An der Schwelle zum neuen Krisenschub

Seite 2: Globale Spekulationsblasenmaschine

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Überdies drohen in vielen der Betroffenen Volkswirtschaften Schulden- oder Immobilienblasen zu platzen. Jeder Beobachter, dem die massenmediale Dauerberieselung noch nicht das Langzeitgedächtnis weggeätzt hat, dürfte spätestens jetzt ein Déjà-vu erleben: Das Platzen einer jeden Blase legt die Grundlage für die nächste Spekulationsbonanza.

Die Geldschwemme, die von den Notenbanken zur Bekämpfung der dramatischen Folgen der geplatzten Spekulationsblasen auf den Immobilienmärkten der USA und Europas initiiert wurde, hat offensichtlich zur Ausbildung neuer spekulativer Tendenzen in den Schwellenländern geführt. Somit hat die Geldpolitik das Feuer der geplatzten Immobilienblase mit Benzin gelöscht: mit Leitzinssenkungen und Gelddruckerei, die den Boden bereiteten für die nun eskalierende Krise in den Schwellenländern.

Dies ist aber kein singuläres Phänomen. Das finanzmarktgetriebene kapitalistische Weltsystem gleicht einer globalen Spekulationsblasenmaschine: Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wechseln sich beständig anwachsende Spekulationsdynamiken ab, wie auch der prominente Ökonom Paul Krugman in der New York Times bemerkte:

Nun ist es klar, dass die Geldflut in die Schwellenländer, die kurzfristig die brasilianische Währung um 40 Prozent anhob, … nur einen neuen Eintrag in einer langen Liste von Finanzblasen in der vergangenen Generation markiert. Da war natürlich die Immobilienblase. Aber davor war die Dot-com-Blase; davor war die Asienblase der 1990er, davor die kommerzielle Immobilienblase der 1980er.“

Dabei sind es gerade diese sich abwechselnden und anschwellenden Spekulationsblasen, die den Kapitalismus als Weltsystem überhaupt noch am Laufen erhalten. Der Kapitalismus läuft auf Pump, und es sind gerade die Spekulationsblasen, die dieses an seiner Produktivität erstickende System vermittels kreditfinanzierter Massennachfrage und der daraus resultierenden Defizitkonjunkturen funktionsfähig erhalten (Die Krise kurz erklärt). Dies geschieht um den Preis langfristig ansteigender Instabilität, da die desaströsen Folgen einer jeden geplatzten Spekulationsblase immer verheerender ausfallen - und somit die Geldpolitik zu immer drastischerer Gegenmaßnahmen nötigen - wie etwa zu der Gelddruckerei der Fed nach dem Platzten der Immobilienblase in den USA.

Türkische Defizitkonjunktur wurde durch eine klassische Immobilienblase verstärkt

Wie eine solche in der Aufstiegsphase einer Blasenbildung entstehende Defizitkonjunktur aussieht, kann gerade am aktuellen Beispiel der Türkei sehr gut nachverfolgt werden. Die Türkei erfuhr zwischen 2002 und 2011 ein robustes durchschnittliches Wirtschaftswachstum knapp fünf Prozent pro Jahr, wobei dieser Aufschwung 2010 und 2011 ein exzessives Tempo annahm, als das Bruttoinlandsprodukt mit 8,8 und 9,3 Prozent expandierte.

Damals galt die Türkei in der deutschen Qualitätspresse noch als ein wirtschaftliches Vorbild für das kollabierende Griechenland. Hier eine inzwischen an eine Realsatire erinnernde Passage aus einem 2011 publizierten Spiegel-Artikel:

Kursstürze, Kapitalflucht, Krise: Was der Pleitekandidat Griechenland seit Monaten durchleidet, hat die Türkei längst hinter sich. Vor zehn Jahren verabschiedete das Land brutale Wirtschaftsreformen - und erlebt nun einen beispiellosen Boom.

Der „beispiellose Boom“ in der Türkei, von Spiegel Online irrtümlich auf knallharte neoliberale Reformenzurückgeführt, wurde tatsächlich durch Schuldenmacherei ermöglicht. Genauso wie im Fall Griechenlands. Der einzige Unterschied besteht nur darin, dass sich in der Türkei der private Sektor verschuldete, während es in Griechenland der Staat war. Der durch Kreditvergabe befeuerte Boom führte dazu, dass die Türkei nun ein extremes Leistungsbilanzdefizit von sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufweist. Das bedeutet, dass dieses Schwellenland einen Kapitalzufluss von sieben Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verzeichnen muss, um seine Verbindlichkeiten abdecken zu können. Dramatisch ist vor allem der Anteil kurzfristiger Kredite. Dieser beläuft sich auf rund 75 Prozent.

Somit wird Ankara in diesem Jahr eine dreistellige Milliardensumme refinanzieren müssen, ohne hierfür über die notwendigen Devisenreserven zu verfügen. Diese reichen gerade mal aus, um ein Fünftel der anstehenden externen Verbindlichkeiten abzudecken. Die Türkei weise schwache Ersparnisse, eine schnelle Kreditexpansion und eine steige Abhängigkeit von Importen aus, warnte die Financial Times.

Befeuert wurde diese türkische Defizitkonjunktur durch eine klassische Immobilienblase. Die Protestwelle gegen Erdogan wurde auch durch den breiten Unmut getragen, den die daraus resultierende Gentrifizierung ausgelöst hatte. Die größte Moschee und den größten Flughafen will der türkische Ministerpräsident in Istanbul errichten lassen, während vor den Toren der Bosporusmetropole ganze Satellitenstädte aus dem Boden gestampft werden sollten.

Dem Konsum- und Spekulationsrausch folgt nun der Kater: Inzwischen sind rund 1,7 Millionen Türken mit der Begleichung ihrer Kreditkartenschulden in Verzug geraten. Allein 2013 stieg die Zahl dieser säumigen Schuldner um 180.000. Derweil lassen die steigenden Zinsen die Abzahlung von Konsumkrediten und Hypotheken zu einer immer größeren Belastung werden. So sind die Zinsen für Immobilienkredite seit dem Mai 2013 von 8,5 Prozent auf 11,5 Prozent geklettert, wobei die jüngste Leitzinsanhebung der Notenbank die Zinslast auf rund 13 Prozent anheben dürfte.

Die Türkei wird somit offensichtlich als ein Wachstumstreiber, als eine konjunkturelle Lokomotive, bis auf Weiteres ausfallen. Das Land wird sich nun mit den Folgen der geplatzten Schuldenblase auseinandersetzen müssen, wie es seit Jahren die südeuropäischen Staaten und auch Griechenland tun. Entscheidend für die globale Konjunkturentwicklung wird aber sein, wie viele Schwellenländer eine ähnlich dramatische Krise durchmachen werden. Ein ökonomisches Desaster zeichnet sich etwa in Argentinien ab, wo die Notenbank den massiven Währungsverfall mit immer neuen Stützungsaktionen, Zinsanhebungen und Devisenkontrollen aufzuhalten versucht.

Die fünf großen, strukturell instabilen Schwellenländer Indonesien, Südafrika, Indien, Brasilien und Türkei, die allesamt mit Kapitalflucht zu kämpfen haben, generieren bereits 12 Prozent des Weltsozialprodukts. Brasilien etwa hat eine monströse Spekulationsblase auf seinen Immobiliensektor ausgebildet, die sogar den Preisauftrieb in Hong Kong überflügelt. Zwischen 2008 und 2013 sind dank ausländischer Kapitalzuflüsse die Häuserpreise in Brasilien um stolze 121 Prozent geklettert, während es in Hong Kong nur 101 Prozent waren.

Die neue Krise könnte von den Schwellenländern ausgehen

Angesichts der drohenden Deflation in der Eurozone - deren einbrechende Nachfrage übrigens zur Abkühlung der Exportdynamik in vielen Schwellenländern führte, könnte die Krise der Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems durchaus auch auf dessen Zentren übergreifen. Der Anteil der Schwellenländer am globalen BIP sei von 40 Prozent in 1997 auf inzwischen 55 Prozent angestiegen, bemerkte etwa die Financial Times.

Die zuvor dank Kapitalzuflüssen stürmisch wachsenden Schwellenländer, die maßgeblich zur Stützung der Weltwirtschaft beigetragen haben, wandeln sich somit nach dem Platzen dieser Blase zu einem zusätzlichen Instabilitätsfaktor. Ein neuer globaler Krisenschub, der diesmal von den Schwellenländern ausgehen würde, scheint somit wahrscheinlich. Die aktuellen Verwerfungen an den Aktienmärkten scheinen diese Tendenz zum Übergreifen der Krise zu befördern.

Die gegenwärtigen Verwerfungen machen aber auch klar, in welch hohem Maße das spätkapitalistische Weltsystem nicht nur von Schuldenmacherei, sondern auch von Gelddruckerei abhängig ist. Die Weltwirtschaft ist süchtig nach den regelmäßigen Liquiditätsspritzen der Fed - ohne die allmonatliche Dosis aus dem Nichts generierter Liquidität setzen ernsthafte Entzugserscheinungen in Form schwerster Finanzmarkterschütterungen ein.

Der Prozess der Normalisierung der Zinsen habe gerade erst begonnen, lamentierte die Financial Times in einem Kommentar, doch werden dessen Konsequenzen in der ganzen Welt widerhallen. Es sei zudem schwer, den Endpunkt einer Panik auf den Märkten vorherzusagen, sobald diese erstmal eingesetzt habe. Dennoch hoffte das Wirtschaftsblatt in dem Kommentar darauf, dass die Krise in der Semiperipherie nicht zu einer ausgewachsenen Ansteckung“der reichen Länder“ führen werde. Hiermit hat die FT letztendlich die Krisenpolitik in den Zentren des Weltsystems sehr gut auf den Punkt gebracht: Man hofft einfach darauf, dass es andere erwischt.

Für die nun von Kapitalabflüssen, Rezession, Massenarbeitslosigkeit und Pauperisierung bedrohten Schwellenländer, die sich unversehens wieder an der Schwelle zur Dritten Welt wiederfinden , hat die Financial Times sogar noch einen gut gemeinten Rat:

Der beste Weg, um sicherzustellen, dass ausländische Investoren das Interesse und die Investitionsneigung nicht verlieren, besteht darin, die zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Dynamik notwendigen Reformen zu implementieren.