"An der Oberfläche eine sozialdemokratische Deutungshoheit"

Seite 3: Bertelsmann an der Uni Witten-Herdecke

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Für die Abwendung der Insolvenz und die Einführung der nachgelagerten Studiengebühren wurden seit 2008 diverse Deals mit der Wirtschaft gemacht. Die Zeit titelte "Investoren retten Uni Witten-Herdecke".

Mehrere Privatunternehmen pumpten Gelder in die Privatuni, um ihr Überleben zu sichern. Auch wurde das Bertelsmann-Institut 2010, kurz nach der Krise gegründet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Im Gespräch kann man die Bertelsmann-Kritik gar nicht oder nur in Teilen nachvollziehen. Der Uni Witten-Herdecke sei daher das Buch Bertelsmannrepublik Deutschland von Thomas Schuler empfohlen, oder als Kurzfassung der Kritik dieser Artikel der Nachdenkseiten (die zur Zeit der Veröffentlichung jenes Artikels noch nicht verschwörungstheoretisch unterwegs waren).

Die Aussage an der Uni Witten-Herdecke lautet, es gebe nur einen einzigen Bertelsmann-Lehrstuhl von vielen und die Honorarprofessoren seien fast nie anwesend. Man weist daher meinen Begriff der von "Bertelsmann durchsetzten" Universität ab.

Auch spielt man die Bedeutung der Bertelsmann-Honorarprofessoren herunter: Nach Satzung hätten sie schließlich keinerlei Einfluss auf Forschung und Lehre (sind ihre sporadischen Vorlesungen denn eigentlich nicht Lehre?) - und Reinhard Mohn sei im Übrigen nur eine kurze Zeit an der Uni Witten-Herdecke gewesen, um Controlling und Finanzbuchhaltung einzuführen.

In Bezug auf das Kuratorium, in dem Bertelsmann-Leute vertreten sind, weist man mich auf einen Fehler in meinem ersten Artikel hin. Es handelt sich nicht um das Kuratorium der gesamten Hochschule, sondern nur um das Kuratorium des Bertelsmann-Instituts selbst. Insgesamt gebe es drei bis vier Kuratorien an der Uni Witten Herdecke, allerdings auch nur mit beratenden Funktionen, ohne formale Entscheidungsmacht. Ob sich das in der Praxis allerdings alles so trennen lässt, daran sind wohl Zweifel angebracht.

Der Einfluss von Bertelsmann wird in der Kommunikation mit der kritischen Öffentlichkeit insgesamt als gering eingeschätzt. Man könnte auch sagen, heruntergespielt, denn eine kleine Recherche in einer Suchmaschine der Wahl bringt keine ganz geringe Zahl von Hochglanz-Veranstaltungen von Bertelsmann in Kooperation mit der Uni Witten-Herdecke zutage.

Veranstaltungen, die stattfanden, heißen zum Beispiel: Growing World Population - Growing Markets - Symposium with Students from Witten/Herdecke mit den Bertelsmann-Repräsentanten Liz Mohn und Gunter Thielen.

Eine andere Veranstaltung hieß "Wirtschaftsstudenten besuchten Bertelsmann", im Zuge derer noch einmal ganz deutlich unterstrichen wurde: "Regelmäßig besuchen Wirtschaftsstudenten der Universität Witten/Herdecke, mit der Bertelsmann seit ihrer Gründung 1982 eng verbunden ist, das Corporate Center in Gütersloh."

Interessant ist auch, dass man es an der Universität Witten-Herdecke nicht als Widerspruch sieht, im Rahmen des Medizinstudiums den Menschen in den Mittelpunkt stellen zu wollen und sich zugleich Bertelsmann institutionell ins Haus zu holen. Ausgerechnet einen Konzern, der die Privatisierung des Gesundheitssystems vorantreibt. Weiß man bei der Uni Witten-Herdecke nichts darüber? Zu den Privatisierungsbestrebungen von Bertelsmann sagt Lobbypedia von der Nichtregierungsorganisation LobbyControl:

Das CKM [Centrum für Krankenhausmanagement] wurde 1994 von der Bertelsmann Stiftung gegründet und ist der Uni Münster als Institut angegliedert. Selbstdarstellung: Ziel unserer Arbeit ist es, Wege aufzuzeigen, wie praxisbewährte Management-Methoden aus Industrie, Handel und Dienstleistungsbranche in Krankenhäusern und anderen Institutionen des Gesundheitswesens genutzt werden können. Wir stellen uns der Aufgabe, vermeintlich Unvereinbares in Einklang zu bringen: Qualitätssteigerung bei tendenziell sinkenden Kosten.

LobbyControl

Nach dem Termin machte der Autor einen kleinen Durchgang durch das Hauptgebäude der Uni Witten-Herdecke. Angeblich sei ja nur ein verschwindend geringer Teil der Hochschule von Bertelsmann beeinflusst.

