An allen Fronten

Seite 2: Harte Konfrontation

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Mehr Schlagzeilen als der chinesisch-japanische Konflikt haben derweil in letzter Zeit andere Grenzstreitigkeiten weiter im Süden gemacht. Dort, im Südchinesischen Meer, liegen über eine große Fläche verstreut verschiedene Gruppen kleiner unbewohnter Felsen und Atolle, deren Zuordnung vollkommen ungeklärt ist. Die meisten Anrainerstaaten (Malaysia, Brunei, die Philippinen, Vietnam, China und Taiwan) erheben Ansprüche. Die weitestgehenden sind sicherlich jene der Volksrepublik, die auf ihren Karten ihre Seegrenze bis vor die Küsten Borneos verlegt.

In den Gewässern zwischen dem asiatischen Festland und den südöstlichen Inselstaaten geht es um recht handfeste Interessen, zumal auch noch die ungeklärte Abgrenzung der AWZs Chinas und Vietnams im Golf von Tonkin hinzu kommt. Außerdem bedeutet Kontrolle über die unbewohnten Inseln gleichzeitig die Kontrolle über die für China, Taiwan und Japan lebenswichtige Handelsroute, die nach Südwesten in die Straße von Malakka und von dort in den indischen Ozean führt.

Richtig brenzlich wurde es im Mai, als im Golf von Tonkin China eine Ölplattform in umstrittenen Gewässern installierte. Chinesische und vietnamesische Boote der Küstenwache lagen sich tagelang gegenüber, rammten einander und beschossen sich mit Wasserkanonen.

Im Anschluss gab es in Vietnam bei antichinesischen Unruhen und Überfällen auf dortige chinesische oder vermeintlich chinesische Einrichtungen mindestens 21 Tote. In Vietnam schwingt im Verhältnis zum als übergroß empfundenen Nachbarn großes Misstrauen mit, das zum einen in der ferneren Vergangenheit wurzelt, in der Vietnam lange tributpflichtiger Vasall des "Sohn des Himmels" in Beijing war.

Zum anderen ist es aber auch gerade erst 35 Jahre her, dass chinesische Truppen im Februar 1979 Vietnam angriffen. Rund ein Monat lang tobten verlustreiche Kämpfe. Rund 100.000 Menschen kostete diese chinesische "Strafexpedition", die eine Antwort auf den Einmarsch vietnamesischer Truppen in Kambodscha war. Dadurch wurde dort seinerzeit das mörderische Regimes Pol Pots gestürzt, der damals ein enger Verbündeter Beijings war (und trotz seines bereits damals bekannten Völkermords in der Auseinandersetzung mit Vietnam westliche Rückendeckung in den UNO-Gremien hatte).

Scharfer Ton

Alles in allem stellen also die Grenzfragen in der Region ein komplexes Gemisch an teils nicht ungefährlichen Konflikten dar. Reichlich Sprengstoff in der Form ökonomischer Interessen, nicht aufbereiteter Vergangenheit, verletztem Nationalstolz und Großmachtambitionen liegt im Gelände herum, und die meisten japanischen, vietnamesischen, chinesischen und philippinischen Politiker und Militärs, um die regionalen Hauptakteure zu nennen, scheinen eher damit beschäftigt, Funken zu schlagen, als diese rechtzeitig auszutreten, bevor sie Schlimmeres auslösen können.

Vor diesem Hintergrund wirkt der Auftritt des US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am letzten Samstag auf dem Shangri-La-Dialog in Singapur wie eine Brandrede. Der US-Minister bezog darin eindeutig und in ungewöhnlich scharfer Sprache, wie die in Hongkong erscheinende South China Morning Post berichtet, Position gegen China. Die USA stünden zu ihrer geopolitischen Neuorientierung auf die ostasiatische Region "und (werden) nicht wegschauen, wenn fundamentale Prinzipien der internationalen Ordnung in Frage gestellt werden".

Am Tag zuvor hatte Hagel, so die Zeitung, Japans Premierminister Shinzo Abe "enthusiastisch" unterstützt, als dieser eine neue Militär- und Außenpolitik seines Landes verkündete. Japan wolle eine größere internationale "Sicherheitsrolle" wahrnehmen, wobei "Sicherheit" natürlich ein beschönigendes Synonym für den Einsatz militärischer Mittel ist, der natürlich meist zu mehr Unsicherheit, vor allem für Zivilisten, führt.

Japan wolle Vietnam und die Philippinen mit Patrouillenbooten für deren Küstenwache beliefern und seine Verfassung ändern, die bisher Krieg und den Einsatz von Militär im Ausland verbietet. Abe:

Japan beabsichtigt eine größere und aktivere Rolle darin spielen, den Frieden in Asien herzustellen (making peace in Asia) und die Welt etwas sicherer zu machen.

Hilfssheriff ernannt

Bisher hatte Washington, wie erwähnt, derlei aggressive Ambitionen Japans stets gedämpft, aber das hat sich offensichtlich gründlich geändert. Hagel:

Wir (…) unterstützen Japans Anstrengungen (…) seine Selbstverteidigungskräfte umzuorientieren, um beim Aufbau einer friedlichen und belastbaren regionalen Ordnung zu helfen." Wie es aussieht, soll Japan nun eingespannt werden, um China im Schach zu halten. Hagel in Singapur im herablassenden Ton an die Adresse Beijings: "Alle Nationen in der Region, einschließlich China, haben die Wahl: sich dem Zusammenschluß zu einer stabilen regionalen Ordnung zu verpflichten oder Frieden und Sicherheit zu gefährden.

Wer tatsächlich Interesse an einer friedlichen Beilegung der diversen Streitigkeiten interessiert ist, kann unmöglich auf die Idee kommen, ausgerechnet Japan zum lokalen Hilfssheriff einzusetzen. Angesichts des historischen Hintergrundes - siehe oben - muss eien solche Politik eher als Brandbeschleuniger wirken.

Entsprechend reagierten die Vertreter Chinas auf dem Dialogforum empört und empfanden die Äußerungen, besonders weil sie öffentlich vorgetragen wurden, als besonderen Affront gegen ihr Land, wie die Hongkonger Zeitung schreibt. Die stellvertretende Außenministerin Fu Ying warf Hagel und Abe vor, sie würden vom Völkerrecht sprechen, als seien sie dessen Herren.

Auch für Vietnamesen, Südkoreaner oder Phillippinos war der Zynismus Hagels, der auf die Geschichte der USA in der Region verwies, sicherlich ebenso schwer verdaulich wie der Gedanke, sich mit einem Japan zu verbünden, dass weiter seine historische Verantwortung leugnet und nun erneut militärisch expandieren will. Die Frage wird allerdings sein, ob Chinas unnachgiebige Haltung sie nicht vielleicht dennoch (weiter) in die Arme dieser unheiligen Allianz treibt.