieren hat". Ein tiefer Eingriff in die Gewaltenteilung. Weder das Gericht noch die spanische Regierung würden bestimmen, wer Präsident Kataloniens wird. Das würden allein die Parlamentarier bestimmen. "Ich habe mich verpflichtet, die Immunität von Puigdemont und allen Abgeordneten zu garantieren", sagt Torrent.
PP-Sprecher Pablo Casado droht: "Er hat zwei Kinder und weiß, auf was er sich einlässt"
Man darf nun gespannt sein, ob die Verfassungsrichter heute endlich den Beschluss fassen, den sie am Samstag hätten fällen müssen. Um 13 Uhr kamen die Richter erneut zur Beratung zusammen. Darauf warten nun Torrent, die Parlamentarier und die Öffentlichkeit. Lehnen die Richter die Beschwerde ab, führen sie ihre vorsorglichen Maßnahmen nachträglich ad absurdum. Puigdemont könnte dann doch noch ins Amt eingeführt werden, in anderer Auslegung der Statuten, die auch noch im Eilverfahren geändert werden können. Und die Parlamentssitzung ist definitiv nicht annulliert. Sie findet statt, es sind also weiter Überraschungen möglich. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen halten an den Mobilisierungen zu Parlament fest und versammeln sich dort schon.
Sollte das Gericht, gegen die Entscheidung des Staatsrats und gegen die Einschätzung praktisch aller Verfassungsrechtler die Beschwerde doch annehmen, um die Regierung zu retten, dann ist der Weg frei, um beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg mit guten Argumenten eine Eilentscheidung zu beantragen.
Und als wollte die regierende Volkspartei (PP) den Richtern dort weitere Argumente liefern, hat sich der PP-Sprecher Pablo Casado nun erneut weit mit Drohungen aus dem Fenster gelehnt. Er hatte im Oktober schon eine wenig verhüllte Morddrohung gegen Puigdemont ausgesprochen, jetzt drohte er dem Parlamentspräsidenten Torrent: "Er hat zwei Kinder und weiß, auf was er sich einlässt." Im vergangenen Oktober hatte Casado erklärt, Puigdemont könne wie Companys "enden". Lluis Companys hatte als katalanischer Präsident vor 83 Jahren die Unabhängigkeit ausgerufen. Er floh nach dem Sturz der Republik nach Frankreich, wurde dort von der deutschen Gestapo verhaftet. Nazi-Deutschland übergab ihn den Putschisten in Spanien. Die Franquisten folterten ihn zunächst schwer, um ihn dann 1949 zu erschießen. Es war der einzige demokratisch gewählte Präsident Europas, der von den Faschisten exekutiert wurde.
Update:Verfassungsgericht verwirft Einsprüche, entscheidet nicht über Beschwerde
Das Verfassungsgericht hat heute einstimmig die katalanischen Einsprüche verworfen, die sich gegen die am Samstag verhängten "vorläufige"“ Auflagen gerichtet haben. Die Richter bestätigen, dass Puigdemont zwar Kandidat sein könne, aber im Parlament zur Investitur erscheinen und seine Kandidatur verteidigen müsse. Dazu benötige er zudem weiter eine "richterliche Genehmigung".
Dass in die "Parlamentsautonomie" eingegriffen worden sei, weisen die Verfassungsrichter ebenfalls ab. Man habe Auflagen angeordnet, damit der"„Schaden", den die Regierung vermeiden wolle, nicht angerichtet werde, während über die Annahme oder Ablehnung der Regierungsbeschwerde noch entschieden wird. Man habe auch das Parlamentsreglement nicht interpretiert, wie es die Unabhängigkeitsparteien im Einspruch kritisiert hatten. Die halten weiter an Puigdemont fest und wollen keinen anderen Kandidaten bestimmen, wie es Madrid fordert. Schaden wurde derweil allerdings am Wählerwillen und am katalanischen Parlament angerichtet. Aber das ist wohl, wenn es um eine Beschwerde der Regierung geht, zweit- oder drittrangig.