Demgegenüber hat sich die Stiftung des Konzerns in Büros prominent im Erdgeschoss des Hauptgebäudes eingekauft. Der entsprechende Flur wird verziert mit einem riesigen Zitat des verstorbenen Patriarchen Reinhard Mohn: "Wir müssen mehr Köpfe ans Denken bringen." Vor dem Flur sind zwei große Plexiglastafeln mit Namen von Bertelsmännern- und frauen angebracht.

Das Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung an der Uni Witten-Herdecke

Das Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung widmet sich seinen Themen nach eigener Aussage im "Geiste der partizipativen und verantwortungsvollen Führungsphilosophie des Stifters Reinhard Mohn". Schwerpunkte seien "Kooperative Beziehungen" oder "Management von Offenheit und Transparenz" und "Unternehmerische Verantwortung".

Inhaltlich wäre zu prüfen, inwieweit die Publikationen und Themensetzungen des Lehrstuhls vom Geiste des Bertelsmannkonzerns beseelt bzw. im Sinne von dessen Geschäftsinteressen ausfallen.

Kritische Wirtschaftswissenschaftler sollten die Publikationen des von der Bertelsmann Stiftung finanzierten Instituts einmal genauer daraufhin durchleuchten, inwieweit der Konzern hier Politik und Lobbyismus betreibt, oder ob es tatsächlich um unabhängige Wissenschaft geht, wie von der Uni Witten-Herdecke behauptet. Publikationen sind etwa hier gelistet.

Keine Eliteuniversität?

Im Gespräch lehnt man vehement ab, eine Eliteuniversität zu sein. Jedenfalls möchte man nicht als Eliteuniversität bezeichnet werden. Dennoch gesteht man ein, dass etwa die Hälfte der Studierenden "Sofortzahler" sind, also mehrere Hundert Euro monatlich für Studiengebühren aufbringen können - zusätzlich zu den Lebenshaltungskosten.

Gar nicht so anti-elitär klingen auch die Werbeversprechen für die Studiengänge mit Lernen in kleinen Gruppen - oder ein "Exzellentes Studierenden-Lehrenden-Verhältnis" sowie "Enge Kontakte zu politischen und wirtschaftlichen Einrichtungen" oder "Entwicklungsperspektiven und Karriereoptionen in Unternehmen, Verbänden und NGOs oder Think Tanks". Also eine klare Arbeitsmarktfokussierung mit durchaus elitärem Klang.

Immer wieder wird betont, dass man ja viele ehemalige Waldorfschüler unter den Studierenden habe. Und bei denen muss man von einer relativ klaren sozialen Herkunft aus den Mittel- und Oberschichten ausgehen (wenngleich ich im Artikel vom Dezember ja bereits geschrieben hatte, weshalb ich die Existenz der Waldorfschulen ungeachtet dieser Problematik als positiv bewerte). Man hat leider keine offiziellen Statistiken über den Prozentsatz von BAföG-Beziehern - jedenfalls nicht für die Öffentlichkeit. Anhand solcher Statistiken könnte überprüft werden, wie elitär die Uni tatsächlich ist.

Aber ganz abgesehen davon - wie passt es eigentlich zusammen, wenn man keine Elite-Universität sein will, man sich aber mit den Ergebnissen des Bertelsmann-Spin-Offs "Centrum für Hochschulentwicklung" bewirbt: "Die Wirtschaftsstudiengänge der UW/H erhalten auch im CHE Ranking 2017 Bestnoten in den Bereichen Betreuung und Praxiseinbindung."

Praxisbezug ist überhaupt das Mantra bei der Uni Witten-Herdecke. Man sieht sich hier als den staatlichen Universitäten überlegen (= elitär) und weiß offenbar nicht, dass auch an staatlichen Universitäten in vielen Fachbereichen, vor allem etwa den Sozialwissenschaften (z.B. Geographie an der Uni Hamburg), Theorie und Praxis bereits seit Jahrzehnten gut verzahnt sind und das auch schon bei den ach so schlechten Diplom-Studiengängen hervorragend gelöst war.

Zum Elitismus passen auch die Schilder am Hauptgebäude "Deutschland Land der Ideen - Ausgewählter Ort": 2006, 2008, 2009, 2011 und 2012. Eine gemeinsame PR-Initiative der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft. Im Forum äußerte sich auch ein ehemaliger Student der Uni Witten-Herdecke zur Kritik:

Ich kann Ihnen sagen, dass viele Studierende der UWH sich nicht im geringsten von "neoliberalen" Zwängen beeinflussen lassen und unter Bolognastress möglichst schnell durch ihr Studium hetzen.

Forumsbeitrag

Auch wenn die Kritik an der Bologna-Reform und ihrer versuchten Zerstörung der europäischen Universität legitim ist, könnte man diese Aussage schon als reichlich naiv bezeichnen. Der Ex-Student blendet schließlich sowohl Bertelsmann, als auch die Familienunternehmer als integrale Bestandteile der Uni Witten-Herdecke aus. Auch so Institutionen wie der "Heiratsmarkt" werden außer Acht gelassen, in dem es im folgenden Kapitel gehen soll.

Joey Kelly von der Kelly Family war übrigens bereits vor 10 Jahren einmal kurz an der Uni Witten-Herdecke im Rahmen der PR-Teilnahme an einem Seminar. Das Seminar des Fachbereichs Kulturreflexionen trug den neoliberalen Titel "Markenentwicklung aus Kunst". Aus dem Bauch heraus brachte es Kelly seinerzeit schon auf den Punkt:

Weil äh meine Kinder eventuell hier landen könnten. Also ich würde mich sehr freuen, wenn die halt in so eine[r] äh offene[n] Elite-Universität ähm studieren würden.

Joey Kelly

Unternehmerisch UND humanistisch?

Meine Kritik, die Wirtschaft erlange direkten Zugriff auf die Universität, treffe nicht zu, heißt es in Witten. Ich hätte "unternehmerisch" nur falsch verstanden. Das Wort sei viel ganzheitlicher zu verstehen. So in dem Sinne, dass die Studierenden an der Uni Witten-Herdecke Dinge unternehmen würden, die für die Gesellschaft von Nutzen seien. Dass sich die Studierenden also aktiv und kreativ einbringen würden. Man sieht sich unabhängig von Wirtschaftsinteressen. Schaut man sich die Internetseite der Uni Witten-Herdecke an, kommt es einem aber eher so vor, als sei dies der [Achtung Zuspitzung:] zentrale Ort für die feuchten Träume dynamischer Jungkarrieristen.

Der "Recruiting-Abend Heiratsmarkt" heißt da ein Abend-Event im Rahmen des "Careers Services" der Uni Witten-Herdecke. "Absolventen der Universität nutzen den Heiratsmarkt als Chance für den Jobeinstieg. [… Das Event] kann von einer "heißen Affäre" über eine Partnerschaft auf Zeit bis zu einer "Heirat" reichen." Was soll man dazu noch sagen? Übrigens auch beim Heiratsmarkt anwesend: die GLS-Bank, McKinsey, Capgemini und Bertelsmann.

Zu all dem passt, dass beim Rundgang durch das Hauptgebäude neben dem Mohn-Institut auch das Türschild des "Instituts für Familienunternehmen" ins Auge fällt. Geschrieben steht dort:

Das Wittener Institut für Familienunternehmen wurde im Jahre 1998 als Deutsche Bank Institut für Familienunternehmen gemeinsam mit der Deutschen Bank gegründet und von ihr bis 2005 unterstützt. Durch diesen gewichtigen Beitrag hat sich die Deutsche Bank in außergewöhnlichem Maße um die Forschung über Familienunternehmen verdient gemacht. Wir danken für diese Hilfe, mit der das Institut entstanden ist und sich entwickeln konnte.

Türschild

Neben dem Gang des Instituts für Familienunternehmen hängen zwei ca. 3 Meter hohe Tafeln mit langen Listen von Wirtschaftsvertretern sowie einer Vielzahl von Firmenlogos. Im Kuratorium des Instituts sitzen: "Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur, aus Politik und Wissenschaft [...] Sie stehen als Partner dem Präsidium in Fragen der Finanzierung und der strategischen Ausrichtung beratend zur Seite."

Von 19 Personen des Kuratoriums sind etwa 15 aus Privatunternehmen (darunter nur 4 Frauen). Und zwar vor allem aus den Branchen Finanz-, Immobilien- und der Gesundheitsindustrie. Ich habe also in meinem Artikel vom Dezember vergessen zu schreiben, dass die Uni Witten-Herdecke nicht nur von Bertelsmann, sondern auch von einer Vielzahl weiterer, vor allem mittelständischer Unternehmen "begleitet" wird (um nicht zu sagen, durchsetzt ist).

Es ist eine geschickte Positionierung, im Wettbewerb zu behaupten, alternativ zu sein, alle Meinungen zuzulassen und sich in den Wirtschaftswissenschaften gegen die "Mainstream-Ökonomie" zu positionieren. Also gegen die Neoklassik, die unkritisch wie eine Religion an den meisten deutschen Universitäten gelehrt wird.

Und auch hier: den Widerspruch zwischen dieser vermeintlich "alternativen" Schwerpunktsetzung und den Familienunternehmen wie auch dem Bertelsmannkonzern als Teile der Hochschule, die alle für den ökonomischen Mainstream stehen, sieht man nicht.

Unehrlich ist, dass man bei der Uni Witten-Herdecke nicht auf die Studierenden und die Öffentlichkeit direkt zugeht und sagt: "Hör zu, Du willst einen gut bezahlen Job und Karriere machen. Wir sind bestens vernetzt in Wirtschaft und Politik und können Dir das bieten. Komm zu uns, und du wirst später ordentlich Kohle machen und oder an eine einflussreiche Position in unserer Gesellschaft gelangen. Positioniere dich mit der Studienwahl bestens für den Arbeitsmarkt."

Und obwohl man das mit so vielen Worten umschreibt, möchte man es direkt so nicht formulieren. Denn wer will schon eine "Eliteschmiede" sein? Das klingt nicht gut in einem Land, in dem an der Oberfläche eine sozialdemokratische Deutungshoheit herrscht